Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 27.1910

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6708#0007
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
• 6482

Kreislauf

horch! ln klarer Cuft ein Glockenton.

Ging ein buntes Leben da zu Ende?
Langsam steigt ein Greis vom Lebenstbron
Und ein junger faht den Seffel schon —
8ei)t, zroei jahre reichen sich die Hände!

Durch den fallen Wintersonnenglanz
keucht der fllte nun mit bohlen Lungen,
Durch der flocken silberlichen lanz.

Und an seinem kleide schleppt ein Kranz,
welke Blüten drin: Erinnerungen!

Und dem Neuen folgt beim Giockenschlag
Nun die rubelose Menschheit wieder.

Kampf und flrbeit! Und was jeder lag
Einem jeden Bestes bringen mag.

Ist der Kampf für seine schwachren Brüder.

8onne lächelt. Neue Hoffnung loht,
jeder lag streut auf uns leine 8pende,
wirren Kreislauf: Kampf und Lust und Not,
Und bald flimmert fern das Nbendrot,

Und — zwei jahre reichen sich die Hände! P.e.

Blitzdrahtnachrichten.

— Familienväter werden darauf aufmerksam gemacht,
daß, wenn am I. Januar der Lauswtrt klingelt und
„Prosit Neujahr I" wünscht, er nicht bloß leer« Redens-
arten, sondern vor allen Dingen die Miete in Empfang
zu nehmen gedenkt,

— Optimisten, die in der Silvesternacht de» Limmel
voller Geigen hängen sehen, werden dringend ersucht,
gleich von vornherein soviel Punsch zu trinken, daß
sie auf eine 365 tägige Katzenmusik dieser Geigen ent-
sprechend vorbereitet sind,

— Das alte Jahr verließ Berlin in aller Stille und
verabschiedete sich schon aus Bescheidenheit nicht per-
sönlich, sondern nur telephonisch von der Regierung,
die tnfolgedeffen ihre DankbarkeitSausbrüche auf den
unschuldigen Sprechkasten konzentrieren mußte,

- Das Amtsjahr 1910 t>at inzwischen seine Dienst,
ivohnung im leeren Schädel des heiligen Bureaukratius
bezogen. Es beklagt sich bitterlich darüber, daß die
Bude neuerdings voll kaufmännischer Kewiffensbiffe
steckt!

— Beim siebenten Glas Silvesterpunsch soll Bekh-
mann Lollweg plötzlich die staatsmännische Weisheit
eines Pertkles mit der Beredsamkeit eines Demosthenes
vorgetragen haben. Leider war es nicht möglich, gerade
in diesem historischen Augenblick den Reichstag zu einer
Extrasession zusammenzutrommcln.

Zum preußischen Parteitag.

Seid mir gegriitzt, Vertrauensleute
Don Preußens Proletariat!

Seid mir gegrüßt! ln guter Stunde
vereint ihr euch zu Rat und Tat!

Der Sturmwind brautet durch die Lande,
Die rote Flut, fie schwillt und dräut.

Und es erbracht in allen Fugen
Des ftlaffenftaates Herrlichkeit.

Selbst in Oftelbiens Hinterwäldern
Beginnt es lacht zu dämmern schon,

Und Dresche neben Dresche klaffet
lm testen Dau der Reaktion.

Dun lebt, wie ihr dem Junkertroffe
Das altersmorsche Rückgrat brecht.

Den Protzen und den Bureaukraten
Hbtrotzt des Volkes gutes Recht!

Dun frisch ans werk! Den Sturmbock
bebet!

Die Streitaxt schärft zum kübnen Streich!
vorwärts, ibr preuß'lchen Pioniere,

Das ganze Deutschland blickt auf euch!

Der Bo-Russe.

Leider kein Märchen!

