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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0213
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Oie christlichen 6ewerklchasten.

Ich kann den Blich nicht von euch wenden,
Ich mutz euch anlchaun immerdar,

Oie ihr mit gottgeweihten Händen
Oelchattt für Oeldlack und flltar,

Oie ihr der roten Mordgeseilen
6emeinsd)att wie den Teufel floht,
flusharrend in der Kirche Ställen,

Ivo man euch Weihrauch gab statt Brot.

Im Kampfe kreuzte feine Watten
Der Bergwerksiklav' mit feinem Herrn -
Ihr aber folgtet eurem pfatten
Und hieltet euch vom Kampfe fern;
Geduldig bei der magern Krippe
verharrtet ihr, fchaksdumm und brav,
Und lalltet Dank mit frommer Lippe
fürjedeii jagdhieb, der euch traf.

Und jetzt? wie lohnt man eure Demut,
Oie ihr bewieten jahre lang?

Und was-ich frag's mit stiller wehmut-
Und was ist jetzo euer Dank?
was half es, dah ihr unverdrotten
Oer Kirche treuen Knecht getpielt?
was half es, dah ihr den Oenotten
Beim Kampfe in den Kücken fielt?

vergebens war's, dah ihr gekrochen
fromm und gehortam all die Zeit -
jetzt ward das Urteil euch gefprod)en
vom Throne der Unfehlbarkeit,
jäh öttnet sich der Hölle Krater
Und futsch ist euer Seelenheil:

Denn Pius gab, der heil'ge Vater,
Cuch einen Tritt aufs Hinterteil!

Ich Kann den Blick nicht von euch wenden.
Ich muh euch anfchaun immerdar,

Und Keinen Trost vermag zu spenden
Ich eurer frommen Dulderlchar;
vielmehr Kann ich nur dieses sagen:

Ihr wolltet PfattenKnechte sein -
80 steckt denn jetzt auch ohne Klagen
Des heil'gen Vaters fuhtritt ein!

Lehmann.

kreurreitungs-preuhen.

preuhen heran!

fliies ringsum beginnt zu erkranken
fln dem demokrat'tchen Oedanken;
vrum aut die Schanzen, Mann kür Mann:
preuhen heran!

preuhen herbei!

wenn nicht das Reich untre „Cigenart",
Untre rutlilch-borullilche, wahrt
8d)iagt die ganze Kitte entzwei!
preuhen herbei!

preuhen hervor!

Nur mit kräftigen Bajonetten
Latten die Privilegien fiel) retten,
horcht: Nie ZuKunkt rüttelt am vor.
preuhen hervor!

preuhen martchiert!

Cs find läufige Zeiten heute

für die wahren, echt-preuhitchen Leute.

Mit Oott für König und Rente! Martchiert
Und — abonniert!!

Das europäische Gewissen.

Seit langen Tagen schon und Nächten
Schläft auf solidem Ruhekissen
Den tiefen Schlaf des Selbstgerechten
Das europäische Gewissen.

Nur schade, daß die Finsternis
Brennende Dörfer jäh erhellen
And daß es knallt in Tripolis,

Auf Rhodos, an den Dardanellen.

Das stört den Schlaf. Man rührt sich dann.
Es murmeln unsre Offiziösen.

Vom Frieden, der bevorsteht, kann
Man dann viel dunkle Worte lese».

Dann schlafen ein die Diplomaten,

Indessen die Abruzzenhorden

Fortsetzen ihre Äeldentaten

And wie seit Monden brennen, morden.

Geschändet die Kultur? Nanu?

Was kümmern uns die fremden Gluten?

— And schnarchend sieht Europa zu.

Wie dort zwei Völker sich verblute».

„Antätige Mittäterschaft."

Das Landgericht Bochum verurteilte einen
streikenden Bergmann wegen Mißhandlung
Arbeitswilliger zu 6 Monaten Gefängnis. Der
Angeklagte war zwar, wie das Urteil. aner-
kannte, an den Mißhandlungen nicht selber
aktiv beteiligt, wohl aber ist er bei ihnen zu-
gegen gewesen, woraus das Gericht den Schluß
zog, daß er die Tat „bewußt und gewollt ge-
billigt hat." Er ist daher wegen „untätiger
Mittäterschaft" bestraft worden.

