Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 27.1910

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6708#0011
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
6486 - •

Oie Wellenuhr.

Das ist die große Weltenuhr,
vor ihrem dumpfen SHIage
Erschrickt ein mancher Dunkelmann,

Als ging's zum jüngsten Tage,

Ihr großer Zeiger drohend weist
Bald auf dreiviertei zwölfe;

Lin feistes pfäfflein rennt herbei
Und schreit laut auf: Gott helfe! —

Lr stemmt stch kräftig an und will
Den Zeiger rückwärts drehen,

Doch wie er schafft und wie er schiebt,
Der Zeiger bleibt nicht stehen.

Äh! Äh! Lin Junker kommt heran
Und näselt: Nicht alleine
Bringst fertig du es, wenn ich nicht
Auch dazu tu' das meine!

Sie strengen an sich alle zwei,

Sie schwitzen und sie keuchen,
vergebens ist der Kraftaufwand,

Der Zeiger will nicht weichen.

Da springt ein Knallprotz noch heran
Und ruft: Ich helf' euch drücken,

Da ging's ja mit dem Teufel zu,

Sollt's nicht uns dreien glücken!

Und mächtig drücken alle drei
Mt pusten und mit Schnaufen,

Doch unaufhaltsam sehen sie
Den Zeiger vorwärts laufen.

Da steh'n sie wie der Dchs am Berg;

Ihr Herren, laßt euch sagen:

Ls wird, w>e chr auch tobt und schnauft,
Doch einmal zwölfe schlagen, L.Fl,

Silvester auf der Walz'.

Ein eisiger Nordost pfiff den beiden jungen
Wandergesellen durch das Gewand und trieb
ihnen die spitzigen Schneekristalle in die Augen,
Sie hatten eben in einem kleinen einsamen
Bauerngehöft mit gutem Erfolg gefachten. Die
Bäuerin hatte ihnen zu den Schmalzstullen
ein Kännchen heißen Kaffee spendiert. Und
als sie sah, wie der eine, bevor er zubiß, sich
mit frommer Gebärde bekreuzigte, hatte sie
noch ein Stück hausgemachte Leberivnrst zu-
gelegt.

Als die beiden wieder draußen waren,Aachte
Fritz, der pfiffige Schreinergeselle: „Siehst bu
jetzt, Hein, wie sich das lohnt?"

Der Angeredete, ein Jünger der mannhaften
Schmiedekunst, knurrte etwas von scheinheiliger
Heuchelei, die er nicht mitmachen könne,

„Ach, du ehrlicher Blasebalg! Aber die Wurst
konntest du mitessen", spottete Fritz. „Warum
sollen wir denn die Dummheit der Leute nicht
ausnutzen?"

Sein Kamerad antwortete nicht. Das Wetter
ivar wirklich nicht zur Unterhaltung geeignet,
llnd noch volle vier Stunden sollten es bis
zur nächsten Station sein, wo sie Berbands-
unterstützung erheben konnten. Schweigend
trabten sie die Straße übers Gebirg weiter. Die
Nacht, die letzte des Jahres, sank schon herab.

Eine schone Aussicht, noch stundenlang bei
dem Hundewetter in die Dunkelheit hineinzu-
laufen, dachte Fritz, Brrr, die Kälte! Seine
Phantasie eilte zurück in die warme Bauern-
küche, Die Leute mußten vor wenigen Tagen
geschlachtet haben. Beim Eintreten war eine
dralle, rotbäckige Dirne mit einer Schüssel
frischer Bratwürste an ihnen vorbeigegangen.
Sie hatte ihm fröhlich zugelächelt. Wie viel
Schönes für ein Wanderburschenherz war da
beisammen gewesen! - Ein Plan fuhr ihm
durch den Kopf,

Er hielt seinen Schicksalsgefährten am Arm'el
fest: „Wür's dir jetzt nicht auch lieber, am
warmen Ofen zu sitzen und Bratwurst zu essen?"

Der war gar nicht zum Scherzen aufgelegt
und wollte hastig weiter.

Aber der Schreiner stellte sich vor ihn hin:
„Bratwurst, Hein, Bratwurst! Riechst du sie
nicht?"

