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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 26.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.6707#0282
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6350

Kr Das Beschwerderecht, m

Ein patriotisches Bänkellied.

Jeden wahren Patrioten quälet
Schon seit längrer Zeit ein heft'ger Schmerz,
Weil's dem Vaterland an Mannszucht fehlet
And die Frechheit herrschet allerwärts.

Seine Seufzer dringen zu den Sternen
And sein Lerz ist schwer und kummervoll.
Denn sogar in preußischen Kasernen
Geht schon längst nicht alles wie es soll.

Immer häus'ger mehren sich die Fälle,

Wo ein Kerl, von frecher Lust betört,

Wegen irgend einer Bagatelle
Aber Vorgesetzte sich beschwert.

August Sielenborn, so war genannt er,

Ties verfault bis in der Seele Kern,

And bereits im zweiten Jahre stand er
Bei den Lundertzweiundsiebzigern.

Diesem Elenden war es passieret.

Daß denselbigen sein Lerr Sergeant,

Als den Stechschritt er zu schlapp vollsühret.
Einen Zuchthäusler und Schwein genannt.

Doch anstatt daß der Verachtungswerte
In sich ging und sann aus Besserung,

Ging er hin zum Lauptmann und beschwerte
Sich von wegen der Beleidigung.

Die Gemeinheit blieb nicht ungerochen, •

Denn der Gott der Rache zögert nicht:

Kaum vergingen ein'ge wen'ge Wochen,

Stellt man ihn bereits vor's Kriegsgericht.

Wo die Richter denn ihr Arteil fällten,

Daß ein Wort wie Schwein und Zuchthäusler
Keineswegs könnt' als Beleid'gung gelten
Für 'nen Äundertzweiundsiebziger.

Also fiel der Kerl, der sich erfrechte,
Schauderhaft mit der Beschwerde 'rein,

And das Kriegsgericht sperrt', das gerechte,
Ihn aus dreiundvierzig Tage ein.

Daraus sieht man klar: im preuß'schen Leere
Geht noch heute, wie in alter Zeit,

Zarte Pflege militär'scher Ehre

Land in Land mit der Gerechtigkeit. s.e.

Blitzdrahtnachrichten.

— Der soeben von Stapel gelaufene Dreadnought
„Finanzreform" schaukelt derartig, daß er nach dem
Urteil aller Kenner 1910 bereits veraltet fein wird. Das
Marineamt des heiligen Dalles hat daher schleunigst
den Kiel zu einem neuen Dreadnought „ReichSanlethe"
legen lassen.

— Im Biwak der Ultramontanen vertreibt man sich
die Zeit durch einen heftigen Streit um des Zentrums
Barr, ob er konfessionellen oder politischen Charakters
sei. Ein unbekannter Frechling, der behaupten wollte,
das Zentrum sei ja doch aalglatt rasiert, wurde als
Spion des Modernismus erkannt und verprügelt.

— Die Fahnenflucht aus dem konservativen Lager
hält an. Die kommandierenden Generale der „Kreuz-
zeitung" und „Deutschen Tageszeitung" stehen zwar per-
sönlich auf Posten, aber sie haben vom SchnapSblock-
rausch her noch einen Katzenjammer, daß sie nicht richtig
gucken können.

— Die Regierung läßt durch die „Norddeutsche All-
gemeine" den Bierboykott billigen, weil sie trotz eines
offiziösen Appells an die Spitzbubenehrlichkeit von
Brauereien und Wirten um den Löwenanteil bei der
allgemeinen Plünderung bemogelt worden ist.

Schlaraffenland.

Es war einmal — so sagt die Mär —

Ein Land, wo die Dornen von Früchten schwer.
Wo die Berge von Zucker und Zuckerkant:
Schlaraffenland — Schlaraffenland.
Gebratene Tauben in langsamem Flug —
Gesottene Fische in dichtem Zug —

Die Flüsse waren voll feurigem Wein,
Gespickt und geschmort lief Lase und Schwein.
Nach allen diesen Lerrlichkeiten
Brauchte man nicht'mal die Arme zu breiten:
Man saß behaglich, dick und faul.

Und alles flog ins geöffnete Maul.

Es war einmal? Ach nein, es ist!

Ein jeder kann es heut' zur Frist
Betreten. Nur sei er allemal
Vorsichtig, in der Eltern Wahl!

