Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0023
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
7351 . --

ftobelfpäne. sr®

Es sagen die Pfaffen und Junker
Mit listigem Fuchsgesicht:

Glaubt nicht an den Teuerungsschwindel,
„Denn so was gibt es ja nicht!"

Wohl mancher ließ' sich beschwatzen.

Der dumm genug dazu war',

Trüg' er in sich nicht den Magen,

Den großen Revolutionär.

Der läßt sich nimmermehr machen
So leicht ein £ für ein U:

Was Junker und Pfaffen auch sagen.
Stets — knurrt er ingrimmig dazu.

Den „nationalen" Jugendfängervereinen sei das bekannte Lied mit
dem schönen Refrain: „Schön ist die,Jugend', sie kommt nicht mehr,"
auf's wärmste empfohlen. .

Aus Ärger über die Zunahme der freien Gewerkschaften bekommen
die Scharfmacher in immer steigenderem Maße die „Gelbsucht".

Die nationalliberale Großmama hat in: Trubel der Wahl ihre Brille
verloren und weiß daher beiin besten Willen noch nicht, ob sie sich auf
ein Sedan oder ein Jena einrichten soll.

Der neue Reichstag steht vor der Tür; Bethmann Hollweg wartet
schon mit gelindem Grausen auf die Mahnbriefe und Vorladungen der
„ersten Post". Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Reichsverbands-Lied.

Üb immer große BuppigKeit
Bis an dein kühles Grab
Und weiche keinen Finger breit
vom Pfad des Mogelns ab!

Und ward ein Schwindel widerlegt,
Tu so, als weißt du's nicht.

Benütze ihn nur unentwegt
Mit harmlosem Gesicht.

Und wenn zu hoch die Sache steht,
verfolge die Person —

Du findst auf unserm Mistesbeet
Manch passend Giftkraut schon.

Stinkbomben nimm in jede kjand!

Zu eklig sei kein Gift!

Bedenk: Du nützt dem Vaterland,
Wenn es die Boten trifft.

Die Mittel heiligt stets der Zweck.
Bald stehst du siegreich da
Und rufst, bis an den ljals im Dreck:
ffurra, Germania!

Nach dem päpstlichen Erlaß. Ruh. Rost

„Dös iS arg z'wieda, daß Ina in'm Pfarra sein Prozeß
d'Zeugen machn müasfn! Helsn ma ’m Pfarra, kriagn's
uns zwegn Meineid, helsn ma 'in Pfarra nöt, wer»
ma exkommunizert."

P ersonalv eränd erung en

in diversen hohen Reichsämtern werden nach den
Rcichstagswahlcn erwartet. Wir nennen folgende
Liste:

Reichskanzler v. Bethmann Holl weg wird an
Stelle des Expfarrers Jatho zum gottgewollten Syno-
dalältesten in Köln ernannt.

Tr. v. Heydebrand geht als König zu den
Suaheli und bildet die Tüchtigsten unter ihnen zu
preußischen Laudräten aus.

Diedcrich Hahn, derjungeSpahn undKider«
l en - W ä ch t e r stellen einen Wanderzirkus zusammen,
in dem sie selbst den Ausrufer, den Jongleur und
den Rausschmeißer machen.

Mathias Erzberger agitiert unentwegt weiter
für sein Ideal: Den Rcichsproporz mit Kumulierung
sämtlicher 397 Mandate auf ihn!

Schüchterne Iunkerliebe.

Willst du dein Äerz mir schenken,
Geliebter Zentrumsmann,

So denk' an meine Wähler
Und fang' es heimlich an!

Die Dornen und die Rosen
Die stechen gar so sehr —

Verlorene Mandate,

Die schmerzen noch viel mehr.

Es ist der Duft des Weihrauchs
Nicht immer angenehm
Den Wählern! And rebellisch
Sind sie schon ohnedem.

Nach außen sei, Geliebter,

Verschämt und züchtiglich —

Sind wir erst in dem Reichstag,

Dann findet alles sich!

Und neue „Liebesgaben"

Gewähren wir uns dann —

Willst du dein löerz mir schenke»,
Fang's, bitte, heimlich an!

Im nationalliberalen Zentralbureau.

Ein wahres Erlebnis aus dem Wahlleben.

„Ach bitte, meine Herren, könnten Sie nicht meinen
Vetter irgendwo als Redakteur unterbringeu?"

„Leider augenblicklich nicht, vielleicht später! Aber
wollen Sie selbst, da Sie gerade hier sind, nicht
für uns kandidieren?"

Die größten Männer.

Englische Zeitschriften versuchten, durch Umfrage
die zehn größten Männer des Landes fcstzustellen.

Wie einfach wäre das in Deutschland: Der Kaiser,
seine sechs Söhne, Bethmann, Heydebrand, General
Liebert — gleich sind zehn da! lind dabei ist Erz-
berger noch gar nicht einmal mitgerechnet.

Lieber Jacob!

Een jrausames Opfer hat de Hjahlkampanje
in Jroß-Berli» leider noch kurz vor ihr Ende
jezeiligt. Een weitleiftijer Bekannter von mir
— er ivar frieher Jrienkramhändler in de
Skalitzerstraße un hat sich vor kurzem uff seine
Zinsen zur Ruhe jesetzt — zog letzten Herbst
nach Scharlottenburg un war uff diese Weise
Anjeheerijer des jreeßten Wahlkreises im Deit-
schen Reich jeworden. Uff diesem Umstand
bildete er sich mächtig ville in, obwohl ick ihm
klar zu machen versuchte, bet er ’n Esel is. Et
muß woll sonne Art Jreeßenwahn bei ihn
ausjebrochen sind, denn uff eenmal faßte er
dem tollkiehnen. Entschluß, seinen neien Wahl-
kreis in seine janze Ausdehnung durch eijenen
Oogenschein kennen zu lernen. Vor vier Wochen
nahm er von Weib un Kindern riehrenden
Abschied, steckte sein janzes Barvermeejen zu
sich un bejab sich uff de Reise. De ersten vier-
zehn Tage schrieb er »och manchmal, sein letzter
Brief ivar von hinter Storkoiv. Aber dann
blieben alle Nachrichten aus. Er muß bei diese
Reise woll in Jejenden jekommen sind, die noch
nie keen menschlicher Fuß »ich betreten hat,
un de Fainilje nimmt an, bet er als Opfer
des wckghalsigen Versuchs, diesen Riesemvahl-
kreis zu durchqueren, umjekomnien is. Seine
Olle hat schon mehrere öffentliche Uffrnfe er-
lassen un zwee Expedizjonen zu seine Wieder-
findung ausjeristet un abjeschickt, aber et war
allens umsonst. Jetz will se ihm for verschollen
erklären lassen un, wenn sich wat passendes
findet, meejlichst bald 'n anderen heiraten, der
»ich so'n lollkiehnes Temperament hat. Ick
hoffe aber, bet er doch noch zu de Wahl heim-
kehren un de jeojrafische Wissenschaft um ville
iverlvolle Resultate bereichern wird.

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Rauke,

an'n Jörlitzer Bahnhof, jlcich links.
 
Annotationen