Das kaiserliche Auto.
Emil Erk
Frau, nimm die Nase voll, — der Geruch ist geradezu majestätisch!"
Der Mord in der Grünstraße.
Ein Kriminalroman in Zeitungsberichten.
1. Februar. Durch die Entdeckung eines
ebenso geheimnisvollen ivie schenßlichen Ver-
brechens wurde die Einivohnerschaft unserer
Stadt gestern in Aufregung versetzt. Im Hause
Grünstraße I3a, 3. Hof, linker Seitenflügel,
2 Treppen rechts, wohnte der 75jährige un-
verheiratete Geschäftsreisende Aug. Lehmann.
Den Flurnachbarn war es anfgefallen, daß
seit längerer Zeit von Lehmann nichts zu sehen
und zu hören war und ein penetranter Geruch
aus dem geöffneten Fenster des Schlafzimmers
drang. Die benachrichtigte Revierpolizei er-
schien gestern vormittags ltnb ließ die Tür ge-
waltsam öffnen. Den Eintretenden bot sich ein
entsetzlicher Anblick dar. An einem Nagel an
der Wand unmittelbar neben dem geöffneten
Fenster hing der furchtbar zerfetzte, bereits bis
zur Unkenntlichkeit in Verwesung übergegangene
Leichnam Lehmanns. Das Werkzeug, mit dem
der Ermordete offenbar erst erdrosselt und
dann erhängt worden war, bestand in einer
kurzen, dünnen, aber sehr widerstandsfähigen
Schnur. Die Kriminalpolizei wurde sofort be-
nachrichtigt, und nach einer halben Stunde
schon war die Mordkommission zur Stelle.
Mit der gewohnten zielbewußten Energie und
Umsicht wurden zahlreiche photographischeAuf-
nahinen des Tatortes gemacht, die Räume der
Wohnung versiegelt, 1000 Mark Belohnung
ausgesetzt und 47 Personen wegen dringenden
Verdachtes der Täterschaft verhaftet.
8. Februar. Wie uns in Sachen des Mor-
des in der Grünstraße von polizeilicher Seite
mitgeteilt wird, haben von den 47 verhafteten
Personen im Laufe der vorigen Woche 46 wie-
der entlassen werden müssen, da sich der Ver-
dacht gegen sie bedauerlicherweise nicht länger
aufrechterhalten ließ. Dafür hat unsere un-
ermüdliche Sicherheitsbehörde aber bereits 73
neue Verhaftungen vorgenommen.
15. Februar. Von den vor acht Tagen ver-
hafteten 73 Personen sind 72 wieder entlassen
worden. Die Polizei glaubt aber jetzt auf der
richtigen Fährte zu sein. Im Interesse der Sache
wird vorläufig vollkommenes Stillschweigen
über die behördlichen Maßnahmen beobachtet,
aber schon für die nächsten Tage dürfte eine
sensalionelle Überraschung bevorstehen.
17. Februar. Es ist unserer Kriminalpolizei
gelungen, die Verhaftung des mutmaßlichen
Raubmörders aus der Grünstraße gestern abend
in aller Stille auszuführen. Es handelt sich
um den Schlossergesellen Neumann auS Perle-
berg, ein bisher noch unbestraftes Individuum.
Der letztere Umstand bestärkt die Polizei in
ihren: Verdacht, da die Tat nach dem einstim-
migen Urteil aller sachverständigen Krimina-
listen von keinem gewerbsmäßigen Verbrecher
ausgeführt worden ist.
24. Februar. Der Verdacht gegen den
Schlossergesellen Neumann ans Perleberg hat
sich durch ein neues, sehr sch>verwiegendes Mo-
ment verschärft. Die 89jährige Streichholzver-
käuferin Emilie Bumke erkannte in Neumann
unzweifelhaft den Menschen wieder, der zur
Zeit des Mordes das Haus Grünstraße 13a
in eiligen Schritten verlassen hat. Als die
schon etwas schwachsinnige Greisin dein Mör-
der ihre belastenden Aussagen direkt ins Ge-
sicht schrie, brach dieser völlig fassungslos zu-
sammen. Man erwartet, daß er noch im Laufe
des heutigen Tages ein Geständnis ablegen
ivird.
25. Februar. Der Mörder Neumann ge-
ständig! Wie uns von zuverlässiger Seite mit-
geteilt ivird, hat sich der des Mordes an dem
Geschäftsreisenden Lehmann dringend verdäch-
tige Perleberger Schlossergeselle Neumann
gestern abend dem Untersuchungsrichter vor-
führen lasse» und unter Tränen ein umfassen-
des Geständnis abgelegt. Wir beglückwünschen
von Herzen unsere vortreffliche Kriminalpolizei,
der es so rasch gelungen ist, in diese dunkle
itnb verwickelte Bluttat vollkommene Klärung
zu bringen.
