Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 28.1911

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6709#0044
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
6942

Georg. Koch

- -——---—



SN«

Die Karyatiden.

„la, ein Stolz der Stadt ift dieser Bau!
viele Prunkgemächer! Die faffade!

's ift der Höhepunkt gewillermahen
Vellen, was die Leit heut teilten kann.

Und lo will ich's morgen auch bezeichnen,
wenn in Seiner vurd)iaucht Gegenwart
wir lie leiern!" Und dem flrchitekten
Drückt die Rechte der Herr Bürgermeister.

hoch zum flbendhimmei ragt der Neubau.

Über dem Portal im erlten Stockwerk
Neckt lich eine Gruppe Steinfiguren
Bus der wand: auf sechs gebognen Nacken
Lallet wuchtig schwer der Oberbau.

Kräft’ge Männer (ind’s mit ftrupp’gen Bärten,
Starke frau’n mit überreifen Brüllen:
Karyatiden...! Der Herr Bürgermeister
weilt darauf mit des Spazierltocks Spitze.

„'s ift nur gut, Herr Baurat", meint er lachend.
Dal; die Karyatiden lo geduldig
Blies tragen! Ständen lie ma! auf
ln Oedanken oder gar aus Trotz,

Läg' in Trümmern bald das Meisterwerk!"

„Das paniert nicht. Seien Sie getrost!

Glauben Sie: lie lind's gewöhnt zu tragen:
Dafür find es eben — Karyatiden!“

Lachend wünschen lich die beiden Herren
Oute Nacht!... Doch eine gute Nacht
ward's nicht. Denn in der zwölften Stunde
Klang ein Dröhnen, Donnern durch den Stadtteil:
Nur ein Trümmerhaule war der Bau —

Steine, Balken, eilenträger türmten

Bufeinar.der lich, ein wirrer Hügel-

Und auf allen Lippen stand: wie kam's??

Und ein Wächter dieid)en Bngelichts
Stammelte, er hätt' heut Nacht gehört
wie geheimnisooii die Karyatiden
Grollend alle feit geschworen hätten.

Sich — wie Simlon im phililtertempe! —
Stark-gewaltig hoch emporzurichten,

Lest entlchiollen, lieber zu verderben
Bis das Ganze länger noch zu tragen!

Doch droh lächelte der Brchitekt
Und es lächelte der Bürgermeister.

Durchlaucht sprach: „Der Kerl war wohl be-
trunken. " p.e.

Die urkomische Geschichte.

Von Roller-Berg.

Major a. D. Heimsolh war einer von den
„Unzufriedenen". Natürlich nicht in dem Sinne,
daß er Neigung gehabt hätte, militärische Ar-
tikel für das „Berliner Tageblatt" zu schreiben
und Sakrilege zu begehen an den heiligen Wahr-
heiten der preußischen Felddienstordnung.

Dennoch war er unzufrieden und bis zu einem
gewissen Grade ein Nörgler. Die ganze Rich-
tung paßte ihm nicht — diese rastlos neuernde
Richtung, die ebensoviel Menschen verbraucht
als Stücke Tuch für neuerfundene Waffenröcke
und Litewken.

Aus seinem eigenen Schicksal heraus ahnte
er eine Zeit, da man das dienstfähige Alter
des Offiziers auf vierzig Jahre herabsetzen und
einen preußischen Grenadier — wenn man sechs
Monate außer Landes geweilt hat — vor lauter
neuen Abzeichen nicht mehr erkennen würde.
Er glaubte aber, daß wir — seine Stammtisch-
genossen — von diesen ketzerischen Ansichten
nichts ahnten. Er äußerte sie, indem er sie zn
verbergen suchte — und wenn er fühlte, daß
ihm das nicht ganz gelangen war, dann erhob
er sich und — trat aus. Nach ein bis zwei
Minuten kam er dann wieder, mit einem be-
geisterten Ausdruck auf dem von tausend frühen
Sorgenfältchen durchfurchten Gesicht.

