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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0054
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7382

®SllO LT

Einhundertzehn! (D Volk, sei stolz!
von allen Türmen kling' es,
von allen Bergen sing' es,

Zum Freudenfeuer türm' das Holz,
Stimm' deine hellsten Saiten!
hei, Schlag um Schlag!

Und jeder Tag ein Siegestag!

Wir reiten, wir reiten.

Der Hunger war der Weggesell,

Der Hunger war Empörer,

Belehrer und Bekehrer -
Nun aber lache glockenhell
Und kühn durch Deutschlands Weiten:
vorbei die Not!

Unser die Saat! Unser das Brot!

Wir reiten, wir reiten.

Wir bahnten eine Gasse dir,
Freiheit, der benedeiten,

Der wir die Fahnen weihten!

Schon übersonnt der Frühling schier
Die Lande, die verschneiten -
Ein frei Geschlecht,

Wo keine Fron, wo keiner Unecht!
Wir reiten, wir reiten.

Des Volkes rote Fahne weht!

Was freche Hand gezimmert,
Zwing-Uri liegt zertrümmert,

Und über Schutt und Moder geht
Der Weg in Helle Zeiten -
Und wir, und wir
Tragen voran das Siegspanier!
Wir reiten, wir reiten.

Faschings-Telefunken.

— Das vielumstrittene Bismarckdenkmal am Rhein wird
nun' endgültig in rotem Sandstein aufgeführt.

— 3ur Zweihundertjahrfeier des Geburtsjahres Fried-
rich II. wird der Hofphilosoph Bethmann zum zweiten Vol-
taire ernannt.

— Den Preis für die beste Büttenrede erhält in Uöln ein
Uomiker, der die Lntrüstungsartikel der „Norddeutschen Nll-
gemeinen Zeitung" verliest.

— Die Montenegriner verlangen die Einführung der Ber-
liner Polizei, da sie endlich bei ihren Räubereien und Mori-
taten unentdeckt bleiben wollen.

— Einige Landräte begehen Harakiri. Ihre Nsche wird
in Ladiner Vasen bestattet.

— Uls moralisches Gegenstück gegen die überhandnehmen-
den Schönheitsabende veranstaltet der Sittlichkeitsverein deut-
scher Fürstinnen Häßlichkeitsabende.

— In einem Motuproprio verbietet Pius das Rufsteigen
von Rroplanen, da sie andauernd über seinen Horizont fliegen.

— Der Uronprinz erscheint wieder in der Hofloge des
Reichstags, bringt diesmal aber ein hoch auf das parla-
mentarische Regiment aus.

Kurzer Fasching.

Ist ein seltsames Getümmel
Anterm blassen Winterhimmel.

Lört ihr's in den Lüften gellen?

Lört ihr der geputzten Schlingel
Wortgeklappcr und Geklingel?
Narrenschellen! Narrenschellen!

Larlekine, Kolombinen
Ziehn bedeutungsvolle Mienen.
Tageshelden! And es schnarren
Dicke aufgeblasne Phrasen
In erkünstelten Extasen
Ansre patentierten Narren.

Doch die Spreu verweht geschwinde
In dem scharfen Winterwinde.

Lustig flattern bunte Lappen
Aufgeputzter Lerrlichkeiten;

And von hohlen Köpfen gleiten
Narrenkappen! Narrenkappen!

Bänder gleiten, Schleifen, Orden.
Denn die Zeit ist ernst geworden.
Nicht gemacht für Flitterglanz.

Früher weh» die Frühlingsstürme

Lener um die Kirchentürme!

täusch! Vorbei der Mummenschanz!' P. E,

v. Arnim-l^chnodderheiin

an v. Below-Pleitenburg.

