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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 27.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.6708#0427
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6894

Die Memoiren eines Cannenbaums.

„lDeit vor den Corcn stolzer Prunkpaläste,

Jernab von aller ßrossstadtnienseben Wohnung,
wuchs ich heran in weltentlegnem Neste,

Tn eines Cannenwaldes lichter Schonung,

„Niel junge Bäumchen, duftig, Kerzengrade,
Fjarrten gleich mir dem weihnachtsfest entgegen;
So standen wir in Reib’ und ßlied Parade,

Beim träum von Kerzenglanz und Weihnachtssegen,

„Dann wurden wir verladen, aufgepntzt,

Und durften auf dem weihnachtsmarkt uns zeigen;
Die minder schönen wurden zugestutzt,
Beschnitten an den widerspenst’gen Zweigen.

„So standen wir gar viele tage lang —
wie viele kann ich beut genau nicht sagen —
Als ich vom Stehn schon müde, matt und krank,
ward endlich ich gekauft und fortgetragen,

„Nun kam ich in ein wunderprächtig Raus...
Marmorne treppen, reich verzierte wände,
mit Schmuck und Jlitter putzten dort mich aus
Zwei allerliebste, süsse Jeenhgnde.

„Und wie es dunkelte und Abend war,

Da prangte ich im Glanz von hundert Lichtern,
Umringt von einer frohen Kinderscbar;

£in lachend Holk mit glücklichen gesichtem.

„Das war zuviel des glucks; ich wurde stolz;
Drum kam der Jall.... Reut lieg'ich starrund stumm
Im Kohlenkeller bei dem dürren Rolz,

Und morgen geht’s — ins Krematorium.“

So sprach der tannenbaum, eh’ er zerhackt
Zu Brennholz ward. — Nur seine Memoiren
Ciess er zurück. — wenn euch der Rod>mut packt,
Könnt ihr dasselbe leicht an euch erfahren.

Die Bäumchen aber, kahl und krumm zuvor,

Die—garstig —nicht zum Spielzeug mochten lohnen,
Sie recken ihre Häupter heut empor
Und in die Wolken ragen ihre Kronen.

Alfred Sdjoltz.

O O O

•£) Weihnachten ans der Landstraße, cs»

Eine Erinnerung von Ang. Wysock.

Es war am Tage vor dem Weihnachtsfeste.
Ununterbrochen fiel seit frühem Morgen der
Schnee und machte das Wandern recht be-
schwerlich. Sieben Stunden schon tippelten ivir
mutig drauf los, imd immer noch war unser
Ziel, die Kreisstadt Plöir in der sogenannten
holsteinischen Schweiz nicht erreicht. Mein
Reisekollege, etu junger „Katzenkopp" l auS
Süddeutschland, fluchte in einem fort Über das
vermaledeite Sauwetter. Ich suchte ihn zu
trösten, indem ich von den Annehmlichkeiten
eines Weihnachtsabends auf der Herberge er-
zählte, denn ich hatte einen solchen im letzten
Jahre erst erlebt.

„Übrigens," sagte ich, „ist ja Weihnachten
das Fest der Liebe. Du sollst dich wundern,
was ivir heut abend alles zusammentalfen?
denn heute stecken" die Leute fürchterlich."

„No ja, stecken, einstecken werden's uns halt.
Daß die ,Putzen! heut nit spannen, glaub' i
nimmer! Du mit deiner guat'n Kluft und der
,Mehlspeis" um, hast guat reden. An meinen
.linken Trittchen" merken's schon den Kunden."

„Nur Mut, Katzenkopp," sagte ich, „es wird
schon alles gut gehn!"

Wir waren beide noch sehr jung und tausch-
ten Erinnerungen aus über froh verlebte Weih-
nachtsfeste im Elternhause.

Kurz vor der Stadt kamen wir an einer vor-
nehmen Villa vorüber. Da es schon dunkelte,
waren die Fenstervorhänge zugezogen, und
hinter diesen erstrahlte der Tannenbaum im
Lichterglanze.

Wir kamen überein, hier anzuklopfen
und um ein Almosen zu bitfen. AlleTüren
waren verschlossen. Auf unser heftiges
Klopfen öffnete ein Diener. Wir brachten
unser Anliegen vor.

„Die Herrschaften wünschen heute nicht
gestört zu werden!" herrschte der uns an
und schlug die Türe wieder zu.

„Sakra, dös saan mir die Rechten!"
fluchte der Schlosser.

„Die Reichen nenne» das Nächsten-
liebe," sagte ich.

Es war völlig dunkel, als wir in Plön
anlangten. Auch ich war aufs Betteln an-
gewiesen, denn die letzte Verbandszahl-
stelle lag einige Tage hinter mir und die
kommende war erst in zwei Tagereisen
erreicht.

