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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0357
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7686

Der liberale Parteitag.

Saht ihr die edlen Recken,

Die dort in starker Zahl
lUnab gen Mannheim wallten
Rhein-und Neckartal?

Laut tönten ihre Reden,

Stalz blickt' ihr Rüg' und frei:
Da? sind die Gbeiüonzen
Der fortschrittlichen Volkspartei.

Zu ernstem Tun und Tagen
Sah man sie dort bereit,

Ruf daß sie Heilung finden
Für alle Not der Zeit
Und lobesam verhelfen
Zu neuem Glanz und Ruhm
Dem alten, unentwegten,

Dem liberalen Bürgertum.

Zunächst ward Rat gepflogen
Betreffs der Hungersnot,

Wie man dem Volk verschaffe
Das nöt'ge Fleisch und Brot
Und doch bestehen lasse
Die Lebensmittelzölle -
Des schwier'gen Rätsels Lösung
Schien wahrlich keine Bagatelle.

Drum gab's in scharfen Reden
Manch blutiges Duell,

Heiß focht der kühne Fegter
Mit Becker und Rorell,

Doch schließlich fand den weg man,
Das Resultat war das:

Ruf, laßt den Pelz uns waschen,
Doch macht ihn, Brüder, ja nicht naß!

Dann schritt man kecken Mutes
Sn der Beratung fort
Und zur sozialen Frage
Fiel manches starke Wort,

Die scharfen Schwerter blitzten,

Wild wogt' die Rauferei,

Bis Wiemer konstatierte,

Daß man im Grunde einig sei.

Um kräftig aufzufrischen
Die etwas dünnen Reihn,

Ward schließlich noch begründet
Tin Rrbeiterverein;

Sofort erklärten freudig,

Demselben beizutreten,

vier ältre Börsenmakler

Uebst zwei bis drei Rommerzienräten

Drauf schloß man die Beratung
Und schritt zu ernster Tat,

Die einen schober. Regel,

Die andern spielten Skat.

Und jeder könnt' erkennen,
Wie kräftig sich erweist
Rm rechten Ort noch immer
Der liberale Bürgergeist.

Hrmlnlus.

Theodor Bömelburg.

Am 17. Oktober Ist in Hamburg unser Genosse Theodor
Bömelburg nach langem Siechtum im Alter von 58 Jah-
ren gestorben. Bömelburg war eine markante Erschei-
nung unter den proletarischen Führern. Bon Beruf
Maurer, hat er seine ganze Kraft in den Dienst der Jnrer-
effen seiner Berufskollegen gestellt, die ihn 1894 zum
Letter ihrer Gewerkscbaft wählten, Sr vertrat auch den
Wahlkreis Dortmund-Loerde im Reichstag, wo er durch
seine Kenntnisse aus dem Gebiete des Bauwesens den
Arbeitern große Dienste geleistet hat, Bömelburg war
auch Mitglied der SamburgerBürgerschaft.Wegcn Äber-
häufung mit Organisationsarbeiken mutzte er bei der
letzten Neuwahl auf das Mandat verzichten.

Sein Andenken wird von der deutschen Arbeiterschaft
stets in Ehren gehalten werden.

Ein Praktikus.

Ja, wenn wir nur praktisch sein wollten!

Wir machen viel zu viel Umstände mit jeder
Frage! Und es ist doch alles so einfach!

Sehen Sie sich nur mal diese Sache an:

Der Kastellan beim Amtsgericht Neckling-
hansen ist mit seiner Kellerwohnung unzu-
frieden. Er zieht die Nase kraus und sagt:
„Pfui Deibel, hier riecht es muffig. Ich kann
lüften, Heizen — es bleibt muffig. Bitte,
Herr Gerichtsrat, wollen Sie sich überzeugen
und mal selber riechen? Meine Betten werden
überhaupt nicht trocken. Wann ich morgens

aufwache, wundere ich mich, daß mir keine
Schwimmhäute zwischen den Zehen gewachsen
sind. Ich bitte um eine Wohnung, Herr Ge-
richtsrat, wo Bett und Bad getrennt wird."

