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Das Sündenbabel an der Knatter.
Faschingsgeschichke von P. E.
1.
„Schrumm l All wedder een Fleeg kapott!
Schrunun! All ivedder een Lot-"
Im Honoratiorenzimmer des „Goldenen Ele-
fanten", wo heute alles saß, was das liebliche
Städtchen Myritz an der Knatter an ivichtigen
Bürgern barg, ging es hoch her.
Anfangs hatte man sich noch mit Tages-
ordnung „Die Hebung des Myritzer Fremden-
verkehrs" beschäftigt und über Mittel und Wege
nachgesonnen, den Fremdenstrom, der um My-
ritz in großem Bogen herumfloß, hierher zu
leiten.
Dann aber hatte der Apotheker — ein hart-
gesottener Junggeselle — vom Kölner Karne-
val gesprochen und sie einige der neuesten
Karnevalslieder gelehrt. Bei diesem Thema
spielte er sich stets als Fachmann auf, obwohl
er nie zur Faschingszeit am Rhein gewesen
war. Dies überging er immer geschickt, ließ
aber durchblicken, daß er damals ein arger
Schwerenöter gewesen sei.
Und sie kamen sich alle als gar „verfluchte
Kerle" vor, von rheinischer Faschingsluft um-
iveht, als sie mit ihren stark angefeuchteteu
Kehlen das Kölner Lied brüllten:
„Schrumm! All Ivedder een Fleeg kapott!
Schrumm! All wedder een dot!
Tun auch vom Schlagen die Arme Ivieh —
Heut zeit es besser als gestern. Malte-"
„Wie wäre es," donnerte nun der Bürger-
ineister durch den allgemeinen Gesang, „wenn
wir den Fasching bei uns in Myritz einführten?
Einen Zug mit Prinz Karneval und seiner
Gemahlin und Maskenbälle — von denen der
Apotheker so viel erzählt — können ivir Myritzer
uns gerade so gut leisten, he?"
Einen Augenblick stutzten sie. Dann stimm-
ten sie jubelnd zu.
„Und damit ziehen wir auch die Fremden
und ihre Börse zu uns. Und wir schlagen
zivei Fliegen mit einer Klappe."
Der Lehrer, der etwas von Fliegen gehört
hatte, stimmte wieder das „Schrumm"lied an.
Der Apotheker aber wandte sich grinsend an
den Bürgermeister: „Wird es Ihre Frau auch
erlauben?"
Der Bürgermeister lachte ihn aus: „Das
überlassen Sie mir!"
2.
Aber er lachte nicht mehr, als er am anderen
Tage beim Morgenkaffee seine Pläne entwickelte.
Seine Ehehälfte, die eigentlich ein Ehc-
dreiviertel war, legte die Hände in den Schoß
und sagte: „Ich bin sprachlos."
Er wußte ans Erfahrung, daß er eine Stunde
lang nicht zu Worte kam, wenn seine gute
Eulalia „sprachlos" ivar.
Sie schloß: „Ich habe genug von den saube-
ren Dingen gehört, die dabei passieren. Du
alter Sünder solltest Dich schämen, sowas bei
uns einzuführen und unser gutes Myritz zu
einem Sündenbabel zu mache». Kannst Du
das als Vater der Stadt verantworten?"
Seufzend hörte er zu und sagte, in der Mei-
nung, sie bei ihrer Eitelkeit zu fassen, daß ihre
Tochter Georgine selber hoch zu Wage» als
Königin fahren ivürde.
Georgine schrie auf: „Papa! Ich — de»
Blicken aller Herren ausgesetzt? Was denkst
Du von mir?"
Der Papa gab zur Antivort, daß er sie für
eine dumme Gans hielte.
Aber Frau Eulalia gab ihr recht und br
willigte — als eigentliches Stadtoberhaupt
nur einen Maskenball. Und dabei blieb es.
Als Georgine draußen ivar, zog die Mutter
besorgte Mienen: „Der neue Pastor Kuntze
China und Preußen.
M. Engert
Nucnischikai: Na, wie gefalle ich dir in meiner neuen Verfassung?
B e t h m a n n H o l l w e g: Geradezu scheußlich! lind früher waren unsere beiderseitigen Weltanschauungen
doch ganz übereinstimmend!
Biirgerlicher Faschingszng.
Prinz Karneval läßt wiederum
Sein lustig Zepter walten.
Jedoch kein rechter Frohsinn will
Sich dieses Jahr entfalten.
