6532 - •
Die fronde.
Vom Norden her tönt wüst Geschrei,
Wie panzerklirren klingt's dabei.
Und viele Schwerter werden blank,
Viel Ritterschwerter, ellenlang,
Ls brüllt mit voller Lungenkraft
Die Mecklenburger Ritterschaft:
„Hoch lebe die Revolution,
Wenn man uns stößt von unserm Thron!
Der Teufel hole Hin; und Kun;,
Das Ständerecht, das paßt für uns!
Zest hält, was einmal ste errafft,
Die Mecklenburger Ritterschaft.
„Und geht das Recht zum Drkus auch,
Das stößt uns nimmer vor den Bauch.
Und wenn der Zürst uns weiter hetzt,
Dann wird er eben abgesetzt!
Blau Blut ist ein besondrer Saft —
Das lehr' ihn seine Ritterschaft!!"
Und die feudale Plempe klirrt.
Sie klirrt — bis sie zerbrochen wird,
Bis sich das Volk, das Volk ermannt
Fm Bauern- und im Arbeitsstand
Und fest den Hosenboden strafft
Der Mecklenburger Ritterschaft! P. E.
Die Schleppe.
Nun hing sie mir an. Ich wurde sie nicht
mehr los. Meine Phantasie schleifte sie hinter
mir her — diese verdammte Schleppe.
Im Schaufenster eines feinen Mode-Ateliers
hatte ich sie liegen sehen. Ein Haufen Menschen
stand davor und bewunderte sie.
„Jotte doch, wie schön!" sagte ein armselig
gekleidetes Mütterchen, und ihre mageren, zer-
arbeiteten Hände machten unwillkürlich eine
Bewegung, als ob sie über das
Wunderwerk hinstreichen wollten.
Wirklich ein pompöser Schweif
aus Samt und Seide, aufgeplustert
durch kostbare Spitzen und mit Gold-
stickerei überreich verziert! Die
Wachspuppe aber, die das Staats-
kleid trug, lächelte so hochnäsig
dumm, wie nur ein Frauenzimmer
lächeln kann, das sich der eminenten
Ehrebewußt ist, einen solchen Pracht-
schivanz hinter sich her schleifen zu
dürfen.
Zu dumm — dachte ich und wollte
schon gehen. Aber da trat gerade
ein eleganter junger Mann mit ditto
Dame heran, dem man es sofort
anhörte, daß er zur „Branche" ge-
hörte. Er gab seiner Begleiterin fach-
männische Aufklärungen, und ich
spitzte die Ohren, um auch etwas
davon zu profitieren.
Also eine „Courschleppe" war das.
Bei der großen „Defiliercour" im
Schloß zu Kaisers Geburtstag müs-
sen die Damen mit solchen Schleppen
erscheinen. Das ist „strenge Vor-
schrift". Und „strenge Vorschrift"
ist auch, daß die Schleppen der
jungen Damen nicht mehr als 3,25
bis 3,50 Meter messen; die der ver-
heirateten Frauen dürfen ein viertel
Meter länger sein. Schleppen von
vier Meter Länge dagegen sind ein
Vorrecht der Prinzessinnen von
Geblüt. Die junge Dame schauerte
ehrfurchtsvoll zusammen, und das
Mütterchen sagte gerührt:
„Ach Jotte, nee!"
„Was nmg denn wohl so ein Ding kosten?"
fragte ich.
„Die da? — Mindestens dreitausend Emm,"
erwiderte der Jüngling mit Kennermiene.
„Sehen Sie nur die kostbaren Spitzen und die
wunderbare Stickerei! An so 'ner Schleppe
haben zehn Arbeiterinnen zehn Tage von früh
bis in die späte Nacht hinein zu tun."
„Das wären doch immer erst fünfhundert
Mark, wenn jede fünf Mark den Tag erhält,"
warf ich hin.
„Fünf Mark?" sagte er mit einen: Tone, in
dem sich sittliche Entrüstung und verächtlicher
Spott über nieine naive Unwissenheit mischte.
„Sagen wir zwei Mark. Die Firma inuß doch
auch etivas dran verdienen!"
Die llinstehenden sahen mich mitleidig an.
Ein kleines Mädchen aber mit zerschlissenem,
dünnen: Sommerjäckchen, das ganz vorne stand,
drehte sich nach mir um und sagte stolz: „Meine
Mutter hat ooch dran jearbeetet. Da an die
Besätze."
Damit zeigte es mit den: schmutzigen, dünnen
Fingerchen auf die kostbare Spitzengarnitur
der Schleppe.
