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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 27.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.6708#0056
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6531

Hamborg bei Sankt
Liederlich, im Februar.

Werte Redakschon!

Mit dem Propor-
schonalverfahren bei
die Bürgerschaftswah-

len ist es eine lustige
Sache und ich habe
meine diebische Freude
an die lange Näse von
meinem Nachbar, dein
Kränrer, wo von Reli-
gion ein richtiger Antisemit ist, aber voin un-
reinsten Wasser, denn er ist jümmers schmierig.
Also Jochen Piepenstiel, so heißt er, nahm
einen Stimmzettel von die Partei der Link-
michel, denn die ist ihm „konschenial", wie er
immer sagt, und strich 'n paar Namen und
setzte 'n paar Namen zu, nämlich natürlich
auch verschämte und unverschämte Antisemiten,
und mit diesem panaschierteu Zettel ging er
stolz hin im Bewußtsein seiner Borgerwürde
und klebte die erstklassige Marke drauf und
steckte ihn in den Kasten und somit war der
feierliche Akt geschehen und Jochen Piepenstiel
kam bei mich und rühmte sich seiner Tat.
Worauf ich ihm grienend seinen Grog mischte
(aberst natürlich von dem schlechteren Rum,
denn den besseren habe ich nur für meine
internatschonalen Stammgäste und nich für
so'n Spießer) und in aller Höflichkeit zu ihm
sagte: „Höchstgeehrter Nachbar Piepenstiel, Sie
fünd ja der ausgewachsenste Ochse, wo mir
in meine langjährige Praxis als Köminsulaner
vorgekommen ist." Dadurch war er doch 'n
büschen benaut und glotzte tiefsinnig in sein
Glas. .

Inzwischen hatte ich mir natürlich auch mein
Glas gemischt und fuhr in mein nachbarlich-
freundschaftliches Gespräch fort: „Herr Jochen
Piepenstiel, Sie sünd wahr und wahrhaftig
der größte Esel, wo einmal auf zwei Beine
durch die Welt gestolpert ist!" Aberst nun
fühlte er sich getroffen und fragte: „Woso
meinen Sie das?" Indem ich mir'n frischen
Swatten umständlich zurechtknetcte, bemerkte
ich ihm liebreich: „Ja, Piepensticl, das ist schon
so und Ihnen fehlen zum mekelburgischen
Wappentier man bloß die Hörner; aberst die
kommen wohl noch, den» jedes Talent trägt
seine Frucht. In Ansehung von Ihre Be-
griffsstuhigkeit will ich Sie nunmehr verklären,
woso ich das gemeint habe. Nämlich auf die
Liste, ivofür Sie gestimmt haben, steht ziemlich
obenan ein Südphönizier aus die schönste
Kartofselgegend von Galizien. Und weil nun
Ihre erstklassigen zwölf Antisemiten für die
ganze Liste zählen, so haben Sie antisemitisches
Kubikrindvieh dem Juden zum Siege ver-
holfen, und das freut mich, und darauf nehm
ich noch 'n Grog in das erhebende Bewußt-
sein, daß ihr Antisemiten und Mittelständler
und Konsumvereinsfresser und Schassköpfe das
auserwählte zoologische Publikum seid, wo
eigentlich nur mit Heu gefüttert werden soll
und nur aus Versehen mal 'n Beefsteak ver-
schlingt, indem es selbiges für Runkelrüben
estimiert."

In diese angenehme Weise belehrte ich
meinen Jochen Piepenstiel noch in längeren
zuvertraulichen Worten über das Propor-
schonalsiehstem und seine Folgen, und er war
darüber reineweg futsch und brauchte fünf
^wg, bis er das Ding kampiert hatte, worauf
er noch einen nahm und mit die Faust auf
, " Tisch haute und alsdann Tränen vergoß,
mdem er von das heulende Elend befallen
wurde, und einen gräsigen Schwur tat, daß
er s die „Verräter am Mittelstand" schon be-

vcirn fensterln.

Die nationalliberale Buhlerin: Ach Gott, was ich »och in meinen alten Tagen
machen muß! Wenn er mich nur wenigstens nimmt!

---o o o-

sorgen wolle, die das Proporschonalding auf-
gebracht haben, und stehenden Fußes wolle
er hingehen und einigen die Fenster ein-
schmeißen aus Rache und ich solle ihm man
'n paar faßliche Steine geben und so. Aberst
ich gab ihm nur Kartoffel» und damit zog er
ab in so schwankender Gangart wie 'ne ranke
Brigg in die Dünung.

Am andern Tag habe ich von dem Schutz-
mann, wo ihn nach erregten fiefmarkver-
tein sicher nach Hause geleitete, erfahren, daß
Jochen Piepenstiel wegen Spektakelmach ens
und allgemeine Unfüglichkeit verschütt worden
sei und auf die Wache noch 'u Wasserkrug
kaput geschlagen habe und sonstige Sachbe-
schädigung, wofür er noch die Rechnung be-
kommen werde.

Woraus die verehrliche Redakschon mit leichte
Mühe ersehen kann, was für ein feines Wahl-
siehstem wir in Hamborg haben, indem der
Antisemit dem Juden zum Sieg verhilft und
nachher für seine ordnungsrettende Tat ein-

gespundt wird, was aber so'n Hornochsen
recht geschieht.

Mit einem Grog von Jamaika schließe ich
diesen rein informatorischen Brief über die
Proporschonalwahl und ihre Folgen als der
werten Redakschon getreuer

Claus Swartmuul,
Kriegsberichterstatter und Fleegenwirt.

Lieber Wahrer Jacob!

Neulich wollte ich einen Berliner Schutz-
mann anöden. „Entschuldigen Sie, Herr Wacht-
meister!" flötete ich möglichst dämlich: „Ich
muß heute noch den heiligen Bureaukratius
spreche». Können Sie mir nicht vielleicht sagen,
ivo der Herr sich zurzeit gerade aufhält?"

Der Mann des Gesetzes verzog keine Miene,
sondern meinte mit jener Höflichkeit, die den
Berliner Schutzleuten im Verkehr mit dem
Publikum so eigentümlich ist: „Na, am sicher-
sten treffen Se ’it woll in't Reichspostamt!"
 
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