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Der kranke Moppi
und die hartherzige Anna.
Die Frau Kommerzienrätin sitzt im Erker
ihres SalonS und liest die Fortsetzung des
Romans aus der Beilage ihres Leibblattes.
Von Zeit zu Zeit wirft sie einen besorgten
Blick auf ihren Liebling, eine» unförmlich fetten
Mops, der mit geschlossene» Augen auf einem
Daunenkissen zu ihren Füßen liegt-
Plötzlich mischt sich in die Atemzüge des
Hundes ein pfeifender Ton. Das Tier torkelt
auf, hustet, keucht und ringt nach Luft.
Seine Herrin hat sich neben ihm auf die
Knie niedergelassen, klopft ihn auf den Rücken
und redet ihm lieb zu: „Moppichen, mein armes
Moppichen, hast du wieder den bösen Anfall-
Wird bald vorübergehen, meingutes Hündchen.
Sieh Frauchen nicht so traurig an, sonst muß
Frauchen weinen."
Die Tränen treten ihr in die Auge». Sie
schneuzt sich in ihr Batlisttüchlein und klingelt.
Anna, das Stubenmädchen erscheint. „Gnä-
dige Frau befehlen?" —
„Anna, mit Moppi geht's wieder schlimm. '
Sehen Sie nur, wie er sich quält. Gewiß hat
er sich bei dem Ausgang mit Ihnen eine neue
Erkältung geholt, bei dem schlechte» Wetter!"
„Aber ich hatte ihm doch die gefütterte
Rückendecke umgebunden, gnädige Frau, und
bin gleich nach Hause gegangen, als die ersten
Regentropfen fielen."
Die Kommerzienrätin
sieht ihren leidenden
Liebling verzweifelt an.
„Hat erwenigstens guten
Appetit gehabt, Anna?
Er hat doch sei» Schabe-
fleisch nach dein Aus-
gang bekommen?"
„(Newiß, gnädigeFrau,
aber er hat's halb stehen
lassen."
„Aber Anna — das
sagen Sie mir jetzt erst!?
Moppi, mein armer süßer
Moppi! Er ist kränker
als ich ahnte. Nun hat
er schon keinen Appetit
mehr."
Sie hat sich wieder zu
dem schnaufenden Mops
niedergelassen und strei-
chelt ihm zärtlich das
pralle Fell.
„GnädigeFrau, wenn
ich meine Meinung sagen
darf" — hebt Anna zö-
gernd an — „ich meine,
der Hund bekommt zu
gutes Futter. Da hat er
keinen Appetit mehr und
bekommt auch keine Luft,
weil er zu fett ist."
Die Kommerzienrätin
sieht die ungebildete, vor-
witzigePersou eine Weile
sprachlos an. Dann bricht
sie los: „Aber Anna, wie
können Sie so dummes,
ungereimtes Zeug reden.
Dreimal täglich einVier-
telpfund Schabefleisch —
ist das zuviel für einen
so kräftigen Hund? Sonst
frißt er doch fast nichts.
Und wissen Sie denn
nicht, daß mageres Scha-
befleisch gar nicht fetf
macht. Die Arzte verord-
unverschämten Menschen selber die Leviten zu
lesen, kehrt aber an der Tür um. „Nein,"
seufzt sie.indigniert, „mit solchen Mensche»
darf man sich nicht gemein machen. Sagen
Sie ihm, ich gebe nur Brot."
Anna geht hinaus, nimmt aus ihrem eigenen
Geldbeutelchen ein Zehnpfennigstück, reicht cS
. schweigend dem Bettler durch den Türspalt
und kommt zurück in den Salon.
„Und das sage ich Ihnen, Anna," schließt
die wieder um ihren Moppi bemühte Haus-
herrin ihre Rede, „wenn Sie für das arme
kranke Tier kein Herz haben, dann würde ich
Sie in meinem Dienst nicht brauchen können."
„Ich gehe zum nächsten Erste», gnädige
Frau," sagte die hartherzige Anna kurz, und
verschwindet. ^
Llnser Riese!
