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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0012
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— 7340

•£) Zum zmölften Januar. V

Zu drückend rosrd das joch der Schande,

Das dumpf auf unferm Dachen lag,
froh rüstet rings im deutschen Lande
Das Volk fiel) zum Befreiungstag;

Dun kommt das klärende Geroitter,
pus roten Wolken zuckt der Streich,

Dun zittert, Pfaffen ihr und Ritter,

Denn jeder Blitzstrahl zielt auf euch!

Du aber, Volk, das man geschunden.
Das man geknechtet all die Zeit,
Gedenke Deiner Schmach und Wunden
Und tu’ jetzt deine Schuldigkeit!

Dichts gibt es, roas euch zu entfdnild’gen
vermag, das Matz ist derart voll,

Datz selbst dem Mid)el, dein geduld’gen,
Zuletzt die Zornesader fchrooll.

Dun fährt die furcht euch in die Knochen,
Der flngstfchiveih perlt, der Min stockt,
Dun roird das Urteil euch gesprochen.
Dun freht, roas ihr euch eingebrockt!

Ruchlofe Herrschaft gilt's zu enden
Mit kräft’gem hieb und festem Mut:

Dein Schicksal liegt in deinen Händen
Drum nütz’ die Stunde, nütz’ sie gut!

fünf fahre faht ihr an der Krippe
Und nütztet diefe jahre gut:

Dem Vampir gleich, mit gier’ger Lippe
Sogt ihr an unferm Mark und Blut,
Ihr fülltet Kisten euch und Kasten,
habt Pafch’ und Beutel vollgefadtt,
indes dem Volk ihr alle Lasten
Und alle Sorgen aufgepacht.

c o o

Die Panne des deutschen
Familiensinns.

eine Wahl- und Silvestergeschichte von P. E.

Es waren nur noch ivenige Stunden bis zum
Ablauf des Jahres, als der Rittergutsbesitzer
Freiherr Kuno v.Knarxhausen seinen Chauffeur
herbeirief und ihm befahl, das Auto anzuheizen.
Denn er müsse noch in die Kreisstadt.

Dann goß er sich einen Likör ein. Aber seine
Hand zitterte dabei. Zum Teufel, er war ner-
vös! Als er das Glas an den Mund hob, wußte
er auch iveshalb: auf dem gelben Untergrund
sah er deutlick) zivei grinsende Gesichter-

Es waren die Gesichter, die er jetzt überall
sah. Sie gehörten seinen beiden Gegenkandi-
daten, dem Sozi und dem Liberalen an, die
sich unterstanden hatten, ihn in seinem höchst-
eigene» Wahlkreis anzugreifen.

Erhalte den Kreis gewissermaßen von seinem
Onkel „geerbt" und war sonst um diese Zeit
im sündigen Berlin oder an der Riviera.

Diesen beiden Kerlen hatte er es zu ver-
danken, daß er nun hier sitzen mußte, wo sich
Wolf und Fuchs gute Nacht sagten. Denn sie
saßen ihm — das war nicht zu leugnen — hart
auf den Fersen.

So hatte er nirgends mehr Ruhe. Wenn er
im weichen Klubsessel saß und den blauen Wölk-
chen seiner Importen nachblickte, sah er die
beiden auf dem Rauch schweben. Wenn er in
den Winternebel hinaussah, drohten sie ihn
von dort an. Und wenn er — wie jetzt — das
Glas zum Munde führte, sah er sie auch dort.
Es war zum Verzweifeln. Er mußte endlich
etwas Abwechslung haben. Wenigstens heute.

In der Kreisstadt im „Löwen" fand er wohl
ein paar Herren, mit denen ein Whist zu spielen
war. Aber da gab es doch bald wieder Politik.

Sein Ziel war heute die kleine Weinkneipe
in der Marktgasse, wo die „fesche Polin" kre-
denzte — — Dort hatte er schon manches
Diätengoldstück in Sekt angelegt. Dort würde
man auch heute „mit zarter Hand" seine Sorgen
verscheuchen-

Seine Gattin Adelaide trat ein.

„Kuno, du willst fort?"

„Ja,leider. Eine ivichtige Wahlbesprechung."

„Heute, am Silvester?"

Er zuckte mit den Achsel».

„Ein Politiker hat kein Fest. Du weißt, liebe
Adelaide, wie ich um mein Mandat kämpfen
muß, mit diesen —"

Sie kreischte auf: „Sprich diese Namen nicht
aus! Daß du, daß ein Knarxhausen sich mit
diesen Kreaturen herumschlagen muß! Müßte
das nicht Majestät verbieten?"

„Eigentlich ja. Dafür kämpfen wir ja auch
und dann — für den bedrohten Familiensinn!"

„Ja, Kuno, du kämpfst für eine heilige Sache."

Einer Entgegnung enthob ihn das ungedul-
dige Rufen der Antohupe draußen.

„Adieu, mein Herz!"

„Leb wohl! Aber um zwölf bist du doch hier?
Tante Adelgunde ivill auch aufbleiben."

„Wenn es geht, natürlich. Aber die Pflicht
geht eben vor."

lind stolz sah Frau Adelaide ihrem davon-
ratternden Gatten nach, der ihr wie eine Ritter-
gestalt deutscher Sage erschien, die mit dem
Drachen kämpft.

