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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 28.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.6709#0188
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7086 •-

Der Reichstag und die Rrbeiterversicherung.

Das war ein lust'ges Zcherbeln,

Lin frischer, flotter Tanz,

Die Paragraphen flogen
vorbei mit Eleganz;
wie ’s Donnerwetter wirbelt
Man über Ztein und Ztock,

Der Liberale Brust an Brust
walzt mit dem Fuselblock!

Der gute deutsche Michel
Zieht diesem Treiben zu,

Und stopft sich seine pfeife
Und spricht voll Zeelenruh':

„Die Taschen mir zu leeren
wart immer ihr bereit,

Doch wenn ihr mir was nützen sollt,
Dann habt ihr keine Zeit.

Nur dalli! heißt die Losung,
Uur immer feste 'ran!

Gb das Gelump zu brauchen,
Darauf kommt es nicht an!
Nicht Zoll noch Liebesgaben
hier zu beraten sind:

Bloß um Proleten handelt's sich,
Drum geht es so geschwind!

„was ihr mir hier gepfiffen,
vergesse ich euch nie:

Ich sah in eure Noten
Und kenn' die Melodie,

Und bei den nächsten Wahlen -
verlaßt euch sicher drauf -
Da spiele ich auch meinerseits
Zu einem Tänzchen auf!" Leopold.

Die Boten mögen reden,

Sie werden ausgelacht,

In dreieinhalb Minuten
Ist ein Gesetz gemacht;
Zcharfmacher drehn die Uurbel,
Der Wetzstein rollt und schleift
Und die fidele Horde hupft,
wie die Negierung pfeift.

Die Stuttgarter Wahl.

Ruft Lurra und blaset Tusch!

Lobet alle gute» Geister!

Schtuegert hat für dieses Mal
Keinen roten Bürgermeister!

Gottseidank! Mit blauem Auge
Sind wir »och davongekommen;

Bon den Patriotenherzen
Ist ein böser Alp genommen.

Wär' gewählt er und bestätigt, —

Zu entsetzlich wär's gewesen!

Niemals wär' von dieser Wunde
Frau Germania genesen.

Nimmermehr blieb' ungeahndet
Solch ein kecker Gleichheitssrevel.

Und der Preußengott hält' sicher
Drauf geregnet Pech und Schwefel.
Kinder, es wär' unausdenkbar:

Denn es hätte sich erdreistet
Dieser Sozi, uns zu zeigen.

Daß er — Positives leistet! P. e.

v. Below-Pleitenburg

an v. Arnim-Schnodderheim.

Mein Allerwertester! Ausfall von Stutt-
garter Oberbürgermeisterwahl hat natürlich
auch mich sehr angenehm berührt. Endlich mal
kleiner Lichtpunkt in allgemeiner Misere. Ge-
fahr schien wirklich bedrohlich, aber Bürger-
pack hat denn doch im letzten Moment Hosen
voll gekriegt und ist eiligst im Hundetrapp zu
„Reaktion" abgeschwenkt. Über Beratungen der
Genossen betreffs höfische Verpflichtungen des
roten Kandidaten habe mich niederträchtig ge-
ärgert. Unverschämtheit von Proletenbande
übersteigt effektiv alle Grenzen! Kerls beraten
einfach darüber, ob mit Majestät in persön-
lichen Verkehr treten solle», ohne auch nur
iln geringsten danach zu fragen, ob denn Maje-
stät überhaupt will. Würde allerhöchsten Herrn
doch immerhin kolossale Überwindung kosten,
sich zu rotem Gesindel herabzulassen. Wer
garantiert zum Beispiel, daß nicht Ungeziefer

auffängt? Stellen sich, bitte, mal vor! Und
selbst wenn Kerl durch Hofmarschallamt vor-
her gründlich gewaschen und gekämmt wäre,
wie will man verhindern, daß sich eventuell
Unverschämtheiten erlaubt? Gesindel soll näm-
lich, wie in Kreuzzeitung gelesen habe, keine
Spur von natürlichem Taktgefühl besitzen und
sogar, wenn seine zwei Jahre bei Militär ge-
bimst hat, oft vor hohen Herrschaften nicht
die geringste Ehrfurcht bezeigen. Also jeden-
falls scheußliche Situation, vor der Stuttgarter
ihren Landesherrn diesmal noch pflichtgemäß
bewahrt haben. Aber wie wird Chose in Zu-
kunft werden? Schließlich wird Bürgernieister-
posten doch noch von Roten erobert und dann
haben wir die Bescherung! Indessen — was
kümmert uns der ganze Krempel da unten?
Möge» süddeutsche Kretins, die sich blödsinniges
Wahlgesetz eingebrockt haben, angenehme Suppe
ausfressen. Von Stuttgart bis Memel ist es
gottlob iveit und wir Ostelbier haben derartiges
in absehbarer Zeit nicht zu befürchten. Wird
noch viel Wasser in Pregel laufe», ehe bei
uns ähnliche unerlaubte Zustände einreißen.
Stellen sich, bitte, mal vor: erster sozialdemo-
kratischer Landrat macht Antrittsvisite bei
gnädiger Herrschaft auf Pleitenburg! Würde
mich zur selben Stunde in Ahnensaal an Kron-
leuchter aufknüpfen.

