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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0378
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7707

liche Kirchen haben wir auf dem Balkan, die
sich gewöhnlich wie Todfeinde bekämpfen: in
den Armen liegen sie sich heute. Und doch denkt
jede nur daran, wie sie die andere am besten
erwürgen kann. Meine Minister sind plötzlich
alle rappelig geworden. Den Venizelos, der
mir so gut gefallen hatte, weil er mir mit
Kreta keine Geschichten machte, hat's auch ge-
packt_Armes Hellas! Wenn ein Zeus dich

retten könnte! Aber Zeus ist schon längst unter
die Börsianer gegangen, und die schätzen unsere
klassische Vergangenheit ivenig, da sie sich so
schlecht verzinst.

Ich muß aufhören, wenn das Briefchen noch
mit der nächsten Post weg soll. Grüße das
schöne Dänemark und seine stillen Wälder.

Dein Georg.

IV.

Nikita von Montenegro an seine Tochter,
die Königin von Italien.

Herziges Töchterchen! Erhabenen Kuß und
Gruß zuvor. Was sagst de nu? Habe ich die
Sache nicht fein gemacht? Bin ich nicht los-
gegangen, wie ich Dir's im letzten Brief pro-
phezeite? Hattest Du ein Recht, mich damals
auszulachen? Bin ich nicht früher marschiert,
als die Welt es im besten Falle vermuten
konnte, früher vor allem — und das macht
mir einen höllischen Spaß —, als Ferdinand
der eingebildete Esel und Peter der Krumm-
schneider es wollten? Hoffentlich habt Ihr Euch
meinen letzten Brief zu Herzen genommen und
habt Eure Wertpapiere rechtzeitig losgebracht.
Ich, mein liebes Kind, Dein Väterchen Nikita,
habe ein Bombengeschäft an der Börse ge-
macht, als ich Europa den Krieg erklärte —
ja Europa, denn die Türkei war nur ein Vor-
wand. Mit irgend jemand muß man doch
immer anfangen. Mitschitsch, mein Premier,

hatte Skrupeln. Ich habe sie ihm gründlich
ausgetrieben, dem Trottel. Skrupeln! Dazu ist
Montenegro schon zu groß ... Du weißt, daß
ich in den letzten Jahren einige unglückliche
Spekulationen an der Börse geniacht hatte.
Heute ist alles wieder eingeholt, und ich kann
sagen, daß dies der zweitbeste Streich meines
Lebens war. Des besten erinnerst Du Dich wohl
noch? Weißt Du, damals als ich Geld brauchte
und mir kein einziger von den gekrönten Geiz-

Die Bestätigung. EmuErk

„Es herrscht wirklich ein Notstand — der Kaviar ist
schon wieder von der Speisenkarte gestrichen."

kragen aus der Patsche helfen wollte und ich
schließlich einfach zwanzig meiner treuen Monte-
negriner nach zwanzig verschiedenen Städten
Österreichs schickte, um die Geldanweisungen
dort einzukassieren, die ich hier an sie aufgab,
natürlich ohne das Geld einzuzahlen. Achtmal-
hunderttausend rückte die österreichische Post
'raus. Als sie dann am Ende des Jahres das
„Defizit" aufdeckte, sperrten mir die Habsburger
meine Post. Zweimalhunderttausend habe ich
leider zurückgezahll: das fuchst mich heute noch.

Hast Du keine Lust, mal herüberzukommen
und Dir den Rummel aus der Nähe anzu-
sehen? Daß einer von den Petersburger Groß-
fürsten die Pariser Rennplätze verlassen hat,
um hier einen „richtigen Krieg" mitzuerleben,
wirst Du wissen. Es geht fast wie im Kintopp
zu. In dieser verflucht langweiligen Gegend
ist so etwas eine Herzenserfrischung, übrigens,
der serbische Peter stirbt vor Angst, und Ferdi-
nandchen träumt schon von einer noch längeren
Nase, die bis nach Konstantinopel reicht.

Hoffentlich machst Du Dir keine Sorgen wegen
dem Ausgang dieser ganzen Affäre! Was kann
mir passieren? Gar nichts! Und die anderen
sind mir worscht! Sollten sich gar die Groß-
eroberer in Europa noch in die Haare geraten,
dann weiß ich, was ich zu tun habe: meine
Börsenagenten sind jetzt schon instruiert.

Grüße Emanuelchen, Deinen Gatten. Ich
habe gehört, daß er sich zum Kaiser machen
will. Das soll er nur tun. So was kann nie
schaden — wenigstens meinem Kredit nicht!
Wie ist denn das: haben die Habsburger end-
gültig auf die römische Kaiserkrone verzichtet?

Adieu, Frau Kaiserin!

Dein Vater Nikita.

P. 8. Soeben ist eine Schlacht zu Ende Ich
habe sie selbst geleitet. Du kannst Dir vor-
stellen, wie sie ausging. . . .

Der Grund der Gründe.

Das Souper war ausgezeichnet gewesen,
die Weine sogar ganz vorzüglich, wie man das
übrigens im Hause des Kommerzienrats nicht
anders gewöhnt war. Jetzt stand und saß die
Gesellschaft im Salon, um mit einem Täßchen
Mokka zur Zigarette oder Habanna die innere
Verarbeitung des Mahles zu fördern.

