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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 27.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.6708#0012
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Rasche Sinnesänderung.

„Ah, welch herrliche Überraschung, meine lieben Landeslinder wollen mich gewth zu meiner liiueliehr von
der Reise begrüßen?"

„Verzeihung, Durchlaucht, es ist eine Wahlrechtsdemonstration."

„Unerhört — das ist ja Landesfriedcnsbruch! Warum jagt man denn das Gesindel nicht mit blanker Waffe
auseinander!?!"

-O O O—-—

das Gesicht und suchte vergeblich über die
krampfhafteu Zuckungen seines Leibes Herr
zu werden.

„Weine doch nicht, Hein", sagte Fritz rasch
gefaßt; und als die Zuckungen Heins darallf
noch heftiger wurden, fügte er tröstend hinzu:
„Du sollst sehen, der Madonnenbalsam hilft."

Dann ersuchte er den Bauern llnd die bei-
den Frauen, denen die Tränen in den Augen
standen, die Jungfrau voll Lourdes um das
Gelingen der Kur z>l bitten. Die sanken and)
sofort in gewohnter Meise in die Knie, wäh-
rend Fritz, in das Gemurmel einstimmend, sich
so vor Hein niederließ, daß er den Bauers-
lellten den Blick auf das kranke Bein versperrte.
Jetzt begann der Schmied das Tuch in die
Hose hinaufzuziehen, was ihm um so leichter
gelang, als Fritz ihm zugleich den Strumpf
unter dem Hosenbein lockerte. Sobald diese
Prozedur glücklich erledigt war, strich Fritz
Wundersalbe auf die schadhafte Stelle.

Da ließ Hein sein schmerzhaftes Stöhnen
in ein erlöstes Ah . . . übergehen. Fritz sprang
erregt auf: „Geheilt", rief er mit freudigem
Staunen, „Preis und Dank der heiligen Jung-
frau von Lourdes

Die Bauersleute traten heran, betrachteten
und betasteten die vordem so gefährlich ge-
schwollene Stelle. Ja wahrhaftig! Die Wunder-
salbe hatte jede Spur der Verletzung getilgt.
Das Bein ivar geheilt, da war jede Täuschung
ausgeschlossen.

Hein ivollte zwar anfangs noch nicht daran
glauben, und nur zögernd wagte er den Ver-
such, sich aufzurichten und vorsichtig aufzu-
treten. Dann ging ein Glückstrahlen über
sein Gesicht. Ja, jetzt mußte er selbst an das
Wunder glauben. Gerührt fiel er seinem
Kameraden um den Hals. Das werde er ihm
nie in seinen: Leben vergessen, beteuerte er,
und jetzt sähe er ein, daß dessen Glaube doch
der richtige sei.

Der Bauer freute sich nicht wenig, daß ihn:
die drohende Last abgenommeu war, und die
Bäuerin war sehr stolz, daß der „Lutherische"
sich von der Macht der Madonna von Lourdes
hatte überzeugen müssen. Zugleich aber stieg
der Wunsch in ihr auf, die köstliche Salbe zu
gewinnen. Sie wolle gern ein gutes Stück
Geld dafür zahlen, erklärte sie den: Schreiner.

Der aber sagte großmütig: Nein, Geld nehme
er nicht von ihr, auch könne er die Salbe nicht
ganz weggeben. Aller die Hälfte ivolle er ihr
zun: Geschenk niachen, wenn sie ihn: und sei-
nen: Kaineraden für heute Nachtquartier und
gute Verpflegung gebei: wollte.

Die Bäuerin war glücklich, so billig in den
Besitz des wunderkräftigen Heilmittels zu kom-
men, und als Fritz andeutete, daß er gern mal
Bratwürste essen möchte, sagte sie, die feieu
zwar für den Neujahrstag bestimmt gewesen;
aber nun solle es mal gleich hoch hergehen.

So saßen denn bald fünf vergnügte Men-
schen um den Tisch und hieben, nachdem sie
die Milchsuppe ausgelöffelt hatten, mit natur-
wüchsigem Appetit in die Bratwürste ein, zu
denen die dampfenden Pellkartoffeln eine vor-
treffliche Beigabe bildeten. Den Durst aber, der
sich dabei bald meldete, stillten sie aus einen:
Krug Apfelwein, den der Bauer aus den: Keller
heraufholte und wiederholt nachfüllte.

Da ivurde es denn immer fideler. Der Wirt
taute auf und erzählte Lustiges aus seiner
Soldatenzeit. Fritz ivar voller Schnurren. Die
Weibsleute kamen aus den: Lachen nichtheraus,
und der Schmied, den: es ein Bedürfnis war,
sich richtig auszulachen, stinunte kräftig ein.

Lisbeth aber, die eine entfericke Verwandte
der Bäuerin war und als Ersatz für die Ar-
beitskraft des bei»: Militär abwesenden Sohnes

in Dienst genominen ivar, warf den: frischen
Schreinergesellen immer zärtlichere Blicke zu.
Es war sehr einsam hier oben für sie. Der
gewandte Fritz, den: schon au: Nachmittag ihre
blauen Augen und die dicken blonden Zöpfe
ausnehmend gut gefallen hatten, gewann rasch
geheime Fühlung mit. ihr.

Die Baiiersleute waren das lange Ausbleiben
nicht gewöhnt. Nach zehn Uhr kan: ihnei: der
Schlaf. Auch Hein sank bald auf den: Lager,
das Lisbeth den beiden Wanderern in einer
Dachkainmer mit einigen Bund Stroh und
allerhand Decken bereitet hatte, in tiefen Schlaf.

Fritz aber fand den gewiesenen Weg in eine
andere Kammer, wo zwei glückliche Menschen
noch lange nicht einschliefen, sondern sich, als
die Schläge der Schwarzwälderuhr das neue
Jahr ankündeten, ewige Liebe und Treue ins
Ohr tuschelten.

Ob das Schicksal es den beiden ermöglichte,
dieses Versprechen zu halten, wissen wir nicht.
Soviel aber steht fest, daß der Schreinergeselle,
als die lustigen Gefährten andern Vormittags

der Stadt zuwanderten, die feste Absicht kund-
gab, dort Arbeit zu nehmen und bald mal
wieder zu den Bauersleuten zurückzukehren.
Eine so schöne Silvesterfeier wie diese hatte
er noch nicht erlebt. ©

Gruß für die neue Zeit.

Von einem Blinden gedichtet.

Hält »ns auch die Nacht umfangen,
Ist der Morgen doch nicht fern.
Ohne Furcht und ohne Bangen
Folgen wir dem neue» Stern,

Der uns alle, alle führe
Zu der Wahrheit und dem Recht,
Jedem werd', was ihm gebühre,

Ob er Lerr sei oder Knecht.

Ob Gesunde oder Kranke —

Beide leben in der Welt.

Darum nieder mit der Schranke,

Die uns eitle Klugheit stellt!

Laßt uns miteinander ringen,

Jeder Mann sei kampfbereit,

Dann wird uns das Werk gelingen
Für die große neue Zeit.
 
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