Mein Allerwertester! War sehr weise, daß
dies Jahr zu Ordensfest nicht nach Berlin
gekommen sind. Ist wirklich nichts für Unser-
einen, an selbem Tisch mit dekoriertem Koof-
mich zu sitzen, der Rettungsmedaille bekommen.
Kerls stinken immer und sollen meistens Un-
geziefer habe». Freisinnige Staatsmänner, die
hier zu Zeiten des glorreichen Bülow-Blocks
mit Subalternschnalle vierter Güte an schmie-
rigem Bratenrock rumlungerte», jetzt ja gott-
lob ausgemerzt. Aber trotzdem noch immer
recht gemischte Gesellschaft. Bin jedenfalls zum
letztenmal dagewesen und werde in Zukunft
meine Sterne und Vögel am 19. Januar zn
Hause füttern und tränken. Auch sonst in Berlin
diesmal nicht viel los. Bessere Gesellschaft noch
immer in gedrückter Stimmung wegen skanda-
lösen Ausfall von Wahlen. Rote Schufte stärkste
Partei in Reichstag! Niedergerittenes Gesindel
einfach aus Dreck aufgerappelt und Edelste
und Beste hinterlistig überfallen und jämmer-
lich zerprügelt! Erster Berliner Kreis ja aller-
dings diesmal noch gerettet. Aber wie! Wenn
nicht Bethmann mit Ministern vollzählig an-
getanzt wäre und neun Stimmen Majorität
in Wagschale geschleudert hätte, dürfte sich
Berlin heute nicht mehr kaiserliche Residenz
nennen! Denn glaube unmöglich, daß Hof auf
seinen Reisen verfluchtes Schweinenest noch
jemals berührt hätte, wenn erster vornehmster
Wahlkreis von roter Flut weggeschwemmt
wäre. Bin sonst wahrhaftig nicht sentimental,
muß aber doch gestehen, daß unwillkürlich
Träne in Auge tritt, wenn mir Szene vor-
stelle, wo neun Exzellenzen an Urne erscheinen,
um Berlin vor Untergang und ewiger Schande
zu bewahren. Muß entschieden geinalt und
in Ruhmeshalle aufgehängt werde»! Daneben
einziger erfreulicher Lichtblick stramm diszipli-
nierte Haltung der Liberalen in den Stich-
wahlen. Muß unbedingt anerkennen, daß Kerls
brillanten Appell zeigten und selbst in schwie-
rigen Fällen auf Wink zuverlässig apportierten.

Verdanken ihnen mindestens zwei Dutzend
Mandate. Können hier mal wieder sehen, mein
Allerwertester, daß strengste Zucht noch immer
beste Resultate liefert. Jagdhiebe und Fuß
tritte wirksamstes Erziehungsmittel, selbst in
unseren - Pfui Deubel - aufgeklärten Zeiten.
Geprügelter Hund leckt seinem Herrn die Hand,
und geprügelter Liberaler leckt Unsereinem —
was anderes und holt mit Hurra für uns
Kastanien aus Feuer! Mit Zentrum ist gewiß
auch gut Waffenbrüderschaft halten, machen
aber prinzipiell nichts umsonst, sondern er-
warten strikte Gegenleistung. Mit Liberalen
das viel bequemer: dienen egal gratis, ver
langen nicht das Geringste und fühlen sich
kolossal geschmeichelt und geehrt, wenn uns
gefällig sei» dürfen. Darum werfe, so nieder-
trächtig Wahlen diesmal auch ausgefallen,
Flinte noch lange nicht ins Korn. Denn so
lange deutsches Vaterland seine preußische»
Landräte, seine Gendarmen und sein liberales
Bürgertum hat, dürfen wir Junker ruhig und
voll freudiger Hoffnung in Zukunft blicken!

Also Kopf hoch, mein Allerwerlester, und
Gott befohlen! Ihr Arnim.

Neues vom Tage.

Eine Stimme vom Himmel hat einen Fluch um die Welt
herumgeschickt, der so ellenlang gewesen sein soll wie das
Wort „viermillionenzweimalhundertachtunddreitzigtausend-
neunhundertundneunzehn!" in hebräischer Übersetzung.

Heydebrand brütet krampfhaft auf einem Ei des Kolumbus
herum, das er mit „Meine Rache!" bepinselt hat, weil er
den Staatsstreichadler darin vermutet.

Matthias Erzberger wurde vom Prinzen Karneval zum
Mittelpunkt der Reichspolitik ernannt und gleichzeitig mit
der Wahrnehmung der Geschäfte des europäischen Gleich-
gewichts bis zum Uschermittwoch betraut.

Jordan v. Kröcher verzichtete empört auf sein Hausrecht
in der weltberühmten „guten Stube" Preußens, weil die dort
einquartierten Sozialdemokraten trotz seines strengen Ver-
bots die Möbel zu praktischer Arbeit benutzt haben.