Es fühlen Bildung und Besitz
Bedrückt sich und beklommen.
Und Geistlichkeit wie Iunkerschast
Kann nicht in Stimmung kommen.
Von manchem Mißgeschick geplagt
And manchem Übelstande,
Erscheine» durchaus schlecht gelaunt
Die Lerrn vom Reichsverbande;
Vergeblich läd't die Biederleut'
Zur lust'gen Faschingsfeier
Mit seiner flotten Edith ein
Der kreuzfidele Geyer.
Im düster» Winkel hockt und klagt \
Das Korps der Diplomaten:
Was man auch immer unternimmt.
Es will nichts mehr geraten!
Man haut uns lachend über's Ohr
And tritt uns auf die Zehen!
Es kann in dieser bösen Welt
Die Einfalt nicht bestehen.
Was naht dort für ein Krüppeltroß
In schwarzweißroten Roben?
Es weht das Mäntlein nach dem Wind,
Das Auge blinzt nach oben;
Ein Stückchen links, ein Stückchen rechts.
Ölglatt, gleich schleim'gen Aalen,
So schlängeln sich und gleiten die
Gemäßigt Liberalen.
Auch unser Kanzler Theobald
!öat keine Lust zu scherzen.
Er naht mit knickebein'gem Schritt
And trägt nur Gott im Äerzen;
Voll Demut blickt sein müdes Aug',
Von Salbung traust die Lippe —
Der Junker und der Pfaffe hält
Ihn feste an der Strippe.
Es zeigt ein blauschwarz Brüderpaar
Zum Schluß sich unferm Blicke,
Sie tanzen nicht, sie springen nicht,
Sie humpeln a» der Krücke;
Kein lustig Lied wird angestimmt.
Kein frohes Wort gesprochen:
Es liegt der zwölfte Januar
Den beiden in den Knochen.
Kurzum, so sehr man sich auch müht.
Man wird und lvird nicht heiter.
Die ganze Faschingsluft erscheint
Als eine Lühnerleiker;
Der'rote Aschermittwoch pocht
Schon drohend an die Mauern
And dieses triste Rarrenspiel,
Wie lange kann's noch dauern? Tvbwr.
Das Sündenbabel an der Knatter.
Faschingsgeschichke von P. E.
1.
„Schrumm l All wedder een Fleeg kapott!
Schrunun! All ivedder een Lot-"
Im Honoratiorenzimmer des „Goldenen Ele-
fanten", wo heute alles saß, was das liebliche
Städtchen Myritz an der Knatter an ivichtigen
Bürgern barg, ging es hoch her.
Anfangs hatte man sich noch mit Tages-
ordnung „Die Hebung des Myritzer Fremden-
verkehrs" beschäftigt und über Mittel und Wege
nachgesonnen, den Fremdenstrom, der um My-
ritz in großem Bogen herumfloß, hierher zu
leiten.
Dann aber hatte der Apotheker — ein hart-
gesottener Junggeselle — vom Kölner Karne-
val gesprochen und sie einige der neuesten
Karnevalslieder gelehrt. Bei diesem Thema
spielte er sich stets als Fachmann auf, obwohl
er nie zur Faschingszeit am Rhein gewesen
war. Dies überging er immer geschickt, ließ
aber durchblicken, daß er damals ein arger
Schwerenöter gewesen sei.
Und sie kamen sich alle als gar „verfluchte
Kerle" vor, von rheinischer Faschingsluft um-
iveht, als sie mit ihren stark angefeuchteteu
Kehlen das Kölner Lied brüllten:
„Schrumm! All Ivedder een Fleeg kapott!
Schrumm! All wedder een dot!
Tun auch vom Schlagen die Arme Ivieh —
Heut zeit es besser als gestern. Malte-"
„Wie wäre es," donnerte nun der Bürger-
ineister durch den allgemeinen Gesang, „wenn
wir den Fasching bei uns in Myritz einführten?
Einen Zug mit Prinz Karneval und seiner
Gemahlin und Maskenbälle — von denen der
Apotheker so viel erzählt — können ivir Myritzer
uns gerade so gut leisten, he?"
Einen Augenblick stutzten sie. Dann stimm-
ten sie jubelnd zu.
„Und damit ziehen wir auch die Fremden
und ihre Börse zu uns. Und wir schlagen
zivei Fliegen mit einer Klappe."
