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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0042
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7370

H. G.Jentzsch

2lmerikanischer Kugeltabak.

Johann, Jochen und Tetje waren Freunde von
Jugend an. Selbst blaue Augen und blutige
Nasen, die sie sich als Gassenjungen zufügten,
konnten ihrer Freundschaft keinen Eintrag tun.
Später waren alle drei zur See gegangen, und
nachdem sie einige Dutzend Male die Sonnen-
linie passiert hatten und auf dem Stillen Ozean
so genau Bescheid wußten, wie in ihren heimat-
lichen Gassen, sind sie, Johann und Jochen als
Steuerleute, Tetje als Kochsmaat, von ihren
Reedereien pensioniert worden.

Der Ruhestand ist den drei Seebären denn
auch gut bekommen. Ihr Hauptvergnügen be-
stand in den nachmittäglichen Spaziergängen,
die mit einem heimatlichen steifen Grog im
„Störtebecker" beschlossen wurden. Unterwegs
spannen sie ihr „Garn" nach guter Seemanns-
art bald fein, bald grob, aber immer glaub-
würdig, denn Zweifel an den wunderlichen
Begebenheiten, die dem einen oder dem anderen
passiert waren, wurden nie geäußert.

Eines schönen Tages schien aber das freund-'
schaftliche Verhältnis der drei Unzertrennlichen
einen heftigen Stoß erleiden zu sollen, und das
kam so. Wenn Johann und Jochen ihr Garn
hatten ablaufen lassen, kam Tetje mit einer so
seinen Nummer hintendrein, daß beide zugeben
mußten, Tetjes Begebenheit sei — wenn auch
ganz gewiß wahr — jedennoch fast unglaublich.

Nachdem dies sich zu wiederholten Malen
ereignet hatte, beschloß Tetje, die beiden alten
Freunde einmal gründlich hineinzulegen. Er
»ahm eine alte abgelegte Primdose, füllte sie
mit kleinen schwarzen Kügelchen, die er sich in
geheimnisvoller Weise beschafft hatte, und trat
so ausgerüstet den gewohnten Spaziergang mit
Johann und Jochen an.

In schönen Wechselreden trotteten sie am
Hafen entlang, bewunderten hier eine dicke
Brigg, dort eine schlanke Bark und schimpften
weidlich auf die großen Dampfer, die — wie
sie einstimmig meinten — dem wahren See-
mannsleben das Grab bereitet hätten.

Ab und zu hatte nun Tetje seine Primdose
hervorgeholt und von den schwarzen Kügelchen
anscheinend eins in den Mund geschoben. Neu-
gierig, wie Johann und Jochen waren, fragten
sie endlich: „Na, wat hest du denn da?"

„Wat ick hew?" sagte Tetje ganz trocken; „ick
hew hier vun den niegen amerikanschen Kugel-
toback."

„Amerikanschen Kugeltobak? Da hew ick inin-
dags noch nix vun hört," sagte Jochen.

„Djä," meinte Tetje, „dat glöw ick woll, he
is in Europa ok noch nich inföhrt."

Johann, der einen guten Kautabak zu schätzen
wußte, trat nunmehr an Tetje heran und ver-
langte eine Probe, und Jochen schloß sich dem
Begehren an.

Nach einigem Zögern holte Tetje seine Dose
aus der Tasche und verabreichte jedem eine
Probe mit dem Bemerken, daß sie sich vor dem
wirklich starken Tobak in acht nehmen sollten.

Der Spaziergang wurde jetzt fortgesetzt, aber
nach einigen Minuten auf das unliebsamste
unterbrochen, Johann und Jochen blieben stehen
und begannen — kreideweiß im Gesicht — zu
speien.

„Wat is denn dat vör'n Düvelstüg, wat du
uns da geben hest?" schrie Jochen — nach der
ersten Entladung — dem grinsenden Tetje an.

„Djä, wat dat is?" meinte dieser endlich
so harmlos, als es ihm möglich war, „dat is
Schaapschie t."

Staatsbürgers Erdenwallen.

Der Teich, aus dem dich der Klapperstorch fisch:,
»in dich irgendwo hinzubringen, ist die erste groß,
Klassenlottcrie, bei der du milspielcn darfst.

