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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 27.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.6708#0179
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6654

Die €vangeli$d)=$ozia1en.

Es schwebte die Menschheit in Augst und
Bangen,

Als durch den Kometen wir durchgegangen,
Zu Chemnitz aber tagte indes
Der Evangelisch-soziale Kongress,

Der wieder mit Fjoffnung und Gottvertrauen
Uns lehrte in die Zukunft zu schauen
Und klar bewies, dass auf dieser Erden
Die Jromnien im Berrn nicht alle werden.

Uon Geheimen Oberregierungsräten
GJard er eröffnet mit kräft’gen Gebeten,
Drauf Hess man etliche Exzellenzen
Sozialpolitische Gleisbeit kredenzen
Und lauschte mit wissbegierigen Ohren
Den Reden der Bast- und Professoren.

Es gab — so biess es — jüngst eine Krise,
Doch nicht allzu drückend erschien uns diese;
Man hat sie, gottlob, in deutschen Landen
Uerhältnismässig leicht überstanden:

Es ist verhungert, soweit wir hören,

Dicht einer von unseren Millionären,'
Gloraus man erkennt, dass auf dieser Gleit
Im ganzen doch alles recht gut bestellt

Andrew Fisher

der neue Prcinicrministcr von Australien.

Bei den letzten australischen Wahlen errang die
Arbeiterpartei die absolute Mehrheit, indem ihr
von 75 Mandaten 4t zufielen. Der Führer der Arbeiter-
partei, Andrew Fisher, wurde darauf mit der Bil-
dung der neuen Regierung beauftragt und hat diese
Aufgabe auch durchgeführt.

Geisterstimme in Braunscbweig.

€s wandelt ein Beist um Mitternacht
Durcl) Braunscbweigs ballende Bassen,

Er trägt in seiner band den Kopf,

Den auf dem Schafott er gelassen.

Der Kopf war am Rathaus einst aufgesteckt;

Der Seist wollt' mit vielem Beschicke

Ihn aufsetzen wieder, doch zeigt siel) am Rais

Ein rötlicher Streif dem Blicke.

Das ist der brave fjennig Brabant,

Der Stadtbaupfmaun dort einst gewesen
Und der den Kampf für des Holkes CUobl
Zum Ziel sich hatte erlesen.

Und redliches mühen noch immer sich lohnt —
Drum preiset den Herrn, der über uns wohnt!

Indessen müssen wir auch mit warmen
Kerzen denken an unsere Armen;

Mir müssen, was sie brauchen zum Leben,
Ihnen ohn’ Murren gönnen und geben
Und gern ihnen helfen zu erlangen
Die Güter, die ihnen verloren gegangen.

Dazu gehören in erster Reihe
Die Uaterlandsliebe und Königstreue,
Einfältiger Sinn ohne Bass und Deid
Und das Uertraueu zur Obrigkeit.

Diese Gaben dem Uolk zu verleiben,

Dürfen wir keinerlei Opfer scheuen,

Mir müssen sie spenden mit vollen Bänden,
Dann wird alles Elend in Segen sich wenden,
Dann grünen aufs neue die dürren Reiser —
Es lebe Seine Majestät der Deutsche Kaiser!

Und weiter noch ging’s in demselben Geleise,
Man sprach viele Stunden beherzt und weise,
Man sprach vom monarchischen Prinzip,
Und dass von Karl Marx nichts übrig blieb,

Der spricht: „Ich bab’ einst das Alte bekämpft,
Das nannte man Umsturzbestrebung;

Sich wider die Staatsordnung auflehnen biess
Man des neuen Geistes Belebung.

„Da haben sie mich unschädlich gemacht,

Als ich wollt' brechen die Schranken
Des Ueberlebten; es blieben jedoch
Lebendig meine Bedanken.

„Doch brach herein eine nene Zeit,

Die musste mich anerkennen,

Und nach dem einst so Uerlernten Iicss
Man eine Strasse benennen.

„Drum mögt ihr, die ihr fürs lleuc jetzt kämpft,
Die Stimme Brabants beut hören,

Denn was ich in diesen Lagen sab,

Das tat mich beraufbesebwörett.

„Ja, haltet nur immer tapfer aus,

Sie werden euch nicht bezwingen,

Es lässt mit Justiz und mit Polizei,

Der Beist sich nicht niederringen.“ —

Und wie der Beist so spricht vor sich bin,

In tiefem Sinnen verloren,

Kommt eine Patrouille der Polizei,

Und die hat gar feine Obren.