Die große nationale Sammel- und Werbetrommel befindet
sich zur Reparatur im preußischen Kriegsministerium und soll
mit dem Fell jenes Mondkalbes frisch überzogen werden, das
der heilige Militarismus nächstens zu werfen gedenkt.

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UeUlemmuugcn.

Emil Erk

„110 Abgeordnete und 4238919 Stimmen!! Paßt auf, die Bande lehrt
uns noch das Arbeiten!"

^ vobelspSne. LT

Scheltet nicht Herrn Bethmann-Hollweg!
Denn als guter Wahlstralege
Wies er unfern braven Truppen
Stets zum Sieg die rechten Wege.

Seine „Norddeutsch Allgemeine",
Fruchtbar ivie ein Prachtkarnickel,
Brachte uns an jedem Tage
Wirkungsvolle Wahlartikel.

Prächtig hat er's eingefädelt —

Drum ist's wirklich recht und billig,

Daß ihr ihm die Kränze flechtet —

Tat er's auch nur unfreiwillig!

Die überaus gelungene Verteidigung von Berlin I dürfte das letzte
Ruhmesblatt am sterbenden Baum des Berliner Freisinns gewesen sein

Die russischen Reformen in Persien iverden sich zunächst aus die
Berwaltungsorganisation erstrecken. An die Spitze wird statt des orien-
talischen Großwesiers ein echtrnssischer „Großganeff" gestellt.

Die Faschingsdienstaglustigkeit wird sich Heuer ivie ein Streichholz
am Aschermittwochgesicht des Schnapsblocks entzünden können.

Daß die stärkste Partei jetzt endlich die meisten Mandate hat, zeigt,
daß sogar die geduldigen und gehorsamen Zahlen gegen ihren Miß-
brauch zu reaktionärer Lüge zu rebellieren beginnen.

Hoffentlich ivird man am Bundesratstisch dein, Anblick des „roten
Meeres" im Reichstag nicht etwa seekrank; eine mit zusammengebissenen
Zähnen sich „unter Deck" flüchtende Reichsregierung sähe doch sehr
schlecht aus! .

Als der Sozialismus heuer zum erstenmal den hundert Mandate
Gipfel erstieg, glaubte er dort oben das heilige Zentrum begrüßen zu
könne». Dieses aber saß in Neunzigerhöhe rettungslos festgekraxelt und
mußte daher mit dem Zuruf „Gute Nacht!" vorlieb nehmen.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Vorbereitungen
zur nächsten Neichstagswahl.

Im Berliner Schloß hat die Entdeckung, daß die
„vatcrlandsloscn Gesellen" sich abermals uni eine
Million vermehrt haben, Entrüstung erregt. Jedoch
ivurdc davon abgesehen, die Rotte durch eine Rede
zu zerschmettern. Vielmehr beschloß man, Taten zu
tun. Für die nächste Wahl sollen Zufriedene gemacht
iverden, möglichst in gleicher Progression, wie die
Politik Unzufriedene macht. Deswegen wurden beim
Ordensfest 4514 Orden und Ehrenzeichen verliehen,
gegen 4085 im Jahre 1911. Geplant war, min-
dcsteus tausettd Dekorationen mehr als im Vorjahr
auszutcilen, aber die Fabriken konnten die Dinger
nicht so schnell beschafsctt. Jedoch ist Vorsorge ge-
troffen, innerhalb weniger Monate einen bedeuten-
den Vorrat des beliebten Schcllengeschirrs Herstellen
zu lassen. Dann wird ein Extra-Ordensfest eingelegt
werden behuss Steigerung der Zufriedenheit Aller-
dings befürchtet man Lohnforderungen und einen
Streik der Goldarbeiter, da diese die Konjunktur
ausnützen iverden. Ptc.

Wahlmarterln.

Der Man», der hier verlassen stand.

Ging immer hinter Hehdcbrand.

Ein Sozi warf ihn an« der Bah»

Rnn hat er „versnngcn und vertan".

Die Hüte herunter i» stiller freier t
Hier kam'S zur ErfiiNung des Paktes von Spcher.
Hier griff nach dem Zentrum der rote Teufel.
Bezeugt wird der Fall durch dies UngliickShäufel.

Hier rutschte am 12. müde und schlapp
Ein Rationallibcralcr ab.

Hörst du sein lautes Hilfegebrüll?
s, Wandrer, bete für ihn still!