Inzwischen Gott befohlen! Ihr Bclow.

Streikende Studenten.

Gelegentlich einer höfischen Denkmalscnthüllung
in Straßburg haben die dortigen Studenten, denen
beim Spalierbilden ein ungünstiger Standort ange-
wiesen worden war, den Festplatz unter Protest ver-
lassen und ihre Mitwirkung au der Feier verweigert.

Dieser Vorfall wirft ein äußerst trübes Licht ans
die gegenwärtig in Deutschland herrschenden Zu-
stände. Mit banger Sorge fragt der Patriot, was
aus dem Vaterland werden soll, Ivciin selbst die
akademische Jugend sich weigert, Hurra zu schreien.
Aber der wahre Patriot sinnt auch zugleich darüber
»ach, wie dem liebelstand abzuhelfen sei. SDiit Genug-
tuung dürfen wir konstatieren, daß ein Mann, den:
es schon wiederholt vergönnt war, den Staat ans
bedrängter Lage zu retten, auch dieses Mal sich bereit

erklärt hat, hilfreiche Hand anzulegen. Herr Hintzc,
dessen kraftvolles und erfolgreiches Eingreifen beim
Moabiter Streik noch in der dankbaren Erinnerung
aller echt deutschen Männer ist, hat, wie wir aus
sicherer Quelle erfahren, eine ansehnliche Truppe
von zuverlässigen Siebenmonatskindern zusammen-
gebracht, die, falls ein solcher akademischer Hurra-
streik nochmals irgendwo drohen sollte, als Arbeits-
willige fungieren werden. Die Mitglieder der
Truppe, die in ihrein kavaliermäßigen Auftreten,
dem herausfordernden Gesichtsausdruck, beit stark
aufgedunsenen Angesichtern, geröteten Nasen und
diversen Narben den vollkommenen Typus älterer
Korpsstudenten darstellen und es auch in der Be-
wältigung alkoholischer Flüssigkeiten mit jeder Fakul-
tät und jedem Semester aufnehmen, sollen ini Ernst-
fälle milden notwendigen farbigen Mützen, Stürmern,
Schuürröcken, Bändern und Bierzipfeln ausstaffiert
und dem Kommandeur der betreffenden Patriotischen
Feier gegen eine entsprechende Besoldung zur Ver-
fügung gestellt werden. Man hofft, auf diese Weise
einen sowohl in dekorativer als auch in moralischer
Hinsicht durchaus vollwertigen Ersatz für die disziplin-
lose studentische Bürgerjugend gewonnen zu haben.

_._._ ' Leopold.

Wahrheiten des Abgeordneten Becker.

„Im Zentrum ist Freiheit und Licht", sagte der
Abgeordnete Becker im Reichstag. Er wird nächstens
folgende ebenso vollgültige Weisheiten vom Stapel
lassen:

„Die Elster übt immer Treu und Redlichkeit" —
„Der Fuchs ist eilt Vegetarier" —

„Die Reichsversichernngsordnuilg ist ein Fortschritt
der Sozialpolitik" —

„Benefiziat . . . hat kein Muttermal" —

„Das Zentrum ist eine Volkspartei" —

„Ich bin ein Genie!"

Reaktionäres Rampflied

bei Beratung der Neichsversicherungsordnung.

Vernunft und Gerechtigkeit sind uns schnuppe;
ll)ir haben die Macht und gebrauchen sie auch!
wir sind eine arbeitswillige Truppe.

Unser „Nein!" wirkt ganz wie ein Gummischlauch.

Wir knüppeln jeglichen Nntrag nieder
Und toben sozialpolitisch uns aus.

Dann zivilisieren wir uns rasch wieder
Und gehen als „Volksvertreter" nach ljaus!
 
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