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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 28.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.6709#0396
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7294

vor dem Fall.

„Ls hilft Ihnen nichts. Vas Totenglöcklein läutet." August Bebel im deutschen Reichstag am 10. November.

Sie taten plötzlich unversöhnt
In heißem Groll und Grimme.
Doch durch das laute Lärmen tönt
Des Glöckchens dunkle Stimme.
Wir lernten in der Zeiten Lauf,
Was dieser Klang bedeutet:

Wir warten ja so lange drauf!
Das Totenglöcklein läutet!

Wir stehen voller Ungeduld
Und schlagen an die Waffen.

Wir wissen es: ihr habt die Schuld!
Ihr habt ja selbst geschaffen
Die große Schmach! Es ist zu spät,
Wenn ihr euch jetzt noch häutet!
Sprecht schleunigst euer letzt' Gebet:
Das Totenglöckchen läutet!

Es schläft der Helle Wetterstrahl
Noch in der dunklen Wolke.

Ihr ahnt es gut - und auf einmal
Steht ihr nun vor dem Volke,

Das ihr durch Paragraph und Zoll
Gepreßt und ausgebeutet -
hinweg! Das Maß ist übervoll,
Das Totenglöckchen läutet! p.s.

Blitzdrahtnachrichten.

Berlin. Amtlich wird bekannt gemacht, daß der so plötz-
lich aus der reaktionären fjaut gefahrene Kanzler sich beeilt
hat, wieder hineinzukriechen, um das Märchen vom roten
Kanzler rasch zu beendigen.

— Offiziös wird die drohende Geste des Kanzlers für eine
„Geste von Agadir" erklärt. Die Zurückziehung des Kriegs-
schiffs, das seinem Munde entfuhr, soll sofort nach Abschluß
der hinter den Kulissen spielenden Verhandlungen erfolgen.

— Trotzalledem ist die konservative Partei sehr empört;
denn der Bethmannsche Kürassierstiefel hat mitten in die große
patriotische Kriegspauke hineingetreten, die das Hauptstück
der konservativen lvahlkampfblechmusik ist.

Dresden. Das Gerücht, der König von Sachsen habe, als
er die Nachricht erhielt, daß ein Sozialdemokrat zum ersten
Vizepräsidenten des Landtags gewählt worden sei, ausge-
rufen: „es ist eine Lust zu leben!", beruht auf einer Ver-
wechslung. Er hat diesen Ausspruch schon bei einer früheren
Gelegenheit getan, ist aber jetzt bereit, ihn zu widerrufen.

Nom. Der Krieg um Tripolis zieht sich ähnlich so in die
Länge wie das Gesicht Italiens. Die fremden Militärattaches
sollen abberufen und durch je einen Großschlächtermeister er-
setzt werden, weil diese von der italienischen Armee sehr viel
mehr lernen können als jene.

Peking. Tho-Sun-Pen machte den Vorschlag, die Verfas-
sung Chinas nach dem deutschen Vorbild zu gestalten. Er
wurde deshalb als Reaktionär gebrandmarkt und vom Volke
gesteinigt. Die chinesische Reformpartei ließ öffentlich erklären,
daß solche rückständige, die Menschenwürde verletzenden An-
schauungen in China jetzt nicht mehr gebilligt würden.

— Der kaiserliche Hof ist vor der siegreichen Revolution
zwar ausgekniffen, hat aber zur Währung des monarchischen
Prinzips eine Windel auf dem Drachenthron liegen lassen.

Chinesisches.

Vorbei ist's mit der Revolution
And es rufen die edelsten Mandschu
Wir wollen keine Revolution,

Wir wollen den Stock, den Kantschu.

L. Leine.

Es ändert sich wieder einmal die Welt
Dort, wo's am faulsten gewesen;
Derweilen bei uns es rückwärts geht,
Geht's vorwärts bei den Chinesen.