Sie ruft: „„wer will hier über Justiz
Und Polizei räsonieren?

Streng ist es verboten, um Mitternacht
Auf der Strasse zu demonstrieren.

„„Sic sind arretiert!““ Da schlägt cs eins,

Bleich Hebel schwindet der Schemen-

Es lassen die ßeister um Mitternacht

Sich auch nicht gefangen nehmen. g.Ti.

Lieber Wahrer Jacob!

Als Roosevelt Europa verließ, erhielt er ein Tele-
gramm des Edlen b. Oldenburg aiis Jannschan:
„Das größte Mail! der östlichen Erdkugel grüßt
das größte Mail! der westlichen Erdkugel!"

„Thank you. Aber es käme zivischen uns beiden
immer noä) sehr auf die Weltmeisterschaft an!!" >var
die heranssordernde Antwort des unermüdlichen
Sportsuiannes Rooseheli.

ünd von der verrohten Roten AJüten,

Und von den zu grossen Damenbüten,

Und schimpfte moralisch empörten Gemüts
Auf Glertbeim, Cubascb, Jandorf und Cietz,
Man erwog, wie in jetziger schlimmer Zeit
Man altchristliche Zucht und Sittsamkeit
In den deutschen Familien könnt’ fördern und
heben —

Und liess den König von Sachsen leben.

Der Komet indessen im Sphärenglanz
GJedelte fröhlich mit seinem Schwanz
Und sprach: „Seit fünfundsiebzig Jahren
Bin ich hier nicht mehr vorübergefahren;

Gar manches ist in der Zeit gesebebn
Und vieles Neue bab’ ich gesebn,

Gleiten vergingen und Gleiten entstanden —
Doch in den braven deutschen Landen,

Da herrscht unwandelbar noch heut
Der Geist der Biedermeierzeit,

Da schwatzen noch immer vor gläubigen Ohren
Die frumben Pastoren und Professoren,

Und auch die Geheimen Räte, die lieben,
Sind, wie ich sehe, die alten geblieben!“

v. Arnim-SchnodderHeim

an v. Below-Pleilenbltrg.

Mein Allerwertester! Bin eben ans Berlin
zurückgekommen, wo widerWillenganzenRoosc-
velt-Rummel mitgemacht habe. Einfach ekel-
haft! In besseren Kreisen herrscht allgemeine
Entrüstung über total formloses Attstrelen
von transatlantischem Knoten! Gleich erstes
Debüt hochgradig unmöglich. Statt, lvie sich
gehört, durch Brandenburger Tor einznziehen

lmd Oberbürgermeister nebst Stadtverordneten-
blase antanzen itiib strammstehen zu lassen,
fährt Kerl einfach wie'n Weinreisender in pop- -
liger Mietskarre von Stettiner Bahnhof nach
Absteigeguartier! Wäre meines Erachtens richtig
gewesen, ihn dort einfach sitzen zu lassen und
total zu schneiden. Statt dessen wird ganzes
Nest auf Stützen gestellt und sogar königliche
Behörden ivege» edlem Sioux behelligt. Können
sich keinen Begriff von dieser Komödie machen!
Kerl natürlich ohne jede Spur von Schliff und
Ahnung von höherer Bildung: Zylinder —
jüngere Steinzeit! Handschuhe — 8*/«! Kneifer
mit Schnur! Barttracht — zehn Jahre vor
Habys Geburt! Unglückliches Land, das von
solcher Persönlichkeit sich jahrelang regieren
lassen mußte! Kriegte förmliche Gänsehaut, als
groteskeErscheinnng mir unvermntetvorAugen
kam. War vor Universität, wo Kerl Rede ge-
schwungen hatte. Redet überhaupt egal weg.
Hat natürlich keinen Schimmer davon, daß
fortwährendes Schwatzen bei leitenden Staats-
oberhäuptern heuzntage nicht mehr für schick
und genial gilt. Fatalste Chose war aber
doch Parade in Döberitz. Exklusivste preußische
Gardetruppen tatsächlich genötigt, vor üblem
Cowboy zu exerzieren! Ist seit Erschaffung von
Ostelbien doch noch nicht dagewesen! Halte,
nachdem dieses erlebt, nichts mehr für unwahr-
scheinlich. Konnte mich natürlich nicht ent-
schließen, Spektakel mitzumachen, habe aber
die haarsträubendsten Dinge über Affäre ge-
hört. Stellen sich bloß mal, bitte, vor: Kerl
 
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