Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 28.1911

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6709#0032
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
6930

Der Musikant.

Geschichte von Paul Endcrling.

Juh!

Und die Paare fasse» einander fester und
wirbeln durch den Raum mit mehr Tempera-
ment als Grazie. Man hört Lachen. Quieken,
Händeklatschen, derbe Scherzworte. Es herrscht
eine lärmende Fröhlichkeit, von der unwillkür-
lich auch die Alten, die im Nebenzimmer bei
Pfeife und Bier Karten spielen, angesteckt wer-
den; sie stehen auf und sehen, an der Türe zu-
sammengedrängt, schmunzelnd in den Wirbel
der Tanzenden hinein.

Nur einer nimmt an dem allgeineinen Jubel
keinen Anteil: Hans Maack, der junge Musikant,
der immer noch einmal und immer noch ein-
mal den Bogen über die quietschenden Saiten
seiner Geige führt. Er ist halb benebelt von
dem genossenen Bier und Schnaps, den er nicht
ablehnen darf, wenn er die Bauern nicht töd-
lich beleidigen ivill. Dazu kommt das stunden-
lange Sitzen in der rallcherfüllten Stickluft des
niedrigen Tanzsaals, die sich nur ab und zu
verbessert, wenn die Türe zum verschneiten
Garten aufgerissen ivird und die eisige Winter-
luft hereinströmt: die einzige Art Ventilation,
die man hier kennt.

„Was kuckste denn. Kleiner?" fragt der
Klavierspieler. Es ist der Barbier, der sei»
kümmerliches Einkommen durch gelegentliches
Musizieren in den Dorfschenken aufbessert.

Hans zuckt nur mit den Achseln.

Zedecke, der Barbier, ist schon wieder bei
seinem Lieblingsthema: er schimpft auf den
Klimperkasten, bei dem nur jede dritte Taste
einen Ton gibt, und auch nur dann, wenn man
heftig draufschlägt. Eine Melodie ist beim besten
Wille» nicht zu erkennen. Die wird hier aber
auch nicht verlangt. Wenn nur der Rhythmus
zu erkennen ist.

Es geht wieder los. M-ta-ta, m-ta-ta —

„Schneller!" ruft einer. „Schlafen die Musi-
kusse denn?"

Der Wirt bringt für die beiden einen riesigen
„Korn". So einen „dreistöckigen". Hans Maack
bemerkt es mit Schaudern. Er hat seit de»,
kümmerlichen Abendbrot nichts mehr gegessen.

Aber der Großbauer hat ihn spendiert. Sie
müssen ihm zutrinken. Den Rest gießen sie
heimlich in den offenen Klavierkasten.

Während er mechanisch den Bogen über die
Saiten führt, irren seine Augen durch die
Reihen der Tanzenden. Ihm, der seine Kind-
heit im Asphaltdunst der Großstadt verbracht,
wo ein verkünimerter Kastanienbaum im Hof
der einzige Gegenstand der Naturfreude war,
ihm scheint das Landleben riesig beneidens-
wert, und er beneidet diese jungen Menschen,
die so gesund und frisch dreinschauen. Aber
als er genauer hinsieht, bemerkt er auch die
Spuren, die das harte Arbeitsleben in die
Gesichter gezeichnet hat, und er begreift, daß
diese Fröhlichkeit nur ein Aufatmen von der
Last der Arbeitswoche ist.

Einige Mädchen zeichnen sich durch reichere
Kleidung und selbstbewußte Haltung aus; es
sind wohl die Töchter der reichen Bauern aus
der Nebenstube.

Besonders fällt ihm die eine auf: die Große
mit dem herrlichen Blondhaar, das in dicken
Zöpfen um den Kopf gewunden ist. Der Bogen
zittert in seiner Hand, wenn sie an ihm vor-
beitanzt. Sie sieht ihn groß an und lacht über
die verliebten Augen des Bettelmusikanten.

Hans Maack sitzt am Grabenrand, an einen
Chausseestein gelehnt. Nur einen Augenblick.
Er hat nur noch eine halbe Stunde bis zur
Vorortstation, von wo ihn der Frühzug wie-
der in die Großstadt zurücktragen wird. Und
er ist so müde von dem langen Wachen und
den> genossenen Alkohol, den sein schwächlicher
Körper nicht vertragen kann.

Es ist eine herrliche Winternacht.

Der Vollmond gießt sein silbernes Licht über
die weiten, weiten Schneefelder. Kein Laut

ist zu hören. Nur hin und wieder aus der
Ferne das verschlafene, ärgerliche Bellen eines
Hundes.

Der Geiger hat seinen schwarzen Kasten sich
über die Knie gelegt und träumt.

Als der Kapellmeister, der ihn in Ausbil-
dung genommen hat, ihn hier in das entlegene
Dorf schickte, hat er sich gesträubt — es war
das erstemal, daß er ohne die älteren Kollegen
spielte —, aber er hatte sich endlich gefügt.

Und nun? Er lächelt. O, er würde viel ar-
beiten und viel verdienen. Er konnte gut mehr
leisten. Vielleicht kam er gar an einer städti-
schen Kapelle an. Dann warb er um sie —
um die Große mit den blonden Zöpfen. —
Wenn nur diese Mattigkeit in den Gliedern
nicht wäre, diese dumpfe Mattigkeit, die lang-
sam von den Gliedern aufwärts steigt!

Er zieht seine Nickeluhr. Das Zifferblatt
ist deutlich zu sehen. Er muß sich eigentlich
beeilen, wenn er den Zug noch erreichen will.
Aber einen 'Augenblick muß er noch ruhen,
nur einen Augenblick! Dann wird er laufen —
laufen — —

Noch einmal schreckt er aus dem Schlaf auf,
als ein Rabe krächzend über ihn dahinflattert.
Aber er schließt gleich wieder die bleischweren
Lider. Der Schnee beginnt wieder zu fallen,
dichter und dichter, und legt seine weiße Decke
über den Schlafenden.

Am Nachmittag fanden ihn Bauern, die ihr
Hund zu seinem Platz gelockt.

Als sie ihn aus dem Schnee herausscharrten
und auf den Geigenkasten stießen, wußten sie,
wer es war.

Sie ließen ihn achselzuckend liegen, um ihren
Weg nach der Stadt fortzusetzen, wo sie Mit-
teilung von dem Fund machen wollten. Sie
schimpften noch eine Weile über die ewig betrun-
kenen Musikanten und ärgerten sich, daß sie nun
noch eine Menge Scherereien haben würden.

Hans Maack hörte das alles nicht mehr.
Um seinen Mund lag noch ein stolzes, sonniges
Lächeln. Das war der Abglanz des Traumes,
der ihn sacht an der Hand genommen und
aus dein schweren, ernsten Leben herausgeleitet
hatte. . ..
 
Annotationen