Während Kuno durch die Winternacht da-
hinfuhr und der Wind ihm kalt um die Adler-
nase pfiff, kam es ihm immer, mehr zum Be-
wußtsein, daß es eigentlich eine verfluchte Sache
sei, gerade jetzt zu kandidieren, wo man sich
so leicht blamieren könne.

Er, der sonst seinen Tag damit hinbrachte,
über Juden, Weiber, Knechte und Mägde, zu
schimpfen, er hatte zwei lauge Reden aus-
wendig lernen müssen! Die eine, saftig und
massiv, machte ihm Freude. Es wurde darin
der freundliche Vorschlag gemacht, den „roten
Schweinehunden eins über den Brägen zu
hauen", ivie man es Anno 70 mit dem „an-
deren Erbfeind" getan habe —

Das zog immer und erweckte Beifall, zumal,
wenn seine Dienstleute in der Mehrzahl ivaren.

In der Kreisstadt zog er aber die sanfte
Walze vor und sang das Lied von „dem be-
drohten deutschen Familiensinn, den wir als
echte deutsche Männer um keine» Preis unter-
graben lassen wollen".

Viel lieber hätte er von wichtigeren Dingen,
wie Thomasmehl, Kalkphosphat und anderen
Düngemitteln gesprochen. Und sein Kopf hatte
Wochen gebraucht, um die Reden sich einzu-
pfropfen. Aber nun saßen sie auch, und er war
allmählich stolz auf seine Rednerfähigkeiten.

An den ersten Häusern der Kreisstadt machte
das Auto Rrrr—Krrr—Brrrx — und blieb stehen.

Kuno fluchte.

Der Chauffeur stieg ab und sah nach.

„Nur ein paar Minuten!" sagte er.

Aber es verging eine Viertelstunde und noch
immer saßen sie fest.

Einige Kinder sammelten sich um das Auto.
Dann kamen auch ein paar Männer und
blieben stehen.

Sie hatten dünne Kittel an und sie schienen
in diesen kleineren Häusern zu wohnen. Mit
unverhohlenem Vergnügen sahen sie den An-
strengungen des Antos und dem wachsenden
Arger des Besitzers zu.

Die Bande hatte keinen Respekt.

Ob es Sozis waren? Oder indifferente Leute,
die man mit Leutseligkeit und Rednerschwung
noch einfangen konnte?

In Kuno erwachte das Wahlsieber.

Sollte er jetzt seine Rede halten und Pro-
paganda für seine Sache machen? In Eng-
land oder sonstivo hielt man ja vom Wagen
herab Reden an das Volk. Warum sollte er
nicht auch mal modern sei»?

lind schließlich hatte er hier mehr Zuhörer
als in mancher seiner Versammlungen.

Er räusperte sich und wollte schon „Meine
Herren" beginnen. Da siel ihm der Zweck
seines Hierseins ein, und er schwieg. Es war
doch besser, man erkannte ihn gar nicht.

916er es war schon zu spät. Der eine der
Herumstehenden sagte so recht frech: „Spannen
Sie doch Ihren Familiensinn vor, Herr Baron!
Vielleicht geht's dann!"

Er hätte ihm gern eins versetzt. Aber das
Lachen der anderen hielt ihn zurück.

Er fragte den Chauffeur, ivie lange es noch
dauere, und bekam ein Achselzucken als Ant-
ivort. Da sprang er aus dem Wagen und be-
gab sich zu Fuß nach seinem Ziele.

Auf einigen Umwegen erst erreichte er das
Weinlokal der feschen Polin, wo er mit dem
Gruße der einsamen Kellnerin: „Hurra, der
Diätenonkel!" festlich bewillkommnet wurde.

Einige Male war ihm unterwegs geivesen,
als folge man ihm. Aber er hatte nicht ge-
wagt, sich umzusehen.

Das erste Glas Sekt spülte mit anderen
Sorgen auch diese herunter. Daß sie nicht un-
berechtigt war, zeigte sich eine Weile später.

Er saß gerade so recht sanft und behaglich
im Hinterzimmer auf dem Plüschsofa, aus
seinen Knien die „Polin", die ihm eben die
dritte Pulle gebracht hatte.

Da ging draußen die Tür und einen Augen-
blick später öffnete sich der Vorhang, der dies
Allerheiligste vom vorderen Lokal trennte und
ein Mann sagte: „Bitte, recht freundlich!" Er
hielt einen kleinen Apparat auf die zärtliche
Gruppe, ein Blitzlicht zuckle ans, und dann
sagte der Mann freundlich: „Ich danke sehr,
Herr Baron. Es soll nur eine kleine Über-
raschung für ihre Wühler sein. Von wegen
dem deutschen Familiensinn! Prost Neujahr!!"

„Hinaus!" brüllte Kuno. Denn er erkannte
das Gesicht wieder — —

Der freundliche Photograph wurde ans der
Straße mit stürmischem Bravo empfangen.

Es war scheußlich.

Als er lange danach vermummt durch eine
Hintertür das Lokal verließ, spürte er in der
frischen Winterluft seinen Schädel brummen.

Das „Prost Neujahr!", das überall ertönte,
schien ihm der reine Hohn; denn er wußte,
daß der heutige Kater bis über den zwölften
Tag des angebrochenen Jahres hin sort-
dauern würde.
 
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