Bethmann Hollweg saß vor kurzem mit bis-
märckischer Tatkraft am Schreibtisch, kritzelte, pruste,
nickte und gab dann das Erzeugnis seines Geistes
und seiner Feder an jenen überaus schlauen Ge-
hcimrat weiter, der, neben ihm stehend, hier gleich
sam als „Moltke" zu funktionieren verpflichtet war.
„Wir erfahren zuverlässig, daß der Herr NcichS-
kanzler seine Entschließung über die Maßnahmen
des Reichs gegen die Fleischnot vertagt hat!"
So lautete die für das Wolffsche Bureau ganz
frisch fabrizierte Notiz; dem Gehcimrat aber gefiel
sie nicht recht.
„Dieser Text ist für einen so kritischen Fall doch
wohl etwas zu langatmig, Exzellenz!" widersprach
er voll Respekt, durchwach-
scu mit Festigkeit: „Ich
meine ... die Kundgebung
wirkt in dieser Form ivedcr
beruhigend noch begeisternd!
Denn cs fehlt ihr leider
gänzlich jener „zündende
Einschlag" einer... na, ich
möchte fast sagen, einer
Einser Depesche!"
Durch Bethmann Holl-
wegs 'Schädel zuckte ein
historischer Gedankenblitz;
seine Körperhaltung straffte
sich und wurde „eisern".
„Einser Depesche? Ma-
chen wir!! Geben Sic das
Ding noch mal her!" so rief
er triumphierend, griff nach
seinem Blaustift und strich
mit bismärckischer Energie
genau acht Worte durch.
Und siehe da! Aus jener
„Chainade" war jetzt die
„Fanfare" geworden; dcnii
die offiziöse Note lautete
nunmehr: „Wir crfahrci,
zuverlässig, daß der Herr
Reichskanzler die Fleisch-
not vertagt hat!"
Gut gesagt!
„Was folgt daraus, daß
die Volksschulklassen bis zu
zweihundert Kindern beher-
bergen und die Gymnasien
zwanzig?"
„Daß in jeder Volks-
schule das Zehnfache fixe die
Bildung geschieht!"
Glosse.
Den schwarzen Ochsen,
die den Leichenwagen des
Mikado zogen, wurde nach
uralter Sitte der Hofraug
verliehen. Warum erst nach
dem Tode des Herrschers?
In einigen europäischen
Ländern verleihen die Mon-
archen zahlreichen Ochsen
schon zu ihren Lebzeiten de:,
Hofrang!
nen es sogar bei Abmagerungskuren — mageren
Schinken wenigstens, ivas doch auf dasselbe
herauskommt. Den frißt Moppi aber doch nicht
wegen des Salzes. Sie wollen wohl gar das
arme Tier Hunger leiden lassen, damit er ganz
von Kräften kommt lind noch schneller an seinem
bösen Asthma zugrunde geht. Ich hätte nicht
gedacht, daß Sie eine so hartherzige Person
seien, Anna. . . ."
Die Korridorglocke unterbrach beit erregten
Redefluß der erzürnten Frau.
Anna eilte hinaus und kam mit der Mel-
dung zurück, ein Bettler stehe vor der Tür
und bitte um ein Almosen.
„Lassen Sie sich von der Köchin ein Stück
Brot für ihn geben!" sagte die Kommerzien-
rätin, und belehrend fügte sie hinzu: „Bettlern
darf man niemals Geld geben, Anna; denn
dafür kaufen sie sich doch nur Schnaps in der
nächsten Kneipe."
Anna geht ab und erscheint nach einer Weile
wieder mit der Mitteilung, der Bettler bitte
dringend, ihm doch etivas Fleisch zu dem Brot
zu geben; er habe seit Tagen nichts Kräftiges
gegessen und fühle sich ganz matt.
„Wa—a—as!?" entringt es sich da der zorn-
bebenden Brust der Gnädigen. „So eine un-
erhörte Frechheit! Brot ist doch die kräftigste
Nahrung, die es überhaupt gibt. Und die ist
dem arbeitsscheuen Gesindel schon nicht mehr
gut genug!?"
Sie springt auf und will hinaus, um dem
Vom Wiener Eucharisten-Kongreß.
,Na, ich bin doch neugierig, ob die Muzcrln merkeii, daß ich a Pfarrer bin?
