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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 27.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.6708#0431
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— 6898

SL Jagoim notruf. r@

Der Berliner Polizeipräsident sucht in einem amtlichen Aufruf Zeugen, die im Moabiter Prozeß zugunsten der Schutzmannschaft aussagcu sollen.

Zn dem Herzen Gottvertrauen.

Frohe Hoffnung im Gemüt,

Also zog mit meinen Blauen
Munter ich gen Moabit;

Um die Roten zu besiegen,

Hatt' ich scharf mein Schwert gewetzt —

Weh, die Keile, die sie kriegen
Sollten, krieg' ich selber jetzt!

Rur ein Hoffnungsschimmer blinkt noch
Mich mit mattem Blinzeln an,

Rur ein einz'ger Strohhalm winkt noch,
Der vielleicht uns retten kann.

Run wohlan denn, ohn' Verweilen
Schreit' ich zur Verzweiflungstat,

Kleb' an alle Litfaßsäulen
Kur; entschlossen dies Plakat:

Steinbrecht selbst hüllt sich in Schweigen,
Liebers Lippe wurde stumm;

Wehe, die Belastungszeugen,

Weh, fast alle fielen um!

Keiner blieb auf meiner Seite,

Einsam steh' ich, hoffnungslos,
Ungeheuer ist die Pleite
Und der Reinfall riesengroß!

„Höret mich, ihr dunklen Scharen,

Hört des Meisters Zammerschrei!

Die mir oft Gehilfen waren,

Eilt, ich bitt' euch, eilt herbei!

Die ich stets zum Dienst gedungen
Als getreustes Aufgebot:

Teuerste Achtgroschenjungen,

Kommt und helft mir aus der Rot!" rovias.

Dem Verhör, dem mitleidlosen,

Hielt nicht Roß noch Reiter stand,

Ach, das Her; fuhr in die Hosen
Und mein Schifflein auf den Sand;
Stumpf ward meines Schwertes Schneide,
Kraftlos sanken Schild und Speer —
Selbst die stärksten Schutzmannseide
Machten keinen Eindruck mehr!

v. Below-Pleitenburg

an v. Arnim-Schnodderheim.

Mein Allerwertester! Begreife nicht exal-
tierten Presserummel wegen Rede in Beüron!
Muß vielmehr gestehe», daß auch hier wieder
mal vollkommen auf Seite von S. M. stehe
und allerhöchste Empfindungen in jeder Hin-
sicht zu teilen mir schmeicheln darf. Nament-
lich entspricht sympathische Stellungnahme
gegenüber Benediktiner durchaus meiner in-
nersten Überzeugung. Bin ebenfalls bereits
seit meiner Fähnrichszeit aufrichtiger Verehrer
davon und pflege täglich mehrere zum Mokka
zu nehmen. Überhaupt katholische Ordens-
brüder phänomenal tüchtige Kerls, die den
himmlischen und. irdischen Interessen unpar-
teiisch gerecht zu werden wissen. Müssen mich
nicht mißverstehen, mein Allerwertester!
Schwärme ja selbstredend in erster Linie ko-
lossal für Jenseits und werde mich im Zweifels-
salle immer zunächst für ewige Seligkeit ent-
scheide». Meine aber trotzdem, daß irdisches
Jammertal nicht gänzlich geschnitten werden
darf, und finde, daß Benediktiner für diesen
Zweck scharmanten Mittelweg gefunden haben.
Erhalten Volk die Religio» und brauen für
unfereinen Likör. Ganz famose Dienstauf-
fassung der Herren Mönche — nicht wahr?
Bin univeigerlich evangelischer Protestant von
Scheitel bis Sporenspitze und lasse auf unsere
braven Kirchenlichter wahrhaftig nichts kom-
men, versteht sich! Aber in dieser Hinsicht,
muß denn doch gestehen, kann evangelische
Geistlichkeit mit katholischen Kollegen nicht
konkurrieren. Mangelt eben raffiniertere Kultur
und feinerer Pli. Zunge von protestantischen
Theologen mag meinetwegen zum Bußpredigen
ganz gut zu brauchen sein — aber für feinere
Dinge reicht sie leider nicht aus. Glauben
zum Beispiel, daß mein Superintendent Bor-
deaux von Burgunder unterscheiden kann?
Keinen Schimmer! Bezieht seine alkoholischen
Flüssigkeiten einfach aus Kreisnest! Können
sich also denken. Habe von gottverdammtem
Kirchenwein schon zweimal Rachenmandel-
entzündung bekomme». Effektiv das reine
Scheidewasser! Bringe seitdem zum Abend-
mahl für mich und Fainilie immer eigene Pulle
Chambertin mit. Bin aber trotzdem fest ent-
schlossen, in nächster Sitzung von Bund der
Landwirte Antrag zu stellen, daß evangelische
Landgeistliche von Konsistorium angehalten
werden sollen, ernsthafte Versuche mit Schnaps-
fabrikation zu machen. Denke natürlich nicht
an bessere Marken wie Benediktiner, sondern

