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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0394
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7723

Dilemma. w. Steinert

„Ja, meine Gnädige, es ist oft gar nicht so leicht, mirlltch patriotisch zu empfinden.
Ich habe Aktien von einer Lebensversicherung und von einer Waffenfabrik, Die ersteren
fallen, wenn es Krieg gibt, die letzteren steigen — was soll ich nun wünschen?"

ffs liobelfpäne. !rs>

In: deutschen Generalstab
Ist inan jetzt sehr betreten:

Man fühlt sich sehr blamoren —
Beim Barte des Propheten.

Wie hatte doch Goltz-Pascha
Die Türken instruieret —

Nun haben sie beständig
Sich rückwärts konzentrieret.

Sie brachten Herrn Goltz-Pascha
Wahrhaftig keine Ehren.

Geht's ihm vielleicht auch später
So mit den — Jugendwehren?

Wenn die Staaten sich gegenseitig als Mörder zu Leibe gehen, sind
ihre Völker erstens das Werkzeug, zweitens das Opfer und drittens sogar
noch die „strafende Gerechtigkeit" in einer Person!

Des Teufels Mühlen mahlen schnell. Kein Wunder: seine fromme
Kundschaft hat den alten Sensenmann davongejagt und arbeitet jetzt
statt dessen mit der Mähmaschine eines ganz modernen Krieges.

Zn dein Gesetz über das Verbot bestimmter Säuglingsmilchflaschen
hat das Zentrum folgendes Amendement eingebracht: Von dem Verbot
ausgenommen sind Flaschen mit solcher Milch, die vom zuständigen
Pfarrer oder Gendarm als Milch der frommen Denkungsart anerkannt ist.

Der türkische Halbmond ist mit rapider Geschwindigkeit in das ab-
nehmende Stadium getreten. Er ist in Europa fast gar nicht inehr zu
erblicken. Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Line Freveltat.

In dem oberschlesischen Dorfe Mikultschütz erhielt der Zozial-
demokrat podemski ein Polizeimandat in Höhe von 60 Mark,
weil er in einer Versammlung zu laut gesprochen und dadurch
die Bürger im Mittagsschlafe gestört hatte.

Der Kote ist ein Frevler
von Kindesbeinen an,

Er sinnt und übt nur Böses,

Soviel er irgend kann,

Er stürzt der Drdnung Stützen
Und haßt Ultar und Thron,

Drum gilt er jedem Biedermann
Uls Schande der Nation.

Für unsre heil'gen Güter
Ejat er nur Hohn und Spott,

Er untergräbt die Ehe
Und glaubt an keinen Gott,

Und stört dem Bürgersmanns,

Der, ordnungslieb und brav,

Um Sonntag etwas drusseln will,

Gar den Nachmittagsschlaf!

Oer letztgenannte Frevel —

Glaubt nicht, es sei ein lvitz —

Hat unlängst sich ereignet
2m Dorfe Nlikultschütz.
podemski, also hieß er,

Der diese Tat verbrach,

Indem in der Versammlung er
Mit Stentorstimme sprach.

2m Mittagsschlummer ruhte,

Das halbe Dörfchen schon,

Da drang zu aller Dhren
podemsliis vonnerton,

Nus süßen Träumen wurde

,Oer Bürger aufgeweckt

Und Dchs und Esel brüllten laut,

Weil man sie so erschreckt.

Doch gibt’s, gottlob, im Lande
Noch eine Staatsgewalt,

Die trat in die Erscheinung
Und bot dem Frevler Halt;

Die Sicherheitsbehörde,
wie immer klug und stark,

Sandt diesem Kerl ein Strafmandat
2n Höh' von sechzig Mark!

So wurde streng gesühnet
podemskis schnöde Tat,

Oie Drdnung triumphieret,

Gerettet ist der Staat,

Und ruhig weiter schnarchen
Darf Bildung und Besitz —

Soweit man davon reden kann
2m Dorfe Mikultschütz. Max,

Aus dem preußischen Landtag.