26. Februar. Wie wir soeben erfahren, be-
ruhte unsere gestrige Mitteilung, der mutmaß-
liche Mörder Neumann habe seine Tat ge-
standen, ans einem bedauerlichen Hörfehler
unseres sonst überaus zuverlässigen polizeilichen
Gewährsmannes. Neumann hat nicht gesagt!
„Ich habe das Verbrechen begangen," sondern
er äußerte mit Beziehung auf die greise Haupt-
belastungszeugin Bumke: „Die alte Knarre ist
total meschugge."
17. März. Der vor einem Monat verhaftete
Neumann ist heute aus dem Untersuchungs-
gefängnis entlassen worden. Die Polizei richtet
jetzt, wie tvir hören, ihre Hauptaktion gegen
den Lazarettgehilfen Müller, der zu den be-
reits am 1. Februar verhafteten Personen ge-
hört und die Tat mit werkwürdiger Verstockt-
heit während dieser sechs Wochen andauernd
geleugnet hat. Es handelt sich hier um ein
wegen Spielens in einer außerpreußischen Lot-
terie bereits vorbestraftes Individuum. Dieser
Umstand bestärkt die Polizei in ihrem Ver-
dacht, da die Tat nach der einstimmigen An-
sicht aller sachverständigen Kriminalisten nur
von einem gewerbsmäßigen Verbrecher aus-
geführt sein kann.
27.März. Den unermüdlichen Nachforschun-
gen unserer Kriminalpolizei ist es gelungen,
aus dem Vorleben des Raubmörders Müller
einige Tatsachen festzustelle», die den Charakter
dieses Menschen in dem denkbar schlechtesten
Lichte erscheinen lassen. Müller hat als Lazarett-
gehilfe vor 17 Jahren einen seiner Pflege an-
befohlenen Patienten statt des ärztlich ver-
ordneten gelinden Sirupklistiers in hämisch-
schadenfreudiger Absicht ein ätzendes Senf-
klistier verabfolgt, das für das beklagenswerte
Opfer ein ungemein peinliches Brennen und
Jucken im After und Mastdarm zur Folge
hatte. Müller leugnet zivar auch diese Tat,
dieselbe ivird aber bewiesen durch das Zeug-
nis einer Scheuerfrau, die das Vorkommnis
seinerzeit durch ein Schlüsselloch ganz genau
beobachtet haben ivill. An eilte Freilassung
Müllers, die von einem Teil der oppositionellen
Presse gefordert ivird, ist unter diesen erschwe-
renden Umständen natürlich nicht zu denken.
1. April. Der Raubmörder Müller über-
führt! In der Wohnung des Lazarettgehilsen
Müller ist gestern durch den Kriminalkommis-
sar Dämel III ein Stück Bindfaden gefunden
worden, das in seinem Äußeren genau jener
Schnur entspricht, mit der der Geschäftsreisende
Lehmann erdrosselt und erhängt worden ist.
Angesichts dieser Tatsache sind nunmehr alle
von der Nörglerpresse genährten Ziveifel an
der Schuld Müllers hinfällig geworden.
5. April. Die Verdachtsgründe gegenMüller
verdichten sich immer mehr.
30. April. Die Tat des Raubmörders Müller
soll bereits in der nächsten Schwurgerichts-
periode zur Aburteilung gelangen.
1. Mai. Der Lazarettgehilfe Müller ist heute
nach dreimonatiger Untersuchungshaft mit einer
ernsten Verwarnung aus dem Gefängnis ent-
lassen ivorden, da sich herausgestellt hat, daß
in dem Falle Lehmann, Grünstraße 13a, kein
Raubmord, sondern unzweifelhaft Selbstmord
Vorgelegen hat.
15. Mai. Der Geschäftsreisende Lehmann,
dessen vermeintliche Ermordung in den letzten
Monaten so viel Staub aufgewirbelt und Pu-
blikum uitd Behörden in fieberhafter Erregung
gehalten hat, ist gestern nach einer ungewöhn-
lich langen Geschäftstour wohlbehalten in seiner
hiesigen Wohnung,Grnnstraße 13a, eingetroffen.
Was die Kriminalpolizei für den zerfetzten und
völlig in Verwesung übergegangenen Leichnam
gehalten hat, ist, >vie sich jetzt herausstellte,
ein alter, viel getragener und sehr defekter
Schlafrock gewesen, den Lehmann vor seiner
Abreise zum Auslüsten an das offene Fenster
seines Schlafzimmers gehängt hatte. To.iaö.