Sie drangen mit Energie voran
In stürmend mächtigem Schritte,

And plötzlich ward eine Republik
Das riesige Reich der Mitte.

And was die Chinesen abgeschafft.

Das will man uns Deutschen bewahren;
Wir bleiben mit langen Zöpfen geziert,
Mit wirklichen Prachtexemplaren.

And unsre Mandschus, die Iunkerschaft,
Die sollen uns weiter ducken;

Zu ihnen als höheren Wesen empor
Der deutsche Michel soll gucke».

Vielleicht, o Michel, erinnerst du dich,
Was du bisher stets gewesen.

And denkst auch bei der kommenden Wahl
Ein wenig an die — Chinesen. A.T.

Der Fall Konfusius.

Von Laus Flux.

Welches Unheil die Sozialdemokratie anzurichten
vermag, hat sich neuerdings in dem Fall Konfusius
gezeigt.

Der verdiente Professor Konfusms betrieb seit
Jahren eifrigst chinesische Studien, deren Resultate
von größter Bedeutung für das Deutsche Reich
hätten werden können. (grifl nämlich der Meinung,
daß er von dem berühmten chinesischen Religions-
stifter Konfuzius oder Konfntse abstammt, was er
mit vielem Scharfsinn aus der auffallenden Aehn-
lichkeit der Namen abgeleitet hat. Konfntse war aus
Schantung gebürtig, und wenn der Nachweis ge-
lingt, daß der deutsche Professor wirklich von beut
478 vor Christus verstorbenen Rcligionsstifter ab-
stanimt, so kann der Professor im Namen des Deut-
schen Reichs gegründeten Anspruch aus die Provinz
Schantung erheben, wodurch endlich die famose
Kolonie Kiautschau das fehlende Hinterland erhalten
könnte.

Die Studien des Professors nahten ihrem Ab-
schluß und die politische tvie die Gelehrtenwclt Ware»
äußerst gespannt — da nahte das Unglück in Ge-
stalt der Frau Professor, die ein Zeitungsblatt mit
dem Reichstagsbericht in der Hand hielt.

„Schändlich! Uebcr alle Maßen schändlich!" weh-
klagte sie.

„Was denn?" fragte der Professor erstaunt.

„Bist du denn auch ein Kriegshetzer?"

„Nun ja, einen Krieg müssen wir von Zeit zu
Zeit haben; sonst versinken die Völker in Schlaff-
heit und Spießbürgertum."

„AchGott! Ach Gott! Da haben wir das Unglück!"

Der Professor ivard aufgeregt: „Was willst du
denn?"

„Wenn du dann mit mußt" —

„Dummes Zeug! Ich bin für den Krieg, aber
ich bleibe zu Hause!"

„Da lies!"

Und der Herr Professor las den Neichstagsbericht.
Da stand, daß der Sozialdemokrat Bebel im Reichs-
tage den Borschlag gemacht hatte, daß aus den deut-
schen Professoren, welche den Krieg für eine Not-
wendigkeit erklärten, ein Regiment gebildet werden
sollte, das immer zuerst zum Angriff auf die feind-
lichen Stellungen vorzuschicken wäre.

Dem Professor fiel die Zeitung aus der Hand.

„Oh," stammelte er, „ich-"

„lind wenn nun bei den nächsten Wahlen diese
schrecklichen Sozialdemokraten obenauf kommen,"
schluchzte sie, „dann-"

Der Professor bekam einen Nervenchok, und zwar
einen so schweren, daß er in absehbarer Zeit nicht
mehr in den vollen Besitz seiner Arbeitskraft ge-
langen wird und seine chinesischen Studien auf-
gcben muß.

Aus diese,» Fall ersieht man tviedcr einmal so
recht, wie durch die sozialdemokratische Frivolität
die Interesse» des Reiches geschädigt werden. Die
Aussichten auf den Besitz von Schantung sind nun
vorläufig vernichtet. Die Studien des Professors
Konfusius fortzusctzcn ist kein anderer Gelehrter im
stände, da keiner das erforderliche Wissen und seinen
Scharfsinn besitzt.