Als proletarischer kleiner Junge merkst du sehr bald,
daß du kein in Watte gewickelter Diamant bist, sondern
vielmehr ein nützliches Stück Kohle mit einer „strah-
lenden" Zukunft im Dauerbrandofen des Lebens.

Dann kommst du aus die Schule und, in di>
Hände eines Gärtners der herrschenden Klaffe, de:
deine natürliche Dummheit kunstvoll als Treib-
hauspflanze behandelt und gleichzeitig deine natür
liche Klugheit in ein kunstvoll beschnittener Taxus-
gewächs zu verwandeln sucht.

* 4#

Mit diesem Ziergarten ist aber im Leben nicht!
anzufangcn. Er wandert sehr bald auf den Kehricht
hausen; und dort findet ihn der bekümmerte Staat
der dich nunmehr als das Gegenteil von einer Muster-
pflanze in seinen Büchern zu notieren beginnt.

Deine Dienstzeit beim Militär ist der letzte Bcc-
such, erzieherisch auf dich einzuwirken. Aber da!
Rätsel, wie es in deinem Kopf nun eigentlich aus-
sehen mag, wird selbst durch Backpfeifen nicht mehr
gelöst. Und weil du zu klug bist, um dir hinein-
gucken zu lassen, erklärt man dich schließlich mi
Nachdruck für ein „hundsdummes Rindvieh".

Der Bummelzug, mit dem du jetzt wieder heim-
kehrst, führt dich herrlichen Zeiten entgegen. Denn
von jetzt ab wirst du vom heiligen Kapitalismus
mit allem versorgt, was zu des Leibes Nahrung unt
Notdurft gehört; dir selber aber liegt es ob, mit deinei
Hände Arbeit die sittliche Schuld der Dankbarkeit ab-
zulragen und das patriarchalische Verhältnis nicht
etwa dadurch zu stören, daß du zu rechnen ansängst
und eine Differenz entdeckst zwischen den Werten, du
du schaffst, und den Werten, die du kriegst.

Und wenn du dies dennoch tust, wirst du bald
eiusehen lernen, daß der heilige Kapitalismus einen
ganz dicken Freund hat, der „Staat" heißt und stei-
gern bereit ist, mit aller Macht für ihn einzutreten
und dir die Pflicht der Dankbarkeit wieder cinzu-
bläuen. Über die Mittel, die hierbei zur Anwendung
kommen, brauchst du dich nicht zu wundern: es ist
ja derselbe Staat, der dich schon von früher her kennt
und dich in seinen Büchern längst, vorgemerkt hat.

Nun verschlechtert sich das gegenseitige Verhältni-
immcr mehr. Rachsüchtig, wie du bist, nimmst du
deine politischen Rechte wahr und forderst vielleicht
gar noch, neue. Als Antwort läßt der Staat seinen
Kettenhund auf dich los, der den Namen „grüner
Tisch" führt und ein ganz niederträchtiger Vier-
füßler ist. Bisher hat er dich bloß angebellt; jetzt
fängt er auch an, dich zu beißen.

Der einzige Lichtblick ist das Verhalten der heiliger
Kirche. Hier findest du keineSpur von kapitalistischcw
Übcrmut! Nie wird sie einen partiellen Streik mi:
einer Generalaussperrung ihrer Leute beantworten

Als Familienvater mußt du stets bedenken, das
nicht bloß der Kaiser, sondern auch die Sozialdemokratie
Soldaten braucht. Wenn du die Nutzanwendungen
hieraus gezogen hast, kannst du beruhigt sterben.

Nur eins!

Ivenn auch nur eins von meinen Liedern.
UUch überdauernd, weiterlebt,

So Hab' ich nicht umsonst gesungen,

So Hab' ich nicht umsonst gestrebt.

Und gerne will ich mich bescheiden,
lvenn alles and're auch zerstiebt,

Wird auch nur eins von meinen Liedern
vom Volk gesungen und geliebt,

Dann hat es Früchte doch getragen,

IVas ich geträumet und gedacht,

lvenn auch nur eins von meinen Liedern

Ein Menschenherz hat froh gemacht. k>, u
 
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