Zagow zur Fastnacht.

„Es wird das Recht auf den Berliner Karneval
verkündet.

Den Berliner Karneval besorgt ganz allein die
Polizei.

Bei Widerstand gegen die Späße der Staats-
gewalt erfolgt Wafscngebrauch.

Ich warne Neugierige! v. Jagow."

Pech.

Während des Wahlkampfes waren dem bekannten
Mugdan seine Prinzipien abhanden gekominen. Aber
ans der Suche danach verlor er seinen Wahlkreis.

Der Äöfling.

„Finde sehr richlig. daß Volk jetzt inehr von See-
fischen lebt. Unsereins lebt ja auch von —Bücklinge»!"

Lieber Jacob!

Et is doch 'n wahrer Sejen, bet et in diese
uffjeregten Zeiten noch immer 'n paar Männer
jibt, die dem Kopp oben behalten, sich durch
nischt verbliffen lassen un immer janz jenau
wissen, wat det Vaterland jrade neetig hat. Zu
diese wenijen Auserwählten jeheert vor allem
der Jeneral Keim. In jene jesejenten Zeiten,
wo unsere Zukunft noch »ich in't rote Meer-
versoffen ivar, sondern hoffnungsvoll uff't blau-
schwarze Wasser lag, ivo in'n heechst impulsivet
Tempo beinahe jede Woche 'n neies Kriegs-
schiff von Stapel jelassen ivurde un sojar unsere
von friedliche Äppelkähne bevelkerle Spree vor
den Besuch von Torpedos nich sicher war, da
entfaltete dieser jeistreiche Patriot in den so-
jenannten Flottenverein '»e heechst zeitjemäße
Tätigkeit, indem det er de leitenden Männer
von de Rejierung täglich mit warnende Pro-
phetenstimme in de Horchlappen drillten, se
mechten man ja nich verjessen, Panzer un
Kreizer z>l bauen! Aber et is ja leider 'ne bc-

kannle Schose: Der Prophet jilt nu mal nischt
in't Vaterland! Un so kam et, det Keim'» seine
Mitkämpfer, die sich nich jänzlichst marinieren
lassen wollten, dem schenialenFiehrerunHaupl-
hahn schließlich klanglos an de frische Lust
beferderten. Da hat er nn ’n paar Jahre in
stille Zurickjezogenheitzujebracht un durch tiefes
un aujestrengtes Nachdenken enthillte sich ihm
uff eenmal der fressende Krebsschaden, an den
unser deitsches Volk un Vaterland krankt un
unrettbar zujrunde jehen ivirde, ivenn et eben!
keenen Keim nich jede. Wat nieenste nu woll,
ivat det mag sind? Rauskriejcn wirste det Dein
Lebtag nich, wenn ick et Dir nich sage. Unser
uazjonalesUnjlick is, det mir nich jenug Sol-
daten haben! Nu setze Dir uff Deine vier
Buchstaben un wundere Dir! Unser Kriegsheer
is ville zu poplig, wir brauchen mehr Kasernen
un mehr Leiknants un mehr Kaiserparaden un
ieberhaupt! Uin dieses Elend abzuhelfe», is
Keim mit 'n neien Verein zu Stuhl jekommen:
den deitschen „Wehrverein", der die janze Je-
schichte befummeln un det Volk vor den drohen-
den Unterjang retten wird. Det janze uneijen-
nitzliche Patriotentum steht nff seine Seite:
alle abjesügten preißesche» Jeneräle un sämt-
liche Aktionäre von Krupp sin bereits als Mit-
jlieder for dem Verein jewonnen. Un wenn
nischt zwischen kommt, werden wir in de jejen-
ivärtije Faschingszeit ville Verjniegen davon
haben. Aber 'ne biestere Ahnung sagt mir, ei
kommt Ivat dazwischen. Wie der Flottenverein
Keim'n dunnemals ausjeschifft hat, so wird
ihm, firchte ick, der Wehrverein binnen kurzem
uff't Trockene setzen. Denn de janz jroßen
Männer finden leider jar keen Verständnis »ich
bei ihre Zeitjenossen un missen sich schon da-
mit bejniegen, det de dankbare Nachwelt sich
ieber ihnen 'neu Ast lacht!

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Nankc,

au'n Jörlitzer Bahnhof, jleich links.
 
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