Emil Erk
Frau, nimm die Nase voll, — der Geruch ist geradezu majestätisch!"
Der Mord in der Grünstraße.
Ein Kriminalroman in Zeitungsberichten.
1. Februar. Durch die Entdeckung eines
ebenso geheimnisvollen ivie schenßlichen Ver-
brechens wurde die Einivohnerschaft unserer
Stadt gestern in Aufregung versetzt. Im Hause
Grünstraße I3a, 3. Hof, linker Seitenflügel,
2 Treppen rechts, wohnte der 75jährige un-
verheiratete Geschäftsreisende Aug. Lehmann.
Den Flurnachbarn war es anfgefallen, daß
seit längerer Zeit von Lehmann nichts zu sehen
und zu hören war und ein penetranter Geruch
aus dem geöffneten Fenster des Schlafzimmers
drang. Die benachrichtigte Revierpolizei er-
schien gestern vormittags ltnb ließ die Tür ge-
waltsam öffnen. Den Eintretenden bot sich ein
entsetzlicher Anblick dar. An einem Nagel an
der Wand unmittelbar neben dem geöffneten
Fenster hing der furchtbar zerfetzte, bereits bis
zur Unkenntlichkeit in Verwesung übergegangene
Leichnam Lehmanns. Das Werkzeug, mit dem
der Ermordete offenbar erst erdrosselt und
dann erhängt worden war, bestand in einer
kurzen, dünnen, aber sehr widerstandsfähigen
Schnur. Die Kriminalpolizei wurde sofort be-
nachrichtigt, und nach einer halben Stunde
schon war die Mordkommission zur Stelle.
Mit der gewohnten zielbewußten Energie und
Umsicht wurden zahlreiche photographischeAuf-
nahinen des Tatortes gemacht, die Räume der
Wohnung versiegelt, 1000 Mark Belohnung
ausgesetzt und 47 Personen wegen dringenden
Verdachtes der Täterschaft verhaftet.
8. Februar. Wie uns in Sachen des Mor-
des in der Grünstraße von polizeilicher Seite
mitgeteilt wird, haben von den 47 verhafteten
Personen im Laufe der vorigen Woche 46 wie-
der entlassen werden müssen, da sich der Ver-
dacht gegen sie bedauerlicherweise nicht länger
aufrechterhalten ließ. Dafür hat unsere un-
ermüdliche Sicherheitsbehörde aber bereits 73
neue Verhaftungen vorgenommen.
15. Februar. Von den vor acht Tagen ver-
hafteten 73 Personen sind 72 wieder entlassen
worden. Die Polizei glaubt aber jetzt auf der
richtigen Fährte zu sein. Im Interesse der Sache
wird vorläufig vollkommenes Stillschweigen
über die behördlichen Maßnahmen beobachtet,
aber schon für die nächsten Tage dürfte eine
sensalionelle Überraschung bevorstehen.
17. Februar. Es ist unserer Kriminalpolizei
gelungen, die Verhaftung des mutmaßlichen
Raubmörders aus der Grünstraße gestern abend
in aller Stille auszuführen. Es handelt sich
um den Schlossergesellen Neumann auS Perle-
berg, ein bisher noch unbestraftes Individuum.
Der letztere Umstand bestärkt die Polizei in
ihren: Verdacht, da die Tat nach dem einstim-
migen Urteil aller sachverständigen Krimina-
listen von keinem gewerbsmäßigen Verbrecher
ausgeführt worden ist.
24. Februar. Der Verdacht gegen den
Schlossergesellen Neumann ans Perleberg hat
sich durch ein neues, sehr sch>verwiegendes Mo-
ment verschärft. Die 89jährige Streichholzver-
käuferin Emilie Bumke erkannte in Neumann
unzweifelhaft den Menschen wieder, der zur
Zeit des Mordes das Haus Grünstraße 13a
in eiligen Schritten verlassen hat. Als die
schon etwas schwachsinnige Greisin dein Mör-
der ihre belastenden Aussagen direkt ins Ge-
sicht schrie, brach dieser völlig fassungslos zu-
sammen. Man erwartet, daß er noch im Laufe
des heutigen Tages ein Geständnis ablegen
ivird.
25. Februar. Der Mörder Neumann ge-
ständig! Wie uns von zuverlässiger Seite mit-
geteilt ivird, hat sich der des Mordes an dem
Geschäftsreisenden Lehmann dringend verdäch-
tige Perleberger Schlossergeselle Neumann
gestern abend dem Untersuchungsrichter vor-
führen lasse» und unter Tränen ein umfassen-
des Geständnis abgelegt. Wir beglückwünschen
von Herzen unsere vortreffliche Kriminalpolizei,
der es so rasch gelungen ist, in diese dunkle
itnb verwickelte Bluttat vollkommene Klärung
zu bringen.
