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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0030
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7358 - -

Eisbahn des Westens.

Eisbahn des Westens ... Lustige Klänge
Tönen durch das lust'ge Gedränge.
Militärmusik spielt: „Ob ich dich liebe.
Frage die Sterne..." klingt's durch's Getriebe.
Ist das ein Gleiten, ein Flirte», ein Wiegen,
Ein zärtliches Aneinanderschmiegen!

Mary wendet nochmal einen Blick
Einen prüfenden, scheuen zurück:

Ämter ihr in verwegenen Bogen
Kommen schon die Verehrer geflogen.

Erst nur zwei, dann drei, nun viere —

Aber alles sind Kavaliere.

Mary ist nicht hübsch, o nein.

Aber es verklärt sie ein Schein,

Ein goldener Schein auf fern und nah:

Der kommt vom Geldschrank des Lerrn Papa.
Viel lieber folgten sie jener pikanten.

Kleinen Person, der feschen, charmanten
Choristin aus dem Apollotheater —

Doch die Vernunft ist ihr Berater:

Der Beutel ist leer und Wechsel tun weh
And Marys Vater ist schwerer Bankier!

Nun fliegt ein Fremder auf sie zu.

Gab sie ihm etwa ein Rendezvous?

Die Kavaliere witzeln und schimpfen
And konstatieren mit Naserümpfen,

Wie sich das Paar dort froh bewegt.

Wie er den Arm um die Lüfte legt,

Wie sie der neue Seladon
Sicher geleitet zum Sekt-Pavillon —

Berliner Winter. LT

„Also entwischt! Verdammte Kröte!"
Schwerer drücken des Geldbeutels Nöte.

Sinnig und zärtlich klingt's aus der Ferne:
„Ob ich dich liebe, frage die Sterne..."

*

Märchen.

Die Mutter ist fort. Sie liefert eben
Die Wäsche ab. Beim fahlen Schein
Der Lampe sitzen die Kinder allein;

Ihre mageren Lände kleben
An Äampelmänner». Der Magen knurrt.
Doch keiner zögert und keiner murrt:

Bald kommt Mutter mit Geld und Brot
And einen Augenblick tritt die Not
Dann von der Zimmerschwelle zurück...
Keiner hebt von der Arbeit den Blick.

Nur der eine, der Jüngste, säumt
Einen Moment und spricht verträumt:

„Ich habe neulich ein Märchen gelesen.

Wo immer die Kinder froh gewesen;

Sie hatten zu essen immerdar.

Ob Sommer, ob Winter! Ist das wahr?
Gibt es ein Kind wohl in der Stadt,

Das immer satt zu essen hat??"

„Das sind so dumme Märchensachen,"
Verweist ihn die Ält'ste.

Die andern lachen.

Nach dem Ball.

Die Säle bei Kroll. Vor dem Portal
Drängen sich Droschken in großer Zahl.

Man tanzte und amüsierte sich heute
Wieder mal für die armen Leute —

Alles drängt sich nun, geborgen
In dicke Pelze, im Wintermorgcn,

Alles warm und selig vom Tanze,

Von der Musik, vom Kerzenglanze,

Von den Weinen und dem Sekt —

Teufel, hat das wieder geschmeckt!

And am Arme des Gatten naht
Nu» auch Frau Kommerzienrat.

Strahlend, rosig und kugelrund.

Rollt sie dahin ihre zweihundert Pfund.

Sie schauen um sich. Der Wagen blieb aus.
„Zst's nicht am besten: wir gehen nach Laus?
Nach dem lange» Albend tut
So ein bißchen Bewegung gut
In frischer Luft." Sie durchschreiten sacht
And bedächtig die Winternacht,

Die mit ihre» weißen Decken
Alles Elend möchte verstecken.

Alle Not und alles Weh.

Alles? An dem Straßenrand
Schaufeln mit der verfrorenen Land
Männer den frisch gefallenen Schnee.

'ne Weile schauen in satter Ruh
Sie dem geschäftigen Treiben zu;

Doch ihr Behage» wird Galle und Gift,

Wie ihre blanken Lackschuhe trifft

Eine Schippe Schnee. Ein Fluch: „Nanu?"

Es lachen die Männer am Straßenrande.
Die Rätin faucht: „Das alte Lied:
Andankbarkeit! And für die Bande
Lat man sich heute nun abgemüht!" T- e.

Schlechte Zeiten.