Die Leitung der konservativen Fraktion hat be-
schlossen, dem Präsidenten Graf v. Schwerin-Löwitz
einen nationalliberalen „Schiffer"knaben beizugcben,
der ihm täglich zurufen soll: Herr, gedenke der Sozis!

Einstweilen wird dein Präsidenten jeder Tag, an
dem nicht mindestens ein Sozi zur Ordnung gerufen
wird, ans Verlustkonto gebucht. Sollte das so fort-
gehen, so wird ihm ein Gegenkandidat in derPerson
des Polizeilcutnants Kolb entgegengestellt 'werden.

Lieber Jacob!

Also nu wollen se Eugen Richtern ivirklich
'n Denkmal setzen. Ick finde bet sehr nett u»
ziveckentsprechend, denn erstens hilft et eenem
tiefjefiehlten Notstand ab, indem in Berlin seit
mindestens zwee Monate ooch nich bet poplichste
Denkmal mehr enthillt worden ist, un zweetens
hat der Mann det verdient. Bloß schade, bet
in die Siegesallee keen Platz »ich mehr übrig
is: mang de Markjrafcn hätte er sich sehr
stattlich jemacht. Nu wollen se ihm am An-
halter Bahnhof mang de Jepäckträjer uffbauen.
For dem Entwurf des Denkmals is 'n Wett-
bewerb ausjeschrieben un ick habe beschlossen,
mir an denselben zu beteilijen. Ick will Dir
meine Idee verraten, aber Du darfst zu keene
Menschenseele davon sprechen, sonst fischt mir
am Ende ’it anderer meine Idee u» den Preis
vor de Reese wech.

Also paß uff! Bor allem muß vor det Denk-
mal 'n scheener Platz ausjesucht tverden, ivo
sich'n hibschet Blumenarranschemang drumrum
jruppieren läßt. Ick denke mir da eenige Zier-
disteln, Kaktusse und Stachelpalmen, die zu-
jleich dem liebenswirdigen Charakter des Ver-
ewigten simbolisch andeiten wirden, Det Posta-
ment mißte aus 'n sehr hartes un widerstands-
fähiges Material herjestellt werden, weil et
'ne schwere Last zu tragen hat. Am zweckmäßig-
sten keente man 'n paar versteinerte Exemplare
von det Projramm der Freisinnijen Volkspartei
dazu benutzen. An jede Vorderecke von det
Postament sitzt eene weibliche Jestalt, die eene
mit lebhafteste Bewejung von ihre unteren Ex-
tremitäten — det is de Strainpel-Anna —, die
andere mit 'n langen Strumpf in de Hand,
wo se jerade 'n Jroschen rinstechen tut — det
is de Spar-Agnes. Uff diesen Unterbau erhebt
sich nu de Hauptfigur, Eugen selber.

Ick habe mir lange den Kopp zerbrochen,
in welches Kostiein ick ihm stechen soll. De je-
wehnliche birjerliche Alltagskluft, Knarrstiebeln,
Bratenrock un dreckijer Kragen, is mir nich
monumental jenng. Ick bin inehr for det
Ideale, verstehste, un da denke ick mir Eugen
als kämpfenden Erzengel mit verjold'te Fliege!
un in't Nachthemde, Uff'm Kopp hat er 'n
Zilinder, wie er ihm bei festliche Jelegenheiten
trug, un zu seinen Füßen krümmt sich in ohn-
mächtigen Nöten der Liberalismus, dem er sieg-
reich in den Dreck jefahren hat.

De Uffschrift, die an det Denkmal anzu-
bringen wäre, erjibt sich ja eejentlich von selber.
An de Vorderseite von't Postament mißten
natierlich de Lieblingsivorte des darjestellten
Helden mitJoldbuchstaben injemeißelt werden:
„Voll un janz un unentwegt!" Un uff de Rickseite
mißte stehen: „Ihrem unsterblichen unfreiwil-
ligen Agitator die dankbare Sozialdemokratie!"

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Rauke,

an'n Jörlitzer Bahnhof, jlcich links.
 
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