„Aber das sind ja alles Nebensächlichkeiten,
ineine Herren," äußerte er dann und setzte sich
mit der geräuschvollen Lebhaftigkeit eines auf-
gekratzten Menschen. „Wir sind und bleiben
das glücklichste und bestregierte Volk der Welt.
Wenn die verfluchten Sozis das nicht glauben
ivollen, dann soll sie der Deibel holen! Unsere
hohen Herren — - - wissen Sie, da fiel mir

draußen eben eine reizende kleine Geschichte
ein. Es ist mir im Moment nicht erinnerlich,
ob ich sie Ihnen schon mal erzählt habe -
aber das macht schließlich nichts. Das Ding
ist so wundervoll, daß man es immer wieder
hören kann. Also hören Sie mal zu: In der
Zeit, da unser hoher Herr eine Kompagnie
führte, stand ich bei den Gardeschützen in Pots-
dam. Wir wurden öfter zu den Hofjagden zn-
gezogen. Ich habe die Einladungen noch zn
Hause und will sie Ihnen mal gelegentlich
mitbringen, wenn es Sie interessiert. Eines
schönen Tages passierte folgendes: Nach dem
ersten Treiben versammelten >vir uns alle an
einem sandigen Abhang, wo auch ein Haufen
Steine lagerte. Der hohe Herr ließ sich auf
ihm nieder mit dem famos passenden Zitat:
Stuf diese Bank von Stein will ich mich setze».
Das machte sich schon äußerst scherzhaft und
brachte uns alle in die beste Stimmung, wie
Sie sich denken können. Was soll ich Ihnen
aber sagen — mit einem Male sinken die Steine
ein. Der hohe Herr springt ans und ruft:
Herrje, das ist ja eine Sandbank und keine
Steinbank! — Meine Herren, ich versichere
Ihnen, das war so furchtbar komisch, daß ich
heute noch Tränen lache, wenn ich daran denke.
Eine Sandbank! Es — ist — zum — Brüllen!"

Dabei trommelte er mit beiden Fäusten ans
dem Tisch und bog sich vor Lachen.

Nachdem wir die Geschichte ungezählte Male
- sozusagen bis zum Erbrechen — gehört, ver-
mieden wir es geflissentlich, von militärischen
Dingen zu rede». Leider ließ sich das nicht immer
machen. Militärische Dinge sind, namentlich in
Berlin, unvermeidliche Gesprächsthemata. Auch
befanden sich unter den gelegentlichen Gasten
des Stammtisches zuiveilen Leute, die selbst den
deutlichsten Winken und sogar oft einem Tritt
auf die Hühneraugen keine Folge gaben. So kam
dennMajorHeimsothnochmanchinalindieLage,
Ansichten zu äußern,die er zuverbergen wünschte,
und gleich darauf seine Geschichte zu erzählen.

An einem Sonnabend fand er sich fast andert-
halb Stunden später ein. Das wunderte uns
nicht. Im Grunde hatten wir ihn gar nicht
erwartet. Unsere Gespräche drehten sich um
den harten Schlag, der den Alten betroffen:
Sein einziger Sohn, Oberleutnant in einem
Feldartillerieregiment, war hops gegangen.
Gleich an einem der ersten Manövertage hatte
sein Reitsitz einem General nicht gefallen, und
dieser hatte das so drastisch geäußert, daß dem
jungen Manne nichts übriggeblieben war, als
sich krank zu melden und heimzugehen.

Es ist zum Staunen, wie sich ein Mensch
von einem Sonnabend zum anderen verändern
kan». Nicht zum Wiedererkennen! Wie acht
Jahre hatten dem alten Herrn diese acht Tage
mitgespielt. Natürlich sprach kein Mensch auch
nur eine Silbe von der peinlichen Geschichte.
Aber ganz plötzlich fing er selber an — und
wie! Wir wiesen den Kellner hinaus und
schlossen die Tür. Aber ich glaube, man hat
es doch im Hauptrestaurant gehört, wie er schrie:

„Das ist eine Gemeinheit! Eine gottverfluchte
hundsföttische Infamie, sage ich Ihnen! Wenn
ich auf meine alten Tage noch Sozi werde,
dann-"

Er schluckte und erhob sich taumelnd, riegelte
die Tür auf und — trat aus. Es dauerte
diesmal länger als sonst, ehe er iviederkam
mit einein Zucken und Zittern in den tausend
frühen Sorgenfältchen.

„Aber schließlich, meine Herren," sagte er,
indem er seinen Stuhl umständlich zurechtschob
und sich niedersetzte, „das ist ja nun nicht zu
ändern. Und wo anders kommt das ja schließ-
lich auch vor. Unsere hohen Herren-

wissen Sie, da fiel mir draußen eben eine
reizende kleine Geschichte ein. Ich iveiß nicht,
ob ich sie Ihnen schon einmal erzählt habe
aber das Ding ist so wundervoll-"

Und wieder erzählte Major Heimsoth die
Geschichte von der Steinbank, die eine Sand-
bank war. Er trommelte mit beiden Fäusten
auf dem Tisch und bog sich vor Lachen. Nur
als er sich das Helle Wasser aus den Augen
wischte, dauerte das diesmal länger als sonst....
 
Annotationen