Die Unterhaltung drehte sich selbstverständ-
lich um den eben ausgebrochenen Balkankrieg,
und der Herr Major a. D. meinte, daß die
von preußischen Instruktoren eingedrillte tür-
kische Armee im Handumdrehen mit ihren lau-
sigen Angreifern fertig werden würde.

' Die Opposition führte der Hausherr selbst,
nicht etwa, weil er an geschäftlichen Unter-
nehmungen in den Donauländern interessiert
war. Gott bewahre! Es war ganz einfach das
christliche Solidaritätsgefühl, das ihn auf die
Seite der vier Verbündeten führte.

Die Wahrheit erfordert zu sagen — so be-
schämend das für uns alle als Glieder eines
christlichen Volkes ist—, daß der Kommerzien-
rat damit wenig Eindruck auf seine Gäste
machte. Man empfand dieses Motiv geradezu
als eine „Velleität", wie die Frau Landge-
richtsrätin ihrer Freundin, der Frau Majori»,
zuflüsterte.

Der Kommerzienrat schien selbst die Schwäche
seiner Position zu fühlen. So sah er sich als
kluger Taktiker nach Unterstützung um, und
da siel sein Blick auf den Herrn Pfarrer, der,
des Gespräches wenig achtend, sich eben einen
Cognac fine Champagne schmecken ließ.

„Sie sind doch auch meiner Meinung, Herr
Pfarrer," rief ihm der Kommerzienrat zu.

Aller Augen richteten sich auf den Gottes-
mann, der, so plötzlich aus seiner stillen Ver-
senkung in geistigere Dinge herausgerissen und
in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerk-
samkeit gerückt, zunächst nur ein ärgerliches
Räuspern von sich geben konnte.

„Hm — eigentlich möchte ich mich da einer
Entscheidung enthalten," erklärte er dann reser-
viert und in der stillen Hoffnung, damit den
Störenfried abgewehrt zu haben.

Aber der ließ ihn nicht los: „Nanu, Sie
als Pfarrer, — ich meine, da ist die Entschei-
dung doch ohne weiteres gegeben!"

„Wieso, meinen Sie?" wehrte sich der also
Apostrophierte. „Ich habe doch amtlich mit
der großen Politik nichts zu tun."

„Aber die Politik kommt doch hier garnicht
allein oder in erster Linie in Frage," erklärt
sein Widerpart mit Nachdruck. „Es handelt
sich hier doch um eine große kulturelle, ja um
eine eminent religiöse Frage, um den weltge-
schichtlichen Kampf des Kreuzes gegen den
Halbmond, wie die Verbündeten mit Recht in
ihren Kriegserklärungen hervorgehoben haben."

Eigentlich war es jetzt allen etwas komisch
zu Mute. Der Kommerzienrat selbst fühlte,
daß ihn sein Eifer, Stimmung für seine finan-
ziellen Klienten zu machen, auf einen selisam
hohl klingenden Boden geführt hatte. Aber
nun mußte er durchhalten. Und zum Donner-
wetter, der Pfarrer hatte ihn doch gewisser-
maßen aus Berufspflicht dabei zu unterstützen.

Das sagte sich der berufene Diener der christ-
liche» Kirche einen Moment sogar selber. Aber
dann siegte ein anderes, stärkeres Gefühl in sei-
nem Inneren. Und so entgegnete er nach einer
allgemeinen peinlichen Pause des Gesprächs:

„Vom christlichen Standpunkt aus muß man
doch vor allem tief bedauern, daß die Balkan-
fürsten zuerst zum Schwert gegriffen haben.
Das ist nicht das geeignete Werkzeug, die Sache
der christlichen Religion zu fördern. Die Türken
waren zu Reformen bereit; sie sind die Ange-
griffenen. Bei Gott allein steht die Entschei-
dung, wer hier Recht hat."

„Er wird nach den größeren Bataillonen
und besseren Kanonen entscheiden," erklärte
der Major jetzt resolut.

Der Pfarrer nickte, ihm innerlich für die
Hilfe dankend, obgleich dieses preußische Argu-
ment eigentlich mit dem theologischen Lehr-
satz von der göttlichen Gerechtigkeit nicht ganz
harmonierte.

„Na, warten wir's ruhig ab!" sagte der Kom-
merzienrat, seinen natürlichen Menschen wieder
anziehend, und da eben die ersten Töne des
Flügels herüberklangen, die den Gesang der
eingeladenen Opernsängerin einleiten sollten, so
war das kriegerische Thema glücklich erledigt.

Der Pfarrer freilich kam nicht mehr in Stim-
mung. Er gab seiner besseren Hälfte, sobald es
anging, das Zeichen zu einem unauffälligen
Aufbruch. Wortlos strebte er seinem Heim zu,
und die treue Gattin machte keinen Versuch, ihn
aufzuheitern. Sie kannte seine Sorge, und sie
teilteste. Hätte sie den Schritt ungesehen mache.,
könne», sie hätte es getan. Aber das war nun
unmöglich. Sie halte sich ganz auf ihren Bruder,
den Mitdirektor einer großen.Bank, verlassen
Fünfzigtausend Mark, fast ihr ganzes mitge-
brachtes Vermögen, waren in türkischen Pa-
pieren angelegt.

Sie seufzte unwillkürlich tief auf. Gebe Gott,
daß der Verlust nicht allzu groß werde! ■£$
 
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