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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 27.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.6708#0429
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-* 6896

Bus dem gefegneten ßdpcrUititlc. Zeichnung von M. Engert.

Wie einer nach der Zentrumspfeife tanzen lernt.

Moadtter volksliecl.

(Nach bekannter Meloäie.)

Linst hau!!' ich mit Caura in Liede vereint,

Sic ging auf die Strafe und ich war ihr freund.
Im Rinnftein wohl lag ich fo manniche Nacht,
Biß lagoro dem allen ein Ende gemacht:

Man fing uns zroei beide und ftedite uns ein -
0 traurig, o traurig, ein Lude zu lein!

Bald hatte genug ich von diefem Betrieb,

Ich wurde ein Oauner, Einbrecher und Dieb,

Ich neppte die Ringe, ich knackte den Schrank,
Ich nährte mich dürftig vom Bauernfang,

Ich fledderte Leichen im Mondenfd)ein —

O traurig, 0 traurig, ein Räuber zu fein!

Bann, als ich mit Oiück einft dem Luchthaus ent-
iprang,

Erhielt ich bei hintze ein Engagement;

Da halt' ich fogleich, was mein herze begehrt.
Ich wurde geachtet, geliebt und geehrt,

Lind durfte mich ganz meinen Neigungen wei hn -
O feiig, 0 felig, Streikbrecher zu fein!

letzt bin ich mir erft meines wertes bewußt.

Ich drefche und wichfe und wamfe mit Luft,
Erlaubt und verziehn wird mir jegliche lat,

Ich fchütz' ja die Ordnung und stütze den 8taat,
Und wirk' mit den Blauen in trautem Verein -
0 felig, 0 felig, Streikbrecher zu fein!

Rn meinem Sarge einst beugen ihr knie
Doll Ehrfurcht Rupfer und Ronipagnie,
freund jagow lendet den prächtigsten Rranz
vem Schirmer und Retter des Vaterlands,

Und Schwebel fegnet die Leiche ein —

0 felig, 0 felig, Streikbrecher zu fein! Balduin.

Stark, stolz und frei!

Mein Freund Theobald ist, wie ihr wohl
schon wißt, zum Ehrendoktor der philosophi-
schen Fakultät der Berliner Universität ernannt
worden. Nie ist einem Würdigeren diese Ehre
zuteil geworden. Denn er ist ein Philosoph
vom Scheitel bis zur großen Zehe, was bei
seiner Körperlänge schon etwas heißen will.

Und was für ein schönes Dankschreiben hat
er an die Fakultät gerichtet! Nichts hat mich
mehr begeistert ivie sein herrliches Wort, „daß
eine starke, stolze, freie Kultur des Geist es
das Fundament auch der politischen und wirt-
schaftlichen Leistungen des deutschen Volkes ist
und bleiben wird".

Als ich das las, konnte ich mich nicht mehr
halten. Sofort langte ich nach Hut und Stock
und eilte zu ihm in die Wilhelmstraße, um ihm
Dank und Bewunderung zu Füßen zu legen.

„Mit diesem Worte, lieber Theobald, hast
du dich selbst übertroffen", rief ich ihm beim

Eintritt zu. „Wie schön, wie wahr, wie präg-
nant hast du damit auch deine ganze seit-
herige Politik gekennzeichnet! Nur neidische
Nörgler können daran mäkeln."

„Dein Urteil, lieber Jakob, ist mir mehr wert
als das der ganzen übrigen Welt", erwiderte
er. „Denn du bist wahrhaft wahr in allem,
was du sagst, ein wahrer Jakob in des Wortes
wahrster Bedeutung."

„O mein teurer Theobald, diesmal muß dir
die ganze Welt zustimmen", entgegnete ich eifrig.
„Oder kann jemand im Ernste bestreiten, daß
du stark bist, stärker als alle im Sturme des
politischen Lebens?"

„Und doch gibt es solche Tröpfe, die mich
einen Schwächling schelten", warf er ein. „Diese
Leute halten den Eichbaum für stark und das
Rohr für schwach. Sie sehen nicht, daß das
letztere, der Windströmung nachgebend, sich
stärker erweist als der störrige Baum, den der
Sturm niederbricht."

„Freilich, freilich!" bestätigte ich. „Die Toren
begreifen nicht, daß gerade deine Schwäche
deine größte Stärke ist. Sie verstehen eben
nichts von der Philosophie, diese Esel!"

„Mit dem Stolze ist es nicht anders", fuhr
Theobald fort. „Ich bin stolz darauf, keinen Stolz
zu besitzen als den, meinem Kaiser und König
zu dienen. Das ist der wahre Stolz, der Stolz
auf den Verzicht eigenen Meinen? und Möllens;
der Stolz, der kein störrisches Widerstreben
kennt gegen einen gottgesetzten höheren Willen."

„Möge dir die Gnade des allerhöchsten Herrn
jederzeit der schönste Lohn sein für diesen edlen
Stolz der Demut," sagte ich bewegt.

Gerührt ergriff Theobald meine Hand und
meinte: „Wir verstehen uns im Höchsten und
Tiefsten, lieber Jakob; du wirst dich auch einig
fühlen mit mir hinsichtlich jenes so oft gemiß-
branchten Begriffs der Freiheit."

„Wahre Freiheit ist das Gebundensein durch
gottgeivollte Abhängigkeiten," erklärte ich ener-
gisch. „Es wäre lächerlich, etwas andere? dar-
unter verstehen zu wollen. Weder der Kaiser
noch die Herren v.Hepdebrand und v.Hertling
würden das ja auch zulassen. Frei ist, wer
freiwillig gehorcht, wenn stärkere Mächte be-
fehlen. Mag dietheoretischePhilosophieandere
Definitionen ausspintisieren; in der praktischen
Philosophie kann nur die Freiheit allseitiger
Gebundenheit gelten."

Da traten dem starken, stolzen und freien
Manne die Tränen der Rührung ins Auge.
„Wie soll ich dir danken für die goldenen
Worte, mein bester, trefflichster Freund!" rief
er ein über das andermal.

Plötzlich flog ein fröhlich-verschmitztes Lächeln
über sein Antlitz. „Ich werde dir eine kleine
Weihnachtsüberraschung besorgen," sagte er
geheimnisvoll. — — — — — — — — —

Er hat Wort gehalten. Wißt ihr, was ich
auf dem Weihnachtstisch fand? — Ein Diplom
der Berliner philosophischen Fakultät, das auch
mich zum Ehrendoktor ernennt „als Anerken-
nung für meine wahrhaft wissenschaftliche,
tiefgründige und verdienstvolle Abhandlung
über die Stärke der Schwäche, den Stolz
des Nichtstolzseins und die Freiheit der
llnfreiheit, die in hohem Maße geeignet
ist, die oberflächlichen, irreführenden und volks-
verderblichen Begriffe, die sich der sogenannte
gesunde Menschenverstand von jenen idealen
Gütern gebildet hat, gründlich zu zerstören." —

Nie habe ich so fröhliche Weihnachten ge-
habt wie diesmal. Ich habe die Festtage nichts
anderes getan, als immer und immer wieder
meinen mit dem neuen Titel geschmück:en
Namen geschrieben.

vr. pbil. b. e. Jakob Wahrer.
 
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