an populäre Mixturen für große Masse. Wenn
Gebräu recht verlockend ausfällt, könnten ba-
nnt nicht nur katholische Konkurrenz aus dem
Felde schlagen, sondern auch heillosem sozial-
demokratischem Schnapsboykott Bein stellen.
Meine übrigens, daß evangelische Geistlichkeit
uns diesen kleinen Liebesdienst einfach schuldig
ist, da preußischer Adel noch immer ihre beste
und einträglichste Kundschaft bildet!

Apropos, da grade von Alkohol und aller-
höchsten Meinungsäußerungen spreche, möchte
doch nicht unerwähnt lassen, daß durch Flens-
burger Kabinettsordre außerordentlich schmerz-
lich berührt worden bin. Seekadetten sollen
Abstinenzler werden und Guttemplerorden bei-
treten! Im nächsten Krieg werde Sieg der
Nation zufallen, die genngsten Alkoholkonsum,
zu verzeichnen habe! Bin auf Ehre kein Kra-
keeler und werde mich hüten, auch nur leiseste
Kritik an allerhöchsten Kundgebungen zu üben
— muß in diesem Falle aber denn doch sagen:
Verfluchte Chose! Kognakloser Dienst an Bord,
Marine ohne Rotspon, grogfreier Ozean —
absolut undenkbar, einfach unlösbare Wider-
sprüche! Und wenn Armee, die nicht saufen
kann, im nächsten Feldzug siegreich bleibe»
soll, dann würde doch gehorsamst anheim-
stellen, Landheer und Flotte gleich von vorn-
herein nach Muster von Heilsarmee zu organi-
sieren! Ritterliche Uniformierung wird besseren
Regimentern leider Gottes ja ohnehin schon
peu ä peu abgeknöppt, also warum denn nicht
gleich Hallelujakiepe aufstülpen? Kann leider
nicht umhin, zu gestehen, daß derartige Dinge

Die Uüirkung einer Kaiserrede. Zm%"Sow"

Schrecklicher träum einer marinekadeUen.

geeignet sind, auch Leute von tip-top tadellos
loyaler Gesinnung in heiligsten Empfindungen
aufs fatalste zu chokieren.

Während so von allerhöchster Stelle aus an
völkischer Eigenart gerüttelt ivird, nehme mit
Genugtuung wahr, daß geineinere Volks-
schichten, soweit noch nicht von Umsturzbazillus
infiziert, an gesunder nationaler Tradition
gottlob noch immer unverbrüchlich festhalten.
Hundert leere Schnapsflaschen haben vortreff-
liche Berliner Schutzleute auf Moabiter Wal-
statt zurückgelassen! Und trotzdem anerkannt
glanzvoller Sieg mit blanker Waffe gegen
Pöbelmassen und peiirlich blamable Nieder-
lage erst jetzt vor schlappen Gerichtsbonzen,
wo nichts zu saufen gibt! Na also!

Inzwischen Gott befohlen! Ihr Below.

MitznachtEcM.

Zur Mlliläroorlage.

Das war die schöne Weihnachtszeit
vor einem halben Jahrhundert,

Als Alter blick' ich drauf zurück
Zu dieser Zeit verwundert.

Der gute Vater hatte mir
Den Lieblingswunsch erraten;

Sr stellte unter'n Weihnachtsvaum
viel Blei- und Zinnsoldaten.

Da standen sie in langer Reih'

Zu Fuße und zu pserde,

Kanonen waren auch dabei
Und was man sonst begehrte.

Jedoch es floß kein Blut dabei,

Wir scherzten nur und lachten,

Zn knabenhaften Träumen nur
Schlugen wir unsre Schlachten.

Doch ernst wird aus dem Kinderspiel,
Aus Träumen werden Taten,

Es bringt das Lhristkind wiederum
Zum Weiynachtssest Soldaten.

Sie sind nicht mehr von Zinn und Blei,
Sie sind allsamt lebendig,

Für die Verpflegung muß das Reich
Bezahlen stets unbändig.

Lhristkindchen, höre lieber auf
Mit Militärbescherung.

Denn sonst entzieht das deutsche Volk
Dir gänzlich die Verehrung.

Sonst immer jauchzte Zung und Alt
Dir frohen Muts entgegen,

Zetzt aber rufen sie allsamt:

Halt ein mit deinem Segen! fl.t.
 
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