Der Hamburger Frachtdampfer „Hummel"
hatte auf der Reise nach Singapore einen Todes-
fall. Der Heizer Hinnerk Bietendüwel war ge-
storben, ivie einige sagten infolge alkoholischer
Exzesse, während andere behaupteten an einer
Leberkrankheit. Aber tot ivar er, und desivegen
sollte er bestattet werden, recht nach seemän-
nischem Brauch. Denn Kappen Jürgen Labs-
kaus hing an alten Sitten und Zeremonien und
wollte es feierlich machen. Nur darin zeigte
er sich als Modern angekränkelt, daß er dem
Zimmermann befahl, ,,'n richtijes Sarg" zn
machen für Hinnerk, während eigentliche Ur-
seemänner es vorziehen, in Segeltuch eingenäht
und mit Eisengewichten am unteren Ende über
Bord gesetzt zu werden, heißt das, wenn sie
tot sind. Doch Hinnerk Bietendüwel war auch
mit dem Sarge zufrieden, was hätte er auch
machen können?

Also der Zimmermann suchte sich die ge-
eigneten Bretter zusammen und hobelte und
sägte und hämmerte. Derweil saß Käppen Labs-
kaus in seiner Kajüte und dachte über die Rede
nach, die er bei Hinnerks Bestattung halten
wollte. Denn feierlich sollte es sein. Zuweilen
stärkte er seinen Geist durch ein Gläschen, denn
von jeher war sein Wahlspruch:

One little drop in the morning time

Is better then den ganzen Dag gor nich kein!

Und so war er ein ganz klein wenig angesäuselt,
als der Zimmermann kam und in feierlichem
Flüsterton sagte: „Dat ist so wiet, Käppen!"
Somit ging Käppen Labskaus an Deck, wo
schon alle abkömmlichen Feuerleute und sonstige
freie Mannschaft versaminelt waren. Da stand
auch der offene Sarg, in dem Hinnerk aus-

ruhte vom Stochern am Kesselfener. Käppen
Labskaus sprach die passenden Worte, darob
alle gerührt wurden bis auf einen vorwitzigen
Schiffsjungen, dem dafür als Strafe gleich ein
Extrascheuer» des Achterdecks verordnet wurde.
Jetzt sollte der Sarg geschlossen und über Bord
gesetzt werden. Aber der Steuermann, der bei
dem feierlichen Akt gleichsam als Küster diente,
machte den Käppen aufmerksam, daß das Ge-

„Ja ja, meine liebe Frau Meier, die Zeiten sind schwer.
Aber verzagen Sie nicht. Der liebe Gott läßt eine so
arbeitsfreudige Frau wie Sie nicht umkomnien: Ich und
meine zahlreiche Familie wollen immer nur bei Ihnen
eiukchren!"

wicht fehle, den Sarg in die Tiefe zn senken.
Käppen Labskaus kratzte sich in den grauen
Haaren, nahm im Geiste ein Inventar auf und
fand, daß Eisenkugeln nicht vorhanden seien.
Aber was ei» rechter Seemann ist, der weiß
einen Rat. So sprach Käppen Labskaus denn
in dem schönen Hochdeutsch, .dessen er sich in
Weihestunden bediente: „Dieses ist richtig, es
fehlt an der Gewichtigkeit und dieses muß be-
seitigt werden. Indem wir jedoch keine Kanonen-
kugeln nicht haben, nehmen wir Kohlenstücke,
was besonders paßlich ist, weil der Verblichene
man doch '» Heizer war!" Richtig, der Sarg
wurde mit Kohlen aufgefüllt, so daß nur noch
Bietendüivels Gesicht zu sehen war, dann zu-
genagelt und nach dem üblichen stillen Gebet
— drei Minuten fünfzehn Sekunden, der Käppen
sah scharf auf sein Chronometer — behutsam
auf die Reeling gehoben und ging dann über
Bord. Ganz nach Seemannsbrauch. . . .

Doch da tat der Heizer Thedje Pieper den
weisen Mund auf und sprach: „Dat wi Für-
lüt alltosamen in de Höll lahmt, is mi be-
lvußt; aberst dat ivi nu ok noch de Kahle»
glik initbringe» inöt, dat is en von de nic-
inodigen Jnrichtungen, de ik mi nich gefallen
to late» bruk. De Düwcl schall sülvens for sin
Fürmaterial upkamen! Oder sünd hüttodags
so flechte Tieden for em? Denn schall he den
Betrieb upgeben!" Pw.

Splitter.

Die Nationalliberalen ziehen auch diesmal
ivieder „mit fliegenden Fahnen" in den Waht-
kampf. Allen voran trägt Basserman» das
„alte, sturmerprobte Schlachtpanier," — die
Wetterfahne!
 
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