Es stehet heute offen wie je
Den Rittern vom strotzenden Portemonnaie —
Nur daß man's heut' statt Schlaraffenland
Die „gottgewollte Ordnung" benannt!

Ein neuer Erwerbszweig.

Wie die Zeitungen zu erzählen wissen, hat
die gefeierte Sängerin Adelina Patti ihre Kehle
an einen amerikanischen Geschäftsmann für den
Preis von V/t Millionen verkauft. Was der
Unternehmer mit dem Organ, das ihm nach
dem Tode der Diva ausgeliefert werden wird,
anfangen will, ist bisher nicht bekannt ge-
worden, wohl aber hören ivir, daß eine An-
zahl mehr oder minder berühmter Zeitgenossen
den Entschluß gefaßt hat, dem Beispiel der
Patti zu folgen und ebenfalls diejenigen Glied-
maßen oder Organe, denen sie bei Lebzeiten
ihre stärksten Erfolge zu verdanken hatten, auf
den Markt zu bringen. Ein stattliches Angebot
von menschlichen Körperteilen, lieferbar nach
dem Tode des Verkäufers, liegt bereits vor.

Ein Reichskanzler a. D. bietet zu verhältnis-
mäßig billigem Preise seine Haut an. Dieselbe
hat nach der verbürgten Aussage des Besitzers
die Dicke eines Rhinozerosfelles. Sie leistete
ihm während seiner langjährigen Amtsführung
unschätzbare Dienste in den peinlichsten Situa-
tionen und dürfte auch später in höheren und
höchsten Beamtenkreisen noch mannigfache Ver-
wendung finden können.

Ein deutscher Fürst offeriert seine drei
Schwurfinger. Sie sind durch angestrengten
Gebrauch in sehr schwierigen Fällen unge-
wöhnlich stark entwickelt und von unbeugsamer
Widerstandsfähigkeit.

Ein Beamter der politischen Polizei ist ge-
neigt, seine rechte Hand an den Meistbietenden
zu verkaufen. Er hat mit diesem Körperteil,
obwohl er erst zehn Jahre im Dienste ist, nach-
weislich bereits 4387 amtliche Mißgriffe aus-
geführt und ist körperlich und geistig noch sehr
rüstig.

Ein Balkanfürst bietet seinen Skalp aus.
Zahlreiche Jnsektensammler haben sich bereits
um das wertvolle und reichhaltige Objekt be-
worben, doch ist die geforderte Kaufsumme
vorläufig noch zu hoch. Die Reflektanten hoffen

aber, den Gegenstand über Jahr und Tag aus
den Händen der königlichen Leibwache erheb-
lich billiger zu erhalten.

Ein gekröntes Haupt offeriert sein Gehirn.
Es ist nur klein, aber garantiert von Gottes
Gnaden und liefert Interessenten den deut-
lichen Beweis, mit wie geringer Gehirnmasse
ein großes Volk monarchisch regiert werden
kann.

Auch sonst sind die diesbezüglichen Offerten
aus monarchischen Kreisen auffallend zahlreich.
Wir entnehmen daraus mit Bedauern, daß
das Herrschergewerbe heute nicht mehr für so
gut fundiert gilt wie früher und die Firmen-
inhaber daher bemüht sind, ihre Geschäfts-
freunde und Erben auf andere Weise sicher-
zustellen. ' I. S.

Aus den Notizen eines Junkers.

Die Weltgeschichte ist das Weltgericht, sagt
man. Na, wir kennen Gott sei Dank noch eine
Menge Advokatenkniffe, die geeignet sind, den
Prozeß zu verschleppen.

Man nennt uns mittelalterliche Wegelagerer
und Strauchdiebe. Aber wir haben uns sehr
gebessert: wir räubern nur noch auf parla
mentarischem Wege und lauern nur noch hinter
dem Strauch der Geschäftsordnung.

Unser Gemüt ist zart und lieblich wie die
Hirtenpoesie der Wertherzeit. So zum Beispiel
fühlen wir uns schon vollkommen glücklich,
wenn wir im Schatten einer Königseiche fried-
lich unsre Schäfchen scheren dürfen!

Der praktische Junker sucht bei der Regie-
rung nicht erst lange nach der verwundbaren
Achillesferse, sondern er tritt ihr ganz einfach
aus die offenkundigen Hühneraugen.

Zu einem Volke, dem man das Geld aus
der Tasche zog, muß man vom „Finger Gottes"
reden.
 
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