Der kranke Moppi
und die hartherzige Anna.
Die Frau Kommerzienrätin sitzt im Erker
ihres SalonS und liest die Fortsetzung des
Romans aus der Beilage ihres Leibblattes.
Von Zeit zu Zeit wirft sie einen besorgten
Blick auf ihren Liebling, eine» unförmlich fetten
Mops, der mit geschlossene» Augen auf einem
Daunenkissen zu ihren Füßen liegt-
Plötzlich mischt sich in die Atemzüge des
Hundes ein pfeifender Ton. Das Tier torkelt
auf, hustet, keucht und ringt nach Luft.
Seine Herrin hat sich neben ihm auf die
Knie niedergelassen, klopft ihn auf den Rücken
und redet ihm lieb zu: „Moppichen, mein armes
Moppichen, hast du wieder den bösen Anfall-
Wird bald vorübergehen, meingutes Hündchen.
Sieh Frauchen nicht so traurig an, sonst muß
Frauchen weinen."
Die Tränen treten ihr in die Auge». Sie
schneuzt sich in ihr Batlisttüchlein und klingelt.
Anna, das Stubenmädchen erscheint. „Gnä-
dige Frau befehlen?" —
„Anna, mit Moppi geht's wieder schlimm. '
Sehen Sie nur, wie er sich quält. Gewiß hat
er sich bei dem Ausgang mit Ihnen eine neue
Erkältung geholt, bei dem schlechte» Wetter!"
„Aber ich hatte ihm doch die gefütterte
Rückendecke umgebunden, gnädige Frau, und
bin gleich nach Hause gegangen, als die ersten
Regentropfen fielen."
Die Kommerzienrätin
sieht ihren leidenden
Liebling verzweifelt an.
„Hat erwenigstens guten
Appetit gehabt, Anna?
Er hat doch sei» Schabe-
fleisch nach dein Aus-
gang bekommen?"
„(Newiß, gnädigeFrau,
aber er hat's halb stehen
lassen."
„Aber Anna — das
sagen Sie mir jetzt erst!?
Moppi, mein armer süßer
Moppi! Er ist kränker
als ich ahnte. Nun hat
er schon keinen Appetit
mehr."
Sie hat sich wieder zu
dem schnaufenden Mops
niedergelassen und strei-
chelt ihm zärtlich das
pralle Fell.
„GnädigeFrau, wenn
ich meine Meinung sagen
darf" — hebt Anna zö-
gernd an — „ich meine,
der Hund bekommt zu
gutes Futter. Da hat er
keinen Appetit mehr und
bekommt auch keine Luft,
weil er zu fett ist."
Die Kommerzienrätin
sieht die ungebildete, vor-
witzigePersou eine Weile
sprachlos an. Dann bricht
sie los: „Aber Anna, wie
können Sie so dummes,
ungereimtes Zeug reden.
Dreimal täglich einVier-
telpfund Schabefleisch —
ist das zuviel für einen
so kräftigen Hund? Sonst
frißt er doch fast nichts.
Und wissen Sie denn
nicht, daß mageres Scha-
befleisch gar nicht fetf
macht. Die Arzte verord-
unverschämten Menschen selber die Leviten zu
lesen, kehrt aber an der Tür um. „Nein,"
seufzt sie.indigniert, „mit solchen Mensche»
darf man sich nicht gemein machen. Sagen
Sie ihm, ich gebe nur Brot."
Anna geht hinaus, nimmt aus ihrem eigenen
Geldbeutelchen ein Zehnpfennigstück, reicht cS
. schweigend dem Bettler durch den Türspalt
und kommt zurück in den Salon.
„Und das sage ich Ihnen, Anna," schließt
die wieder um ihren Moppi bemühte Haus-
herrin ihre Rede, „wenn Sie für das arme
kranke Tier kein Herz haben, dann würde ich
Sie in meinem Dienst nicht brauchen können."
„Ich gehe zum nächsten Erste», gnädige
Frau," sagte die hartherzige Anna kurz, und
verschwindet. ^
Llnser Riese!