Weit, weit im Osten, siebenmal nenn Kilo-
meter hinter Berlin, liegt das uralte Reich der
Bo-Russen, Dort wurde auch Udo Edgar Botho
Friedrich Wilhelm von Stegreif auf dem von
zerfallenen Strohhiitten umgebenen Schnaps-
gut seines erlauchten Vaters geboren. Sieben
seiner ehrwürdigen Ahnen — so darf er sich
stolz rühmen — waren kühne Strauchdiebe, von
denen nur drei dem Galgen entgingen. Mit
de», erhebenden Bewußtsein, derjüngsteSprosse
eines hochedlen Geschlechts zu sein, trug Udo
Edgar Botho Friedrich Wilhelm sein Haupt.
Der Ahnen große Reihe verschaffte ihni auch
die hohe Ehre, selbst zu den Edelsten der Nation
gezählt zu werden. Und als der Sohn eines
echten Bo-Rnffen war schon mit seiner Geburt
die Anwartschaft auf die höchsten und best-
bezahltesten Posten des Landes und dessen
von den Bo-Russen eroberter und unterjochter
Kolonie Germania verbunden.

Der großen Pflichten des späteren Amtes ein-
gedenk, bereitete sich Udo Edgar Botho Friedrich
Wilhelm von Stegreif >vie jeder andere Bo-Russe
in seiner Jugend mit Fleiß und Ausdauer auf
seine staatsmännische Laufbahn vor. Er bezog
die altberühme Universität der Bo-Russen und
soff in der Väter alten Weise täglich zehn Liter
Bier, sechs Maß Wein und vier Pullen Sekt,
prügelte jeden Tag mindestens einen Nacht-
wächter oder Schutzmann, ivars ivöchentlich
genau vierundzwanzig Fensterscheiben ein, zer-
trümmerte täglich eine Straßenlaterne, wälzte
sich dann in der Gosse und schrie Mordio und
verprügelte den, der ihm zu Hilfe kam. Drei-
mal im Jahre wurde er Vater eines unehe-
lichen Kindes. Mindestens einmal im Jnlpce
demolierte er ein Freudenhaus, schoß einen
bürgerlichen Fatzke über den Haufen, stach
einen Kommilitonen nieder und brachte einen
Eisenbahnzug zur Entgleisung.

Siebenmal sieben Monate übte sich Udo
Edgar Botho Friedrich Wilhelm auf diese
edle Art in der Gesetzeskunde. Und als es
keinen Paragraphen mehr gab, gegen den er
noch nicht ungestraft verstoßen, wurde er feier-
lichst zum Dr. jur. und Dr. phil. befördert. Und
er durfte sich nun Or. Udo Edgar Botho
Friedrich Wilhelm von Stegreif nennen. Auch
ivurde er nicht sehr viel später Staatsanwalt,
llnd ivehe dem Verbrecher, der in seine Klauen
kam! Denn er kannte alle Arten, gegen die Gesetze
zu verstoßen, und alle Ränke und alle Schliche.

Weil der Staatsanwalt l)r. Udo Edgar
Botho Friedrich Wilhelm von Stegreif so
schneidig war, wurde er sehr bald als Geheim-
rat ins Ministerium berufen. Und iveil er ein
Bo-Russe war und so gut Skat spielen und
hübsche Kalauer erzählen konnte, wurde er
selbstverständlich Minister. Und schützte die
Gesetze und die Ordnung und die von den
Vätern ererbten Sitten. Und war besonders
bestrebt, dem Volke die Religion zll erhalten.

Viele Orden zierten seine Brust. Und als
er starb, teilte der Staatsanzeiger der Welt
mit, daß er in seinem ganzen Leben ein Muster
von Gottergebenheit und Sittenstrenge und ein
pflichteifriger und treuer Hüter der Gesetze und
Diener seines gnädigen Landesfürsten gewesen
sei. Und selbstverständlich Alter Herr der Bo
Russen.

Obwohl er gestorben ist, lebt er aber heute
noch. Und lebt, solange das Reich der Bo
Russen besteht und ihre Macht und ihre Herr
lichkeit. Lebt von der Dumniheit der Masse
in der bo-russischen Kolonie Germania. -s.

Aus Kiel.

„Heft du lesen, Hein, dat Tirpitz fick um unse politische
Gesinnung »ich kümmern will?"

„Jung, hol bin Muul und lat dt »ix marken, sonst
schmitt hei dt rut, weil du vorjwe Johren den Kom-
mandanten sin Hund up'n Swanz pedd' liest!"
 
Annotationen