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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 28.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.6709#0161
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7059

Worte in der Kehle stecken. Die Arbeiter aber
brachen in schallendes Gelächter ans. Ein Zug
Studenten, seine eigenen „Couleurbrüder", wie
Herr Würdig auf den ersten Blick sah, stampfte
im Taktschritt heran und schmetterte das Lied,
das; die Fenster klirrten.

Der Bürgermeister stand mit feuerrotem Kops
da. Was tun? — Den Studenten ihr Tun eben, o
wie den Arbeitern verbieten? Unmöglich, un-
möglich, sagte er sich. Aber es war doch ganz
der gleiche Fall, und man konnte doch nicht vor
aller Augen und Ohren den einen verbieten,
was man den anderen gestattete? Scheußlich,
einfach scheußlich blamiert — das war das
einzige, was ihm ganz klar war.

Jetzt waren die Studenten ihres jovialen
„alten Herrn" und Kneipbruders ansichtig ge-
worden, umringten ihn jubelnd und wollten
ihn gleich mit zum Gelage nehmen. Ja ja,
er sei gleich bereit, meinte der, rasch seine ge-
mütliche Natur wiederfindend. Aber so ohne
weiteren Laut konnte er sich doch nicht vom
Kampfplatz zurückziehen. So nahm er denn
nochmals die bürgermeisterliche Positur an und
sagte mit Würde:

„Herr Frei, Ihre Aufsassung von dem Be-
griff des öffentlichen Aufzugs ist eine irrige.
Aber ich will die Sache für diesmal nicht weiter
verfolgen, da Sie wohl im guten Glauben ge-
handelt haben."

Ein erneutes schallendes Hohngelächter war
die Antwort der Arbeiter, und das Publikum,
das inzwischen die Straße gefüllt hatte, stimmte
mit ein. Herr Würdig hielt es für das beste,
Üch schleunigst mit seinen Besuchern zu ent-
fernen, um sich weiteren unangenehmen Ova-
kionen zu entziehen.

, e Sache aber hatte gewirkt. Bei der Ge-
memderatswahl drei Monate danach zogen fünf
Sozialdemokraten mit einem Schlage ins Rat-
haus ei». ®

Lob der Heimarbeit.

^ie Heimarbeit, wie ist sie so schön!

-m» muß sie nur richtig „bei Licht" bcseh».

sihen Großeltern, Eltern und Kinder —
^'e sitzen im Sommer wie im Winter.

Sw sihen im Herbst, in der Frühlingspracht,
'le sttzen beisammen bei Tag und Nacht.

^sn in trautem Familienkreise
icibcn sich auf in verzehrendem Fleiße.

Sei ^ebstuhl saust und das Spinnrad schnurrt,
"lelcn Lungern der Magen knurrt.

^ie sitzen im Winter so mollig kühle —
a® bändigt die fleischlichen Gefühle.

Dagegen in brütender Sommerhitzen
' wen sie riesig schmoren und schwitzen.

Zimmer, es braucht nicht Blumendust,

^ 5 arbe und Schmieröl schwängern die Lust.

6«^seibst noch andre Gerüche —
' urkt oft wie in des Teufels Küche.

Füble^rn 'lr.0,na Klei» und Groß
1 i ivie in Abrahams Schoß.

''t,öou den Wangen gewichen,
k vmmt heimlich die Schwindsucht ge-
schlichen.

!!'ifd)e„£uft uub kräftige Nahrung,
nai-e da gut — »ach alter Erfahrung.

tcw.ucu »ur ein Diner:

"vfletn, Hering und Bliemchcnkaffee.

W?- ihren Bauch bei jedem Schmause —
M vre Arbeit doch schön „zu 5)ause"! Kl.

ver RelüenkUnsttcr.

„Aber erlaubt mir, teurer Amtsbrudcr, eure Köchin scheint das kauouische Alter noch lange nicht
erreicht zu haben und auch eure Haushälterin will mir bedeutend jünger Vorkommen."

„Verzeiht, Herr Bischof, ich habe mir halt gedacht: zweimal zwanzig gibt auch vierzig!"

Wie rnan's nimmt.

Der Pfarrer von Kiiiffelwaugcn hatte, Ivie alle
wahrhaft guten Menschen, einen persönlichen Feind,
der die Vorgesetzte geistliche Behörde des Pfarrers
mit Anzeigen bombardierte, daß der Pfarrer mit
seiner Köchin „im Zölibat" lebe, und daß das ein
böses Vorbild und Beispiel für die ganze Ge-
meinde sei.