Bethmann Hollweg saß vor kurzem mit bis-
märckischer Tatkraft am Schreibtisch, kritzelte, pruste,
nickte und gab dann das Erzeugnis seines Geistes
und seiner Feder an jenen überaus schlauen Ge-
hcimrat weiter, der, neben ihm stehend, hier gleich
sam als „Moltke" zu funktionieren verpflichtet war.
„Wir erfahren zuverlässig, daß der Herr NcichS-
kanzler seine Entschließung über die Maßnahmen
des Reichs gegen die Fleischnot vertagt hat!"
So lautete die für das Wolffsche Bureau ganz
frisch fabrizierte Notiz; dem Gehcimrat aber gefiel
sie nicht recht.
„Dieser Text ist für einen so kritischen Fall doch
wohl etwas zu langatmig, Exzellenz!" widersprach
er voll Respekt, durchwach-
scu mit Festigkeit: „Ich
meine ... die Kundgebung
wirkt in dieser Form ivedcr
beruhigend noch begeisternd!
Denn cs fehlt ihr leider
gänzlich jener „zündende
Einschlag" einer... na, ich
möchte fast sagen, einer
Einser Depesche!"
Durch Bethmann Holl-
wegs 'Schädel zuckte ein
historischer Gedankenblitz;
seine Körperhaltung straffte
sich und wurde „eisern".
„Einser Depesche? Ma-
chen wir!! Geben Sic das
Ding noch mal her!" so rief
er triumphierend, griff nach
seinem Blaustift und strich
mit bismärckischer Energie
genau acht Worte durch.
Und siehe da! Aus jener
„Chainade" war jetzt die
„Fanfare" geworden; dcnii
die offiziöse Note lautete
nunmehr: „Wir crfahrci,
zuverlässig, daß der Herr
Reichskanzler die Fleisch-
not vertagt hat!"
Gut gesagt!
„Was folgt daraus, daß
die Volksschulklassen bis zu
zweihundert Kindern beher-
bergen und die Gymnasien
zwanzig?"
„Daß in jeder Volks-
schule das Zehnfache fixe die
Bildung geschieht!"
Glosse.
Den schwarzen Ochsen,
die den Leichenwagen des
Mikado zogen, wurde nach
uralter Sitte der Hofraug
verliehen. Warum erst nach
dem Tode des Herrschers?
In einigen europäischen
Ländern verleihen die Mon-
archen zahlreichen Ochsen
schon zu ihren Lebzeiten de:,
Hofrang!
nen es sogar bei Abmagerungskuren — mageren
Schinken wenigstens, ivas doch auf dasselbe
herauskommt. Den frißt Moppi aber doch nicht
wegen des Salzes. Sie wollen wohl gar das
arme Tier Hunger leiden lassen, damit er ganz
von Kräften kommt lind noch schneller an seinem
bösen Asthma zugrunde geht. Ich hätte nicht
gedacht, daß Sie eine so hartherzige Person
seien, Anna. . . ."
Die Korridorglocke unterbrach beit erregten
Redefluß der erzürnten Frau.
Anna eilte hinaus und kam mit der Mel-
dung zurück, ein Bettler stehe vor der Tür
und bitte um ein Almosen.
„Lassen Sie sich von der Köchin ein Stück
Brot für ihn geben!" sagte die Kommerzien-
rätin, und belehrend fügte sie hinzu: „Bettlern
darf man niemals Geld geben, Anna; denn
dafür kaufen sie sich doch nur Schnaps in der
nächsten Kneipe."
Anna geht ab und erscheint nach einer Weile
wieder mit der Mitteilung, der Bettler bitte
dringend, ihm doch etivas Fleisch zu dem Brot
zu geben; er habe seit Tagen nichts Kräftiges
gegessen und fühle sich ganz matt.
„Wa—a—as!?" entringt es sich da der zorn-
bebenden Brust der Gnädigen. „So eine un-
erhörte Frechheit! Brot ist doch die kräftigste
Nahrung, die es überhaupt gibt. Und die ist
dem arbeitsscheuen Gesindel schon nicht mehr
gut genug!?"
Sie springt auf und will hinaus, um dem
Vom Wiener Eucharisten-Kongreß.
,Na, ich bin doch neugierig, ob die Muzcrln merkeii, daß ich a Pfarrer bin?