26. Februar. Wie wir soeben erfahren, be-
ruhte unsere gestrige Mitteilung, der mutmaß-
liche Mörder Neumann habe seine Tat ge-
standen, ans einem bedauerlichen Hörfehler
unseres sonst überaus zuverlässigen polizeilichen
Gewährsmannes. Neumann hat nicht gesagt!
„Ich habe das Verbrechen begangen," sondern
er äußerte mit Beziehung auf die greise Haupt-
belastungszeugin Bumke: „Die alte Knarre ist
total meschugge."
17. März. Der vor einem Monat verhaftete
Neumann ist heute aus dem Untersuchungs-
gefängnis entlassen worden. Die Polizei richtet
jetzt, wie tvir hören, ihre Hauptaktion gegen
den Lazarettgehilfen Müller, der zu den be-
reits am 1. Februar verhafteten Personen ge-
hört und die Tat mit werkwürdiger Verstockt-
heit während dieser sechs Wochen andauernd
geleugnet hat. Es handelt sich hier um ein
wegen Spielens in einer außerpreußischen Lot-
terie bereits vorbestraftes Individuum. Dieser
Umstand bestärkt die Polizei in ihrem Ver-
dacht, da die Tat nach der einstimmigen An-
sicht aller sachverständigen Kriminalisten nur
von einem gewerbsmäßigen Verbrecher aus-
geführt sein kann.
27.März. Den unermüdlichen Nachforschun-
gen unserer Kriminalpolizei ist es gelungen,
aus dem Vorleben des Raubmörders Müller
einige Tatsachen festzustelle», die den Charakter
dieses Menschen in dem denkbar schlechtesten
Lichte erscheinen lassen. Müller hat als Lazarett-
gehilfe vor 17 Jahren einen seiner Pflege an-
befohlenen Patienten statt des ärztlich ver-
ordneten gelinden Sirupklistiers in hämisch-
schadenfreudiger Absicht ein ätzendes Senf-
klistier verabfolgt, das für das beklagenswerte
Opfer ein ungemein peinliches Brennen und
Jucken im After und Mastdarm zur Folge
hatte. Müller leugnet zivar auch diese Tat,
dieselbe ivird aber bewiesen durch das Zeug-
nis einer Scheuerfrau, die das Vorkommnis
seinerzeit durch ein Schlüsselloch ganz genau
beobachtet haben ivill. An eilte Freilassung
Müllers, die von einem Teil der oppositionellen
Presse gefordert ivird, ist unter diesen erschwe-
renden Umständen natürlich nicht zu denken.
1. April. Der Raubmörder Müller über-
führt! In der Wohnung des Lazarettgehilsen
Müller ist gestern durch den Kriminalkommis-
sar Dämel III ein Stück Bindfaden gefunden
worden, das in seinem Äußeren genau jener
Schnur entspricht, mit der der Geschäftsreisende
Lehmann erdrosselt und erhängt worden ist.
Angesichts dieser Tatsache sind nunmehr alle
von der Nörglerpresse genährten Ziveifel an
der Schuld Müllers hinfällig geworden.
5. April. Die Verdachtsgründe gegenMüller
verdichten sich immer mehr.
30. April. Die Tat des Raubmörders Müller
soll bereits in der nächsten Schwurgerichts-
periode zur Aburteilung gelangen.
1. Mai. Der Lazarettgehilfe Müller ist heute
nach dreimonatiger Untersuchungshaft mit einer
ernsten Verwarnung aus dem Gefängnis ent-
lassen ivorden, da sich herausgestellt hat, daß
in dem Falle Lehmann, Grünstraße 13a, kein
Raubmord, sondern unzweifelhaft Selbstmord
Vorgelegen hat.
15. Mai. Der Geschäftsreisende Lehmann,
dessen vermeintliche Ermordung in den letzten
Monaten so viel Staub aufgewirbelt und Pu-
blikum uitd Behörden in fieberhafter Erregung
gehalten hat, ist gestern nach einer ungewöhn-
lich langen Geschäftstour wohlbehalten in seiner
hiesigen Wohnung,Grnnstraße 13a, eingetroffen.
Was die Kriminalpolizei für den zerfetzten und
völlig in Verwesung übergegangenen Leichnam
gehalten hat, ist, >vie sich jetzt herausstellte,
ein alter, viel getragener und sehr defekter
Schlafrock gewesen, den Lehmann vor seiner
Abreise zum Auslüsten an das offene Fenster
seines Schlafzimmers gehängt hatte. To.iaö.