Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0010
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
7338 .

Frauen heraus!

Frauen heraus!

Klinge es nun von Laus zu Laus —
Langsam mahlen der Wahrheit Mühlen.
Aber sie mahlen sicher und gut.

Lelft! Und peitschet das träge Blut!

Könnt ihr nicht wählen, so könntihr doch wühlen!
Frauen heraus!

Töne es in das Kampsgebraus.

Treibt's euch nicht, die Arme zu recken?

Alles, was da im Schlafe liegt

And in bequemen Träumen sich wiegt.

Müßt ihr rütteln, müßt ihr erwecken!
Frauen herbei!

Jede Träne des.Kindes sei
Stumme Mahnung an schuldlose Not,
Brenne euch tief in das zuckende Lerz!
Wachet und wandert sonnenwärts:

Rettung bringt nur das heilige Rot!

Frauen heraus!

Streuet die Saaten der Zukunft aus!

Eure Sache will man mit kühlen
Sachten Beschwichtigungen verraten.

Duldet nicht stumm, erwidert mit Taten!
Könnt ihr nicht wählen, so könnt ihr doch wühlen!

- ...— P. E.

v. 2irnim--Schnodderheim

an v. Below-'Pleitenburg.
Mein Allerwertester! Wahlkampagne hat
Höhepunkt erreicht. In zwei Wochen fällt Ent-
scheidung. Situation äußerst kritisch. Sozial-
demokratie berennt uns von allen Ecken und
Enden. Werden es nicht glauben wollen, ist
aber Tatsache: sogar auf Schnodderheim sind
am hellichten Tage rote Wühler erschienen, die
Flugblätter verteilen wollten. Ließ sie natür-
lich sofort festnehmen, binden und vierund-
zwanzig Stunde» in Spritzenhaus sperren.
Chose wurde publik, kam in Zeitung und soll
nun Anklage wegen Freiheitsberaubung krie-
gen. Einfach lächerlich, aber im Grunde doch

tief beschämend. Sind wahrhaftig weit ge-
kommen in sogenanntem Rechtsstaat, wenn
nicht mal mehr auf eigenem Grund und Boden
einsperren darf, wen will! Auch sonst stramm
agitiert. Zentralkasse und Landratsamt fleißig
Gelder abgemolken und Aufklärungsarbeit
unter Bauern besorgt: fünfundsiebzig Achtel
Bier, neun Hektoliter Schnaps, fünfhundert
Kisten Zigarren. Sogar Jnstleute auf Gut,
denen leider nicht mehr recht trauen darf, da
Inspektor sozialdemokratische Blätter in Woh-
nungen gefunden, energisch bearbeitet. Ließ
letzten Sonntag nach Kirche Kerls auf Hof
antreten und habe Versuch gemacht, mit geisti-
gen Waffen einzuwirken und bischen politische
Bildung beizubringen. Man muß heutzutage
eben mit Zeit mitgehen, mein Allerwertester,
wenn nicht ganz unter Räder geraten will!
Hielt folgende Ansprache:

„Leute! Am zwölften Januar ist Reichstags-
wahl. Das ist für jeden Deutschen hoher Ehren-
tag, denn da hat er das Recht, einen Ab-
geordneten zu wählen, der nach Berlin fahren
und Seiner Majestät helfen soll, Gesetze machen.
Die Wahl ist frei, das heißt: es kann euch
keine Macht der Welt zwingen, einen anderen
Abgeordneten zu wählen als den, de» ich euch
befohlen habe..-. Wer das ist, wißt ihr: es ist
natürlich unser Herr Landrat. Nun drängen sich
seit einiger Zeit allerhand schäbige Subjekte au
euch heran, die euch beschwatzen »vollen, einem
sogenannten Sozialdemokraten eure Stiinmen
zu geben. Leute!.Das »verdetihr nichttun; denn
sonst soll euch der Deibel holen! Ihr kennt mich!
Was »vollen denn diese roten Halunken eigent-
lich? Ihr wißt daS nicht und sie sagen es euch
nicht. Aber ich »veiß es und »vill es euch sagen.
Sie »vollen die Viehzölle und die Grenzsperren
aufheben und euren Kühen die Rinderpest und
euren Schiveinen den Rotlauf anhexen! Sie
»vollen den Kaiser abschaffen, damit ihr keinen
Kaisersgeburtstag mehr feiern könnt mit Frei-
schnaps und Tanzmusik! Sie »vollen die Reli-

gion abschaffe», damit ihr keinen Sonntag »»rehr
habt und alle Tage arbeiten müßt! Sie »vollen
die Ehe abschaffen, dainit ihr kein Weib habt,
das euch eure Kartoffeln kocht und bei dein
ihr liegen könnt! Die roten Halunken »vollen
alles abschaffen, »vas ehrivürdig und heilig
ist. Sogar das Schnapssaufen »vollen sie ab-
schaffen! Sie »vollen euch hier auf Erde» das
Leben verekeln, und wenn ihr mal krepiert seid,
dann kommt die rote Bande »»nd nimmt euch
alles »veg, »vas ihr besessen habt, so daß eure
Frau und eure Kinder ins Armenhaus ziehen
»»»rissen! Das nennen sie Erbschaftssteuer. Unser
Herr Landral aber »vird in Berlin dafür sor-
gen, daß auf die roten Schiveinehunde mit
Kanonen geschossen »vird, bis sie alle auf der
Strecke geblieben sind und keiner von den
Kanaillen mehr sein freches Maul aufreißen
und euch beschivatzen kann! Darum habe ich
euch befohlen, daß ihr am Wahltag den» Herrn.
Landrat eure Stimme gebt, >»nd ich brauche
euch nicht noch extra zu befehlen, daß ihr jeden»
roten Sauigel, der sich auf Schnodderheim
sehen lassen sollte, sämtliche Knochen i»» Leib
zerprügelt. Das seid ihr eurem Kaiser, eurer
Religion, euren Frauen und euren Schweinen
schuldig! Aber die Wahl ist nicht bloß frei,
»vie ich schon sagte, sondern sie ist auch geheim.
Also: die Stimmzettel, die euch der Gendarm
geben »vird, werden in ei» Knvert gesteckt, in
einen verdeckte»» Topf gelegt und ihr braucht
keinen» Menschen zu erzählen, »ven ihr geivählt
habt. Auch mir braucht ihr es nicht zu erzählen,
denn ich erfahre das schon von allein! Der
Herr Oberinspektor »vird sehr genau aufpassen
»ud jeden Hal»tnken »nelde», der nicht pariert
hat! Der Deiwel soll ihn frikassieren, darauf
könnt ihr euch verlassen! Ihr kennt mich!"

Lichtvolle Ansprache »nachte offenbar tiefen
Eindruck. Hoffe daher wenigstens für Schnod-
derheinr befriedigendes Wahlresultat, »veni»
auch sonst alles in Binsen geht.

Inzwischen Gottbefohlen! Ihr Arnim.
 
Annotationen