Einstweilen ist Professor Konfusius dem Reichs-
verband zur Bekämpfung der Sozialdemokratie bei-
getreten.

Parlamentarische Regeln

für im »Druck" befindliche Staatsmänner.

Setze dich den Kerls gegenüber auf das „hohe
Pferd" der Bureaukratie; und wenn das nicht hilft,
dann imponiere ihnen, indem du auf das philo,
sophische Kamel kletterst!

Kämpfe gegen die Sozialdemokratie entweder mit
der Tapferkeit eines Don Quichotte oder aber mit
der Erzählungskunst eines Freiherrn von Münch-
hausen! —._.—

Das kommt davon!

Bäckermeister Klappteich war ein großer Biertisch-
politiker, der aber trotzdem regelmäßig um zehn Uhr
abends zu Hause sein mußte, weil seine liebe Frau
sehr kühl und scharfsinnig behauptete, daß die Politik
für ihn nur ein Borwand zum Biertrinken sei.

Herr Klappteich ärgerte sich über dies Mißtrauen
in seine politische Männlichkeit. Und als nun die
nationalliberale Partei, bei der er seit zwanzig Jahren
prompt seine Beiträge zahlte, eines Abends endlich
ihre erste große Volksversammlung abhielt, da redete
er seiner Frau gegenüber so lange von seinen staats-
bürgerlichen Pflichten und Rechten, bis er wirklich
mal ausnahmsweise den Hausschlüssel bekam. Es
sei nämlich richtig, meinte die praktische Frau Therese,
daß er wenigstens etwas mal haben müsse für das
viele unnütze Geld!

Punkt elf Uhr kehrte Herr Klappteich torkelnd ans
der Versammlung heim. Seine Frau ging prüfend
dreimal um ihn herum und musterte ihn mit den
Kennerblicken einer langjährigen Erfahrung.

Dann brach das Gewitter los: „Sag' mal, was
bedeutet denn das? Du bist ja so sternhagclvoll wie
noch nie! Und dabei riechst du weder nach Bier noch
nach Schnaps! Wie geht das denn zu?"

Herr Klappteich stotterte wahrheitsgemäß, daß die
nationalliberale Partei ihn mit Redensarten be-
soffen gemacht habe.

Und seitdem darf er sie niemals wieder besuchen!

Der verhängnisvolle Arahn.

„Unser Kandidat ist dem bodenständigen Adel der
Provinz entsprossen. Ein stolzer Wahlspruch seines
alten Geschlechts erklärt den Tod im Bett für einen
schimpslichen Tod. Und in der Tat haben seine Ahnen
dies stets beherzigt! Den» die uns vorgelegte Familien-
chronik derer v. Hohengreif weiß nur von solchen
Trägern jenes edlen Namens zu berichten, die im
Kampfe für die heiligsten Gütern ihr Leben auf dem
Felde der Ehre verloren haben."

So pries das konservative Blättchen den Bürgern
der ehemals freien und Reichsstadt seinen Kandidaten
an. Leider aber war gerade das historische Thema
ein nicht sehr glücklicher Griff! Denn die gegnerische
Presse ging prompt darauf ein und konnte bereits
nach vierundzwanzig Stunden eine gelehrte Fußnote
zu obenstehendem Artikel veröffentlichen. Sie hatte
folgenden Wortlaut:

„Das stiinmt ganz genau! In der hiesigen Stadt-
chronik zmn Beispiel findet sich eine Notiz, wonach am
12. Januar 1411 der Raubritter Thilo v. Hohengreif,
der eine »Plage für Stadt und Land' gewesen sein soll,
auf dem hiesigen Marktplatz — gehängt morden ist!"

Die Kandidatur v. Hohengreif wurde schleunigst
zurückgezogen.
 
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