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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 28.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.6709#0076
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6974

SL trauriger Karneval.

Ciefseufzend spricht der gute Michel:

„Ich bin ja sonst, weiss Gott, nicht so,
Jedoch in diesem schlimmen Jahre
Werd’ ich nicht meines Lehens froh.

Wohin ich auch die Blicke wende:

Der Horizont ist trüb und grau,

Die Gegenwart durchaus belemmert,

Die Zukunft klatrig, mies und mau!“

Bewegte Klagen hört man schallen
Und manchen kräft'gen Männerfluch
Dom Strand des Pregels und der Weichsel,
Uns Pommern und vom Oderbruch:
„Herrgott, erbarm’ dich unsrer Keller,

Wo schmachvoll Sass auf lass sich häuft!
Die Liebesgabe geht zum Ceufel,

Wenn keiner unsern Fusel säuft!“

Sogar das lust’ge Volk der Pfaffen
5and in der Jascbingsfreud’ ein Haar:
„Weh uns! Die Schar der Dissidenten
Wuchs riesengross in diesem Jahr!

Zu Lausenden, in ganzen Herden
Durchbrachen sie der Kirche Zaun
Und Hessen uns zurück im Dalles
Und sehr geschwächtem Gottvertraun!“

5reund Jagow auch, der kreuzfidele,

Der stets in eitel Wonne schwimmt,

Zeigt diesmal sich zu meinem Schmerze
Auffallend stumm und missgestimmt;
Ernst über seine Denkerstirne
6in trüber Wolkenschatten zieht,

Und die beredte Lippe lispelt
Mit stillem Seufzen: „Moabit!“

Ganz einsam in der Wilhelmstrasse
Sitzt eine hehre Leidgestalt:

’s ist unser lieber, frommer, langer,

Uon Gott gestrafter Cheobald;

Er gab sich, ach, so viele Mühe,

Und doch ging alles, alles schief —
Sobald’s an seiner Cüre klingelt,

Stöhnt er: „Jetzt kommt der blaue Brief!“

Griesgrämig irrt ein edler Recke
Durch die Gefilde Januschaus,

Gin altes Weib kreuzt seine Pfade
Und seine Leber eine Laus!

„Die gottverdammten Wahlen! Näher
Und näher rücken sie heran!

Und vor dem Durchfall, dem todsichern,
Schützt mich kein Leutnant mit zehn Man»! “

Herr Jordan Kröcher ging sonst gerne
Zum Saschingsball inkognito,

Doch heuer lässt im Schrank er hängen
Die Maske und den Domino:

„Ich bleib’ zu Haus; denn wer kann wissen —“
So murmelt er in seinen Bart —

„Ob heimlich in den Amorsälen
Dicht Adolf Hoffman» meiner harrt!“

Und während alles so in Crauer
Und Kümmernis daniederliegt,

$eh’ einen ich am Wege stehen,

Uon Herzen froh und quietschvergnügt;

Dieweil die Edelsten und Besten,

Bedrückt von schwerer Sorgenlast,

Zum Himmel Stossgebete senden —

Lacht jener dort sich einen Ast!

Der andern Not ist seine Wonne
Und schadenfroh ist sein Gemüt,

Behaglich blickt er in die Runde
Und sieht, wie rings sein Weizen blüht!
Uerhiill’ dein Haupt, bestreu’s mit Asche,

Wehklage, deutsche Christenheit-

Der Rote hat allein zu lachen
ln dieser bösen Faschingszeit! Mann«.

In memoriam!

Wir blicken nicht zurück. Denn unser Marsch
geht weiter;

And dein Gedächtnis wandert mit der Schar
der Streiter.

Dein Denkmal ist nicht marmorn und nicht
erzen —

Es ist des Kampfes Pulsschlag in den Äerzen.

T-

300000 Abonnenten!

Lieber Jacob!

Das hast Du Dir wirklich hübsch eingerichtet,
gerade die Karnevalsnummer zur Jubiläums-
nummer zu machen.

Also 300000 Abonnenten! Alle Achtung!
Dahinter stehen gewiß mehr als eine Million
Leser und Leserinnen. Das soll Dir erst mal
ein anderer nachmachen!

Darauf kannst Du stolz sein. Und Du wirst
es auch sein nach dem Dichterwort:

„Nur die Lumpen sind bescheiden,

Edle freuen sich der Tat!"

Die Tat ist gut; Dein Werk ist höchstes Wirken.