Die Vorgesetzte geistliche Behörde übersetzte „Zöli-
bat" mit „Konkubinat" und beauftragte den Pfarrer
von Humpelhausen, der ein alter und erfahrener
Seelsorger war, kollegialisch anf seinen junge» Amls-
bruder cinznwirke», damit er im Verkehr mit seiner
Köchin nach außen hin besser „das Gesicht wahren"
möge.

Aber der Pfarrer von Hnmpelhansen war leider
kein Diplomat. Denn als ihm der Pfarrer von
Kniffcbvangen „anf Vorhalt" lächelnd erklärte, cs
stehe geschrieben, der Geist sei willig, aber das Fleisch
sei schwach — da wurde der alte Pfarrer ganz weh-
mütig, warf einen fast neidischen Blick ans seinen
jungen Kollegen und meinte verlegen: „Grad' das-
selbige behauptet mei' Kathi von mir seit einigen
Jahren!"

Die Kartofel.

Alls einem Aufsatz des Gemeindeschülers Max Frühreif
aus Klaffe VII.

„Die Kartofel hat Franz Dracke von Ameriga bei
uns gebracht. Die ersten haben ihn aber nicht ge-
schmekt weil er die grienen Dinger die oben dran
sitzen essen wolde. Die sind Heute auch noch nicht
zu gcniesen. Bei uns werden sehr vichle Kartofel
geflanst. Wen man raus komt sind liberal lauter
Kartofel. Die grösten haben die Agrarger das macht
lvcil sie allen Spicrtus machen. Die Kartofel hat
weise redliche oder blaue Blühten. Ju Preißeu werden
die meisten Kartofel gegessen die sind nicht sehr nar-
haft aber machen sat. Man geniest sie als Pell-
Sals- Brat- oder Qnetsch-Kartofcl. Puffer css ich am
Liebste». Als Bahtcr Arbeitlos war haben wier blos
immer Kartofel und Leinöl gekricht Fritze und Liese
fönten nicht offen sie sachten er stinkt und krichtcn
blos Sals. Muter hatte doch nischt anders. Die hat
Vahter immer gekocht weil Muter immerzu Neh-
maschine getrampelt hat Damenhose» Duzent 1.Mark
30 und 1!> Pf. Plä'gclt ab. Jezt arbeit Vahter
wieder und kriechen wier wieder anders blos vorichtcn
Frcidag Wolde Muter'Bulletcn zu braten und da
kam der Steicrfritze und hat das letzte Gelt lvech-
gchohlt und da gabs lvicdcr Kartofel und Leinöl.
Muter trampelt aber immer »och ans Damenhosen
Vahter verdient zu Wenig.

Sehr viehle Kartofel werden zu Spiertus gemacht
der dient zu brennen und ander Sachen. Der Meiste
wird gedrunken und Heist Schnaps ist aber sehr teier
geworden weil Soldaden und Kriegschife von gebaut
werden. Wenn mann ihn ansticht brennt er blau.
Wenn ei» Bedrunkner kommt sacht Vater der ist blau
und die Agrarger sind auch alle blau aber nicht von
Schnaps die trinken blos Wein und Konjak. Vahter
drinkt auch keinen Schnaps mehr alle Soziahldcmo-
gradcn drinken keinen mehr und dadrum sagen die
Agrarger sie währen Hochverädcr und schreien nach
die Polezei. Aber die kann auch nicht so viehl drinken
wie sie möchten und die Soldaden müssen ihren
selbst bezahlen und haben zu wenig Gelt. Blos wenn
Strasendcnionstrahtsgon ist kriechen sie Schnaps um-
sonst und dann sagen Manche sie wolden gleich drei
Stück mit einmal nieder mezcln aber Vahder sacht
das sind dumme Jungs die so sagen und gehört noch
der Nohrstock anf den Hindern üud nicht Schnaps.

Von die Kartofel wird auch noch Sterke gemacht
wo alles steif von wird. . . ."

Volk und Masse.

Der alle Junker an seinen Sohn,

Willst du deutsche Politik
Treiben, würdig unsrer Klasse,

Merk die beiden Worte gut:

„Volk" und „Masse"!

„Volk" ist, was mit treuem Sinn
Dienen will und Steuern zahle».

Was »»s schafgeduldig folgt
Bei den Wahle».

Es ist nötig, daß du sagst:
„Volkesstimme — Gottesstimmc",

Bebt dir auch dein Adelsherz
Drob vor Grimme!

Was da aber kritisiert
Und mit siedendheißem Hasse
Gegen oben rebelliert.

Das ist „Masse"!

Merk die Unterschiede gut!

Daß ich's kurz zusammcnsasse:

Vor den Wahle» ist cs Volk,

Nach den Wahlen ist's die Masse! D is.
 
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