„Und sie hat nicht so viel dabei verdient,
daß sie ihren: Kind ein warmes Wintermäntel-
chen kaufen kann," beiuerkte ich bissig und ließ
die Gaffer stehen.-
Aber, wie gesagt, die Schleppe ließ inich
nicht mehr los. Sie hatte sich in meine Phan-
tasie festgehakt. Noch abends in: Bett schwebte
diese glitzernde Ausgeburt menschlicher Unver-
nunft vor meinem geistigen Auge.
Und sie folgte mir in den Traum. Ich be-
fand mich im Thronsaal des Königspalastes.
Wohin ich schaute, stolze Damen in seidenen
Staatskleidern mit schimmernden, meterlangen
Schleppen.
Ah, jetzt ging nur ein Licht auf. Ich begriff
die Idee dieser höfischen Kleidersitte. Die Dainen
stellten ihre rosigen Nacken und Arine und ein
gut Teil die emporquellende Brust nackt zur
Schau. Durch die Schleppe wurde der Ein-
druck verstärkt, als ob sie das Gewand ein
Stück hätten Heruntergleiten lassen. Es schleifte
schon lang auf den: Boden, und wenn sie den
tiefen Hofknicks machten, so schien es vollends
herunterfallen zu wollen. Die süßen Engel
wollten offenbar bannt andeuten, daß sie auf
einen Wink des Fürsten gern bereit seien, es
ganz hinabfallen zu lassen.
Wahrlich, ein lockendes, prickelndes Schau-
spiel!
Aber ich hatte keinen ungetrübten Genuß.
Mein nationalökonomisches Gewissen empörte
sich gegen den unsinnigen und unkünstlerischen
Prunk, der so viel Arbeitskraft unnütz ver-
schlang. Könnten die Damen ihre hingebende
Gesinnung nicht viel einfacher, viel natürlicher
und schöner zum Ausdruck bringen, wenn sie
— in: Hemd vor dem allerhöchsten Herrn vor-
beidefilierten?!
Der Gedanke erschien mir im Traun: als
eine so geniale Offenbarung, daß ich sofort
vorwärts drängte, um ihn Seiner Majestät
selbst zu unterbreiten. Kein Zweifel, der Vor-
schlag würde sofort akzeptiert und ich mit einem
hohen Orden belohnt werden.
Ratsch! — Ich war in der Eile auf eine
prachtvolle, extralange Schleppe getreten. Zor-
nig fuhr die Eigentümerin herum. Herrgott,
das war ja Ihre Majestät selbst am Arm
Seiner Majestät!
Bon: Hemd konnte ich da doch nicht gleich
anfangen. Erst die Kritik der Schleppe, dachte
ich, und schon stolperten mir die Worte über
die Zunge: „Unsoziale Vergeudung von Ar-
beitskraft . . . arine Näherinnen . . . keine
warmen Kleider für ihre Kinder ... unchrist-
liche Verschwendung . . . undeutschen, protzi-
gen Prunk ... die Germania trägt doch auch
keine Schleppe . . ."
Ein höhnisches Lachen ringsum
unterbrach mich. Ich sah auf. Die
Dante neben Sr. Majestät war gar
nicht höchstderen Frau Gemahlin.
Es war die Gerinania selbst. Ich
erkannte sie deutlich an der Ähnlich-
keit mit dem berühmten Bild von
Professor Knacksbein.
Himmel, hatte Frau Germania
eine Schleppe! Über zwanzig Meter
lang war sie und über und über
bestickt mit Kronen und Tieren, Ad-
lern, Löwen, Greifen und Ochscu-
köpfen. „Die kostet sicher über fünfzig
Millionen Mark . . . jährlich . . .
allein an Futter für die vielen
Wappentiere", so fuhr es mir blitz-
schnell durch den Sinn. Und ich Esel
hatte eben behauptet, die Germania
trage keine Schleppe!
Das Blut schoß mir in den Kopf.
Hundert höhnische Blicke durch-
stachen :nich. Ich glaubte vor Scham
in den Boden versinken zu müssen.
Wirklich, da versank ich schon. Jäh-
lings ging's hinab. . . .
Entsetzt griff ich um mich. Ich
hatte die Bettkante in der Hand.
Gott sei Dank; ich war gerettet.
Als ich mir die Sache dann in
wachem Zustand noch einmal über-
legte, sah ich ein, wie töricht und
verwerflich mein Angriff auf die
geheiligte Hofsitte war.
Jeder Gutgesinnte muß für Bei-
behaltung der Schleppe sein. Oder
kennt jemand ein tiefsinnigeres Syin-
bol der Monarchie? M
Der ftllmme Reichsbaß.