Der Begriff der „untätigen Mittäterschaft"
erscheint als eine außerordentlich fruchtbare
Bereicherung der deutschen Strafrechtspflege.
Seine, praktische Anwendung eröffnet eine
Fülle aussichtsreicher Perspektiven. Wie wir
hören, sind nach dem Bochumer Vorbilde bereits
folgende weiteren Urteile ergangen.

Das dreijährige Töchterchen des Tischler-
meisters A. wurde beim Spielen auf der Straße
von einem Automobil überfahren und getötet.
Die Insassen des Autos entkamen, dagegen
wurde die Waschfrau B., die sich zu derselben
Zeit zufällig auf der Straße befand, sofort
in Haft genommen und wegen fahrlässiger
Tötung zu zweieinhalb Jahren Gefängnis
verurteilt. Aus dem Umstande nämlich, daß
die Angeklagte bei der Tat zugegen gewesen
war, schloß das Gericht, daß sie dieselbe be-
wußt und gewollt gebilligt habe und daher
wegen untätiger Mittäterschaft zu bestrafen
sei. In Anbetracht des unverantwortlichen
Leichtsinns, mit dem der Führer des Autos
ein blühendes Menschenleben vernichtet hatte,
wurde der Waschfrau die Zubilligung mildern-
der Umstände versagt.

Der pensionierte Rechnungsrat C., der
während einer Skatpartie von dem Rentier D.
eine Ohrfeige erhielt, wurde wegen Beleidi-
gung und Körperverletzung zu 14 Tagen Ge-
fängnis verurteilt. Er hatte zwar nicht selber
gehauen, war aber zugegen gewesen, als er
die Backpfeife erhielt, woraus das Gericht den
Schluß gezogen hat, daß er die Tat bewußt
und geivollt gebilligt hat. Er mußte deshalb
wegen untätiger Mittäterschaft bestraft werden.

Dem Weinreisenden E. wurde während einer
Eisenbahnfahrt im Schlafe eine Brieftasche mit
1250 Mark Inhalt gestohlen. Da er, wie er
selber zugeben mußte, bei der Tat zugegen

gewesen war, zog das Gericht die Schluß-
folgerung, daß er den Diebstahl bewußt und
geivollt gebilligt und sich demgemäß der un-
tätigen Mitäterschaft schuldig gemacht hat.
In Anbetracht dessen, daß er bereits früher
einmal ans ähnliche Weise bestohlen worden
war, lautete das Urteil auf zwei Jahre Zucht-
haus wegen Rückfalldiebstahls.

Vor einem preußischen Landgericht leistete
der Zeuge F. einen offensichtlichen Meineid.
Er wurde auf Antrag des Staatsanwalt sofort
verhaftet, mit ihm zugleich aber auch, wegen
dringenden Verdachtes der untätigen Mit-
täterschaft, der Staatsanwalt selber und sämt-
liche Mitglieder des Gerichtshofes. Justlntan.

Schwarzrot in Belgien.

Ls war zu schwarz das Resultat
Der Wahl in Belgiens pfaffenstaat,

Drum färbte man mit Blut so rot
Und schoß die Proletarier tot.

Dies rote proletarierblut,

Ls färbt gewiß noch weiter gut,

Bis endlich stolz der Tag sich senkt,
wo Rot das Schwarz dort ganz verdrängt.

. Ul.

Zeitgemäß.

Die bayerische Regierung will ans Verlangen
des Zentrums die konfessionelle Trennung der Bahn-
höfe, Postämter und Bordelle durchführen.

Genealogisches.

Ede: Haste die Dummheit jelcsen, die neilich in
de „Jermania" stand?

Lude: Nee, Wat denn?

Ede: Det fromme Blatt hat doch von den Ab-
jeornten v.Kardorff jeschrieben: „Wir bemerken, daß
er der Sohn seines verstorbenen, als Führer der
Freikonservativen bekannten Vaters ist." Zn dämlich!

Lude: Woso denn eejentlich?

Ede: Na, jeder Mensch is doch der Sohn von
seinen Vater!

Lude: Ede, Du bist 'n Rindvieh un hast keene
blasse Ahnung nich, wie et in de Welt zujehcn tut!
Sonst wirdste wissen, det et bei de janz seinen Fa-
miljen zu de Ausnahmen jeheerl, wenn eener wirt-
lich der Sohn von seinen Vater is.

Ede: Also wollte de „Jermania" mit ihre Fest-
stellung Kardorff'n bloß 'ne Schmeichelei sagen? *

Lude: Na siehste, endlich kapierste!
 
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