'Schlossergeselle. ^Zusammenbetteln. Reich-
lich geben. 4 Weiße Wäsche. 5 Schlechte Stiesel.

„Du, ,Prophetenquetscher',"1 sagte Freund
Katzenkopp zu mir, als wir durch die dürftig
beleuchteten Straßen des kleinen Städtchens
schritten, „weißt, wir gehn erst zur Penne,
bevor wir ,auf die Fahrt steigen'? Mein
Ranzen drückt sakrisch und die Füß' saan
quietschnaß."

„Ist mir schon recht," erwiderte ich, „kann
ja sein, daß dort Überraschungen uns erwarten
und wir heute nicht mehr zu fechten brauchen.
Zwanzig .Poscher'" Hab' ich ja noch, zum
.Schlummerkies" wird's wohl reichen. Du
kannst ja bis zur Penne ein paar Laden
stoßen."

„Muß i halt," meinte mein Walzkollege und
machte den Gedanken sofort zur Tat.

Die Herberge, eine sogenannte „Wilde Hei-
mat", war bald ausgekundschaftet. Wir be-
traten das Fremdenzimmer, in dem es sich
schon acht früher Zugereiste bequem gemacht.
Zum Zeichen der Zugehörigkeit klopften wir
mit den Knöcheln der geballten Faust ans den
nächsten Tisch und setzten uns zu den achten.

„Ihr kommt grad noch recht," sagte der Her-
bergsvater, nachdem er uns begrüßt hatte, „in
zehn Minuten geht die Bescherung los; viel
ist's zwar nicht, doch für jeden etwas."-

Wir harrten also der Dinge, die da kommen
sollten. Zu meiner großen Freude befand sich
unter den Anwesenden ein Kollege, und mit

1 Alter Handwerlsburschencmsdruck für Buchdrucker.
2 Fechten gehen. 2 Pfennige. 4 Schlafgeld.

dem alten Buchdruckergruß „Gott grüß' die
Knust" schüttelten wir uns kräftig die Hände.

„Hast schon umgeschaut, Kollex?" fragte ich.

„Leider," antwortete er, „die eine Bude ist
nur da, und ich bekam die bekannte Ant-
wort: Kondition ist nicht, Unterstützung gibt's
nicht."

„Und die Herren Kollegen?"

„Hab' ich nicht gesehn, denn an der Türe
zum Kunsttenipel stand zu lesen: Eintritt streng
verboten!"

Während unseres Gesprächs öffnete sich die
Türe zum Fremdenzimmer, und ein kleines
Dienstmädchen trat mit einem „Gut'n Abend"
etwas befangen ins Zimmer. Wie viele Fremde
zugereist seien, fragte das Mädchen den Vater.
Dieser gab Bescheid, und zu uns gewendet
sagte er: „Die ist vom Tischlermeister Müller,
der kommt fast jedes Jahr und bringt für euch
was mit." Dann erzählte der Herbergsvater,
daß er selbst für uns einige /Minden gestoßen" ’
habe und nun die Bescherung von seiner Seite
beginnen könne. Er verschwand und kam bald
mit zehn Tellern voll Pfefferkuchen, Äpfeln,
Nüssen und sonstigen Weihnachtsnäschereien.
Dann ging er wieder und brachte einenWäsche-
korb voll abgelegter Garderobestücke — Hosen,
Westen, Röcke, einen Sommerpaletot, Hüte,
einige Paar Stiefel, ein paar Dutzend bunter
Krawatten und einen — Frack.

„So, Kinder," sagte er, „jeder kann sich aus-
suchen, was er am notwendigsten gebraucht.
Der Frack ist vom Herrn Bürgermeister;
er war schon voriges Jahr mit bei, den
wollte aber keiner anziehen auf der
Walze."

Jetzt ging's ans Suchen wie in einem
Trödlerladen. MeinReisekollege eroberte
ein Paar Stiefel und freute sich darob
wie ein Schneekönig. Ich annektierte für
mich den Sommerpaletot und einige Kra-
watten. Leider erwies sich der Paletot
für meine kleine Statur als etwas zu
lang — aber es war immerhin ein Pale-
tot, wenn auch nur ein Sommerpaletot.

Natürlich wurden die erbeuteten Gar-
derobestücke sofort allerseits anprobierr.
Daß sich dabei allerlei humorvolle Vor-
gänge abspielten, brauche ich wohl nicht
erst zu erzählen. Ein spindeldürres Männ-
chen, ein Zigarrenmacher, wie er mir

1 An einigen Stellen gebettelt.
 
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