.
Die fronde.
Vom Norden her tönt wüst Geschrei,
Wie panzerklirren klingt's dabei.
Und viele Schwerter werden blank,
Viel Ritterschwerter, ellenlang,
Ls brüllt mit voller Lungenkraft
Die Mecklenburger Ritterschaft:
„Hoch lebe die Revolution,
Wenn man uns stößt von unserm Thron!
Der Teufel hole Hin; und Kun;,
Das Ständerecht, das paßt für uns!
Zest hält, was einmal ste errafft,
Die Mecklenburger Ritterschaft.
„Und geht das Recht zum Drkus auch,
Das stößt uns nimmer vor den Bauch.
Und wenn der Zürst uns weiter hetzt,
Dann wird er eben abgesetzt!
Blau Blut ist ein besondrer Saft —
Das lehr' ihn seine Ritterschaft!!"
Und die feudale Plempe klirrt.
Sie klirrt — bis sie zerbrochen wird,
Bis sich das Volk, das Volk ermannt
Fm Bauern- und im Arbeitsstand
Und fest den Hosenboden strafft
Der Mecklenburger Ritterschaft! P. E.
Die Schleppe.
Nun hing sie mir an. Ich wurde sie nicht
mehr los. Meine Phantasie schleifte sie hinter
mir her — diese verdammte Schleppe.
Im Schaufenster eines feinen Mode-Ateliers
hatte ich sie liegen sehen. Ein Haufen Menschen
stand davor und bewunderte sie.
„Jotte doch, wie schön!" sagte ein armselig
gekleidetes Mütterchen, und ihre mageren, zer-
arbeiteten Hände machten unwillkürlich eine
Bewegung, als ob sie über das
Wunderwerk hinstreichen wollten.
Wirklich ein pompöser Schweif
aus Samt und Seide, aufgeplustert
durch kostbare Spitzen und mit Gold-
stickerei überreich verziert! Die
Wachspuppe aber, die das Staats-
kleid trug, lächelte so hochnäsig
dumm, wie nur ein Frauenzimmer
lächeln kann, das sich der eminenten
Ehrebewußt ist, einen solchen Pracht-
schivanz hinter sich her schleifen zu
dürfen.
Zu dumm — dachte ich und wollte
schon gehen. Aber da trat gerade
ein eleganter junger Mann mit ditto
Dame heran, dem man es sofort
anhörte, daß er zur „Branche" ge-
hörte. Er gab seiner Begleiterin fach-
männische Aufklärungen, und ich
spitzte die Ohren, um auch etwas
davon zu profitieren.
Also eine „Courschleppe" war das.
Bei der großen „Defiliercour" im
Schloß zu Kaisers Geburtstag müs-
sen die Damen mit solchen Schleppen
erscheinen. Das ist „strenge Vor-
schrift". Und „strenge Vorschrift"
ist auch, daß die Schleppen der
jungen Damen nicht mehr als 3,25
bis 3,50 Meter messen; die der ver-
heirateten Frauen dürfen ein viertel
Meter länger sein. Schleppen von
vier Meter Länge dagegen sind ein
Vorrecht der Prinzessinnen von
Geblüt. Die junge Dame schauerte
ehrfurchtsvoll zusammen, und das
Mütterchen sagte gerührt:
„Ach Jotte, nee!"
„Was nmg denn wohl so ein Ding kosten?"
fragte ich.
„Die da? — Mindestens dreitausend Emm,"
erwiderte der Jüngling mit Kennermiene.
„Sehen Sie nur die kostbaren Spitzen und die
wunderbare Stickerei! An so 'ner Schleppe
haben zehn Arbeiterinnen zehn Tage von früh
bis in die späte Nacht hinein zu tun."
„Das wären doch immer erst fünfhundert
Mark, wenn jede fünf Mark den Tag erhält,"
warf ich hin.
„Fünf Mark?" sagte er mit einen: Tone, in
dem sich sittliche Entrüstung und verächtlicher
Spott über nieine naive Unwissenheit mischte.
„Sagen wir zwei Mark. Die Firma inuß doch
auch etivas dran verdienen!"
Die llinstehenden sahen mich mitleidig an.
Ein kleines Mädchen aber mit zerschlissenem,
dünnen: Sommerjäckchen, das ganz vorne stand,
drehte sich nach mir um und sagte stolz: „Meine
Mutter hat ooch dran jearbeetet. Da an die
Besätze."
Damit zeigte es mit den: schmutzigen, dünnen
Fingerchen auf die kostbare Spitzengarnitur
der Schleppe.