Gegen alles Niedrige, das sich dem Auf-
stieg der Menschheit in den Weg stellt, schwingst
Du die scharfe Waffe der Satire. Die Dumm-
heit peitschst Du öffentlich aus; der Bosheit
reißt Du das Gewand vom Leibe und gibst
sie der verdienten Verachtung preis.

Mögen die Dunkelmänner aufheulen, mögen
die Volksbedrücker Dich mit ihrem Haß ver-
folgen — das gereicht Dir zur Ehre.

Hohn und Spott den Feinden des Fort-
schritts, lachende Fröhlichkeit aber allen Mit-
kämpfern und Lichtgesellen!

Die andere Seite Deiner hohen Mission
aber ist, in Millionen Herzen, die im Schat-
ten der Armut dahinleben, die wärmenden
Lichtstrahlen des Huniors zu senden. In ärm-
licher Hütte hause» Deine Freunde; ihre Seele
seufzt unter der Schwere des Lebens. Da trittst

Du herein, und ein Lächeln huscht über ihre
ernsten Züge, ein fröhliches, befreiendes Lachen
sprengt den Panzer der Sorge.

O, tut das wohl! Gibt das neuen Lebens-
mut, neue Kampffreudigkeit!

Ein Prometheus der Lebensfreude zu sein
für die Millionenmasse der Menschheit, die
sich aus der Tiefe hinaufringt zur Sonnen-
höhe der Kultur — lieber Jacob, Du darfst
stolz sein auf diesen herrlichen Beruf, stolz
auf den errungenen Erfolg.

Nimm darum auch meinen herzlichsten Glück-
wunsch entgegen. Und wenn ich etwas mit
dazu beitragen kann, aus den 300000 Ge-
treuen bald 400000 zu machen, so soll es
geschehen.

Heute aber will ich Dir auch meine syni-
bolische Zwillingsmaske lüften und Dir meinen
wahren Namen nennen.

Mit Gruß und treuem Handschlag

Dein Ernst Scherz.

Mitteilung an unsere Leser!

Um unseren stolzen und freudigen Empfin-
dungen einen würdigen Ausdruck zu verleihen,
hatten wir beschlossen, dem 300000. Abon-
nenten des „Wahren Jacob" ein Ehren-
geschenkin Gestalt einer marmornen Porträt-
büste unseres Mitarbeiters Jotthilf Rauke
zu überreichen.

Auf unsere diesbezüglichen Nachforschungen
erfuhren wir, daß der Abonnent, der auf diese
Auszeichnung Anspruch erheben kann, der
Herr Erste Staatsainvalt 36. am preußi-
schen Landgericht zu U. sei. Wir haben dem
vom Glück also begünstigten Leser unser Ehren-
geschenk unverzüglich zugehen lassen und die
Porträtbüste Jotthilf Naukes dürfte, wenn
diese Zeilen in Druck gehen, bereits im Amts-
zimmer des Herrn Staatsamvalts zur Auf-
stellung gelangt sein.

Redaktion des „Wahren Jacob".

Der Gesandte.

Herr Mühlberg vertritt den Preußenstaat
Bei der hochheiligen Kurie.

Er ist auch sonst ein guter Christ
Und haßt jedwede Injurie.

Und doch ihn der Zeiten Sturm
Beinahe mitgerissen:

Cr hätte — beinahe — vor Pius hin
Ben Fehdehandschuh geschmissen!

Cr hält' den Geschorenen beigebracht
Beinahe die Töne der Flöten,

Und wäre dem Heiligen Vater beinah'

Bus die Hühneraugen getreten.

Er zuppte zurück zur rechten Zeit:

„ward ich etwa beschwerlich
vem Heiligen Stuhl mit einem wort,

Bereu' ich es tief und ehrlich."

Fast hätte so Preußen die Kurie bekämpft
wie weiland Barbarossa —

(Es sollte werden ein Fehdegang

Und ward ein Gang nach Kanossa. p. a.

Kröcher, der Noch er.

Es ist der Jordan Kröcher
Der Ordnung starker Röcher;

Er haut die tiefsten Löcher
Dem roten Staatsverbröcher.

Die werden immer fröcher,

Drum wird sein weiter Köcher
Zum wahren Leidensböcher
Für die verruchten Schöcher.

Der Widerstand der Spröcher

Wird auch schon schwach und schwöcher,

And hoch und immer höcher

Steigt siegend Jordan Kröcher. Kl.
 
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