Der Herr Gerichtsrat riecht mit überlegener
Miene: „Der Wohnung, mein Lieber, fehlt
nichts. Sie ist nur unpraktisch eingerichtet.
Warum in aller Welt stellen Sie die Bett-
stellen auch auf den Fußboden? Da müssen
die Betten ja feucht werden! Es ist nämlich
ein physikalisches Gesetz, mein Lieber, daß die
Wärme nach oben steigt. Ergo: lassen Sie
auch Ihre Betten nach oben steigen. Stellen
Sie sie auf den Tisch!"

Der Kastellan schlug sich vor den Kopf und
rief: „Donnerwetter, ich Esel!"

Und er stellte die Betten auf den Tisch,
zimmerte sich eine Hühnerleiter und kletterte
an jedem Abend vergnügt in die obere Etage,
Wo sonst die Kaffeetasse stand, erhielt ein anderes
Porzellangefäß seinen Platz, desgleichen die
Pantoffeln. Die Waschschüssel hing er an die
Decke. Er kaufte sich immer mehr Tische und
brachte auch noch die Stühle nach oben. Er
sägte seine Kleiderschränke in der Mitte durch,
machte auf diese Weise aus einem zwei und pla-
cierte sie nebst einem Kanapee gleichfalls ans
die Tische, Er wurde ein Höhenmensch, war zu-
frieden und glücklich, und wenn er inzwischen
nicht ausgczogen ist, wohnt er noch heutedort.

Sehen Sie, dieser Gerichtsrat ist der Mann,
den wir brauchen. Die Wohnungsfrage hat
er gelöst. Nun noch die paar andern. Zum
Beispiel die der Justiz, die ja auch zuweilen
muffig ist: man setzt den Staatsanwalt nach
unten auf die Anklagebank, den Angeklagten
nach oben auf den Stuhl des Anklägers, und so.

Oder dieser Gerichtsrat sollte Reichskanzler
werden und die ganze muffige Politik refor-
mieren. Ja, fie in aller Einfachheit bloß mal
umdrehen. Die unten sind, nach oben, und so.
Wenn da jetzt alles auf dem Kops steht, müßte
es so wieder richtig werden. Heil ihm! Ep,

Politische Glossen.

Der Abgeordnete Konrad Haußmann hat aus
dem v^lksparteilichen Parteitag zu Mannheim er-
klärt: wenn wir das Frauenstimmrecht, gegen das
65 Prozent der Männer sind, ins Programm auf-
nehmen, so sind wir keine Demokraten!

Daraus ergibt sich folgendes logische Rätsel: Das
demokraiische Prinzip fordert die politische Gleich-
berechtigung auch der Frauen; folglich gehört das
Frauenstimmrecht ins Programm. Das demokraiische
Prinzip verbietet aber auch etwas ins Programm
anfzunchinen, wogegen die Mehrheit ist; folglich ge-
hört das Frauenstimmrecht nicht ins Programm.
Also verlangt das demokraiische Prinzip, daß etwas
nicht ins Programm kommt, was nach dem demo-
kratischen Prinzip ins Programm gehört.

Wie löst sich dieses Rätsel? .U3,MJOlU3(S 3U,3J

quij aoiupv-iKMK rsq lutzahsstsi ^!(L -poayUK

Die „Konservative Monatsschrift" erörtert die
Resormbediirstigkeit des konservativen Parteipro-
gramms und fordert die Aufstellung eines „Pro-
gramms des konservativen Fortschritts."

Folgende drei Punkte sollen an die Spitze des
neuen Programms gestellt werden: 1. Die konserva-
tive Partei fordert die Demokratisierung des be-
währten preußischen Dreiklassenwahlrechts und lehnt
dariiin jede Iteform desselben ab. 2. Im Interesse
einer Verbilligung der Bolksernährung fordert die
konservative Partei eine weitere Verteuerung der-
selben durch erhöhte Zölle und Eiufuhrerschiveriiugen,

Gemäß dem Grundsatz der Bersassung, daß alle
Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sein fallen,
fordert die konservative Partei den Ausschluß aller
nichtkonservativen Elemente von allen Ämtern und
staatsbürgerlichen Rechten. M

Lotterie-Einigkeit.

Bayern ist der preußischen Klaffenlotterie beigelrelcn.

Es ist erreicht! ES hat getagt
In Deutschland. Wir sind gcinigt!

Held Hertling hat das Werk gewagt.

Es ward uns von oben bescheinigt:

Wir sind jetzt einig wie noch nie —

Ein Gott, ein Voll, eine Lotterie!
 
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