„Mensch, ivas meinst du damit?" fuhr
dieser auf.

Da setzte der Schlaukopf ihm seine Idee
auseinander. Es dauerte eine Weile, bis sich
der Schmied die Geschichte durchdacht hatte.
Dann aber sagte er entschlossen:

„Wird gemacht!" Damit setzte er sich in den
Schnee: „Also los, Fritze! Ich Hab'das rechte
Bein gebrochen."

Fritz kniete vor dem Kameraden nieder, zog
ihm den Strumpf herunter und wickelte ihm
ein großes Schnupftuch oberhalb des Schuhes
ums Bein, daß es, als der Strumpf wieder
drüber war, wie stark geschwollen anssah. An
dem Zipfel des Tuches aber war ein Bind-
faden befestigt, den Hein unter der Hose und
Weste hinaufgezogen und an einem Knopfloch
angebunden hatte.

Dann kramte Fritz aus seine!» Rucksack eine
Dose Wundersalbe heraus, kratzte das Etikett
des Drogisten fein säuberlich ab und wickelte

sie sorgsam wieder ein. Nun traten sie den Rück-
marsch zum Bauerngehöft an und pochten an
das schon geschlossene Hoftor, Zuerst fuhr der
Kettenhund mit wütendem Gebell aus seiner
Hütte heraus; dann erschien der Bauer, ei»
noch kräftiger Fünfziger, mit einem Knüppel
in der Hand und fragte, was los sei.

Hein antivorteie nur mit jämmerlichem Ge
stöhn, Fritz aber, der de» Verunglückten auf-
recht hielt, sagte: „Um Gottes willen, helft mir!
Mein Freund ist ausgeglitten und hat sich,
wie's scheint, das Bein gebrochen,"

Der Bauer machte ein mürrisches, miß-
trauisches Gesicht, „Lisbeth", rief er nach dem
Stall zu, „komm gleich 'mal mit der Latern'!"

„Mein Bein — au, au — mein Bein", jam-
merte der Schmied stoßweise, und als die
Magd mit dem Licht erschien, zog er das
Hosenbein hinauf. „O verflucht, es schwillt
immer mehr an."

„Fluch nicht, Hein!" verwies ihn Fritz streng,
„Laß sie herein, Bastian!" sagte da die
Bäuerin, die bei den letzten Worten hinzu
getreten war, und der Bauer half selbst den
Schwerverletzten in die Stube schleppen.

Als der stöhnend auf der Ofenbank nieder
gesunken war, löste ihm Fritz vorsichiig den
Schuh und tat, als ob er ihm auch den Strumpf
abziehen wollte. Hein brüllte laut auf vor
Schmerz und stieß den Kameraden von sich.
Aber dieser ließ sich nicht abschrecken. Er
kramte die Salbe heraus und sagte: „Laß mich's
doch nur mal versuchen!"

„Bleib mir vom Leib mit dem einfältigen
Hokuspokus!" schrie der Schmied,

„Hein, du versündigst dich", mahnte Fritz
vorwurfsvoll,

„Es ist Madonnenbalsam", erklärte er dann
den Bauersleuten geheimnisvoll. „Meine Mut
ter hat ihn selbst von einer Wallfahrt zur Wun-
dergrotte in Lonrdes heimgebracht. Vielen hat
er schon geholfen. Aber", setzte er leise und
traurig hinzu, „der ist ein Lutherischer, er will
nicht an die Macht der Heiligen glauben."

ginn redete auch die Bäuerin dem Schmied
ins Gewissen, Und als dieser immer noch nicht
nachgeben wollte, drohte der Bauer, dem die
Aussicht, einen kranken mittellosen Mann
wochenlang im Hause liegen zu haben, sehr
unangenehm war, ihn wieder vor die Tür zu
setzen, wenn er bei seiner Halsstarrigkeit bliebe.
Er solle sich an dem rechten und festen Glauben
seines Kameraden ein Muster nehmen!

Da konnte der Schmied das Lachen nicht
länger unterdrücke». Er preßte die Hände vor
 
Annotationen