Der Lehrer, der etwas von Fliegen gehört
hatte, stimmte wieder das „Schrumm"lied an.
Der Apotheker aber wandte sich grinsend an
den Bürgermeister: „Wird es Ihre Frau auch
erlauben?"
Der Bürgermeister lachte ihn aus: „Das
überlassen Sie mir!"
2.
Aber er lachte nicht mehr, als er am anderen
Tage beim Morgenkaffee seine Pläne entwickelte.
Seine Ehehälfte, die eigentlich ein Ehc-
dreiviertel war, legte die Hände in den Schoß
und sagte: „Ich bin sprachlos."
Er wußte ans Erfahrung, daß er eine Stunde
lang nicht zu Worte kam, wenn seine gute
Eulalia „sprachlos" ivar.
Sie schloß: „Ich habe genug von den saube-
ren Dingen gehört, die dabei passieren. Du
alter Sünder solltest Dich schämen, sowas bei
uns einzuführen und unser gutes Myritz zu
einem Sündenbabel zu mache». Kannst Du
das als Vater der Stadt verantworten?"
Seufzend hörte er zu und sagte, in der Mei-
nung, sie bei ihrer Eitelkeit zu fassen, daß ihre
Tochter Georgine selber hoch zu Wage» als
Königin fahren ivürde.
Georgine schrie auf: „Papa! Ich — de»
Blicken aller Herren ausgesetzt? Was denkst
Du von mir?"
Der Papa gab zur Antivort, daß er sie für
eine dumme Gans hielte.
Aber Frau Eulalia gab ihr recht und br
willigte — als eigentliches Stadtoberhaupt
nur einen Maskenball. Und dabei blieb es.
Als Georgine draußen ivar, zog die Mutter
besorgte Mienen: „Der neue Pastor Kuntze
China und Preußen.
M. Engert
Nucnischikai: Na, wie gefalle ich dir in meiner neuen Verfassung?
B e t h m a n n H o l l w e g: Geradezu scheußlich! lind früher waren unsere beiderseitigen Weltanschauungen
doch ganz übereinstimmend!
Biirgerlicher Faschingszng.
Prinz Karneval läßt wiederum
Sein lustig Zepter walten.
Jedoch kein rechter Frohsinn will
Sich dieses Jahr entfalten.
Es fühlen Bildung und Besitz
Bedrückt sich und beklommen.
Und Geistlichkeit wie Iunkerschast
Kann nicht in Stimmung kommen.
Von manchem Mißgeschick geplagt
And manchem Übelstande,
Erscheine» durchaus schlecht gelaunt
Die Lerrn vom Reichsverbande;
Vergeblich läd't die Biederleut'
Zur lust'gen Faschingsfeier
Mit seiner flotten Edith ein
Der kreuzfidele Geyer.
Im düster» Winkel hockt und klagt \
Das Korps der Diplomaten:
Was man auch immer unternimmt.
Es will nichts mehr geraten!
Man haut uns lachend über's Ohr
And tritt uns auf die Zehen!
Es kann in dieser bösen Welt
Die Einfalt nicht bestehen.
Was naht dort für ein Krüppeltroß
In schwarzweißroten Roben?
Es weht das Mäntlein nach dem Wind,
Das Auge blinzt nach oben;
Ein Stückchen links, ein Stückchen rechts.
Ölglatt, gleich schleim'gen Aalen,
So schlängeln sich und gleiten die
Gemäßigt Liberalen.
Auch unser Kanzler Theobald
!öat keine Lust zu scherzen.
Er naht mit knickebein'gem Schritt
And trägt nur Gott im Äerzen;
Voll Demut blickt sein müdes Aug',
Von Salbung traust die Lippe —
Der Junker und der Pfaffe hält
Ihn feste an der Strippe.
Es zeigt ein blauschwarz Brüderpaar
Zum Schluß sich unferm Blicke,
Sie tanzen nicht, sie springen nicht,
Sie humpeln a» der Krücke;
Kein lustig Lied wird angestimmt.
Kein frohes Wort gesprochen:
Es liegt der zwölfte Januar
Den beiden in den Knochen.
Kurzum, so sehr man sich auch müht.
Man wird und lvird nicht heiter.
Die ganze Faschingsluft erscheint
Als eine Lühnerleiker;
Der'rote Aschermittwoch pocht
Schon drohend an die Mauern
And dieses triste Rarrenspiel,
Wie lange kann's noch dauern? Tvbwr.