„Und sie hat nicht so viel dabei verdient,
daß sie ihren: Kind ein warmes Wintermäntel-
chen kaufen kann," beiuerkte ich bissig und ließ
die Gaffer stehen.-
Aber, wie gesagt, die Schleppe ließ inich
nicht mehr los. Sie hatte sich in meine Phan-
tasie festgehakt. Noch abends in: Bett schwebte
diese glitzernde Ausgeburt menschlicher Unver-
nunft vor meinem geistigen Auge.
Und sie folgte mir in den Traum. Ich be-
fand mich im Thronsaal des Königspalastes.
Wohin ich schaute, stolze Damen in seidenen
Staatskleidern mit schimmernden, meterlangen
Schleppen.
Ah, jetzt ging nur ein Licht auf. Ich begriff
die Idee dieser höfischen Kleidersitte. Die Dainen
stellten ihre rosigen Nacken und Arine und ein
gut Teil die emporquellende Brust nackt zur
Schau. Durch die Schleppe wurde der Ein-
druck verstärkt, als ob sie das Gewand ein
Stück hätten Heruntergleiten lassen. Es schleifte
schon lang auf den: Boden, und wenn sie den
tiefen Hofknicks machten, so schien es vollends
herunterfallen zu wollen. Die süßen Engel
wollten offenbar bannt andeuten, daß sie auf
einen Wink des Fürsten gern bereit seien, es
ganz hinabfallen zu lassen.
Wahrlich, ein lockendes, prickelndes Schau-
spiel!
Aber ich hatte keinen ungetrübten Genuß.
Mein nationalökonomisches Gewissen empörte
sich gegen den unsinnigen und unkünstlerischen
Prunk, der so viel Arbeitskraft unnütz ver-
schlang. Könnten die Damen ihre hingebende
Gesinnung nicht viel einfacher, viel natürlicher
und schöner zum Ausdruck bringen, wenn sie
— in: Hemd vor dem allerhöchsten Herrn vor-
beidefilierten?!
Der Gedanke erschien mir im Traun: als
eine so geniale Offenbarung, daß ich sofort
vorwärts drängte, um ihn Seiner Majestät
selbst zu unterbreiten. Kein Zweifel, der Vor-
schlag würde sofort akzeptiert und ich mit einem
hohen Orden belohnt werden.
Ratsch! — Ich war in der Eile auf eine
prachtvolle, extralange Schleppe getreten. Zor-
nig fuhr die Eigentümerin herum. Herrgott,
das war ja Ihre Majestät selbst am Arm
Seiner Majestät!
Bon: Hemd konnte ich da doch nicht gleich
anfangen. Erst die Kritik der Schleppe, dachte
ich, und schon stolperten mir die Worte über
die Zunge: „Unsoziale Vergeudung von Ar-
beitskraft . . . arine Näherinnen . . . keine
warmen Kleider für ihre Kinder ... unchrist-
liche Verschwendung . . . undeutschen, protzi-
gen Prunk ... die Germania trägt doch auch
keine Schleppe . . ."
Ein höhnisches Lachen ringsum
unterbrach mich. Ich sah auf. Die
Dante neben Sr. Majestät war gar
nicht höchstderen Frau Gemahlin.
Es war die Gerinania selbst. Ich
erkannte sie deutlich an der Ähnlich-
keit mit dem berühmten Bild von
Professor Knacksbein.
Himmel, hatte Frau Germania
eine Schleppe! Über zwanzig Meter
lang war sie und über und über
bestickt mit Kronen und Tieren, Ad-
lern, Löwen, Greifen und Ochscu-
köpfen. „Die kostet sicher über fünfzig
Millionen Mark . . . jährlich . . .
allein an Futter für die vielen
Wappentiere", so fuhr es mir blitz-
schnell durch den Sinn. Und ich Esel
hatte eben behauptet, die Germania
trage keine Schleppe!
Das Blut schoß mir in den Kopf.
Hundert höhnische Blicke durch-
stachen :nich. Ich glaubte vor Scham
in den Boden versinken zu müssen.
Wirklich, da versank ich schon. Jäh-
lings ging's hinab. . . .
Entsetzt griff ich um mich. Ich
hatte die Bettkante in der Hand.
Gott sei Dank; ich war gerettet.
Als ich mir die Sache dann in
wachem Zustand noch einmal über-
legte, sah ich ein, wie töricht und
verwerflich mein Angriff auf die
geheiligte Hofsitte war.
Jeder Gutgesinnte muß für Bei-
behaltung der Schleppe sein. Oder
kennt jemand ein tiefsinnigeres Syin-
bol der Monarchie? M
Der ftllmme Reichsbaß.
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