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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0418
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7748

M. Engert

Aus dem Briefwechsel
eines modernen Kriegskorrespondenten.

I. Oberst a. D. Meyer an die Redaktion
der „Neuesten Nachrichten".

Sehr geehrter Herr Chefredakteur! Ich be-
finde mich, wie Sie wisse», im Hauptquartier
der türkische» Armee und erhalte meine Nach-
richten direkt von den durchaus glaubwürdigen
Offizieren des Großen Generalstabes. Wie es
danach scheint, sind die Türken in unaufhalt-
samem Vormarsch begriffen und die totale
Unterwerfung und Ausrottung aller Balkau-
völker ist nur noch eine Frage der Zeit. Den
gewiß hochinteressanten Kämpfen als Augen-
zeugen beizuwohnen, ist mir leider bis jetzt ver-
sagt gewesen' und wird es wohl auch in Zu-
kunft bleiben, da wir ausländischen Kriegs-
korrespondenten hieraus militärischen Gründen
in strengem Gewahrsam gehalten werden. Ich
darf das mir vom Generalstab angewiesene
Zimmer weder bei Tag noch bei Nacht ver-
lassen und weiß nicht einmal, an welchem O t
ich mich zur Zeit befinde. Die durch das rasche
Vorwärtsdringen der türkischen Armee not-
wendig werdenden Eilmärsche müssen wir in
geschlossenen Wagen und mit verbundenen
Augen zurücklegen. Meiner Berechnung nach
können wir uns nicht mehr weit von der serbisch-
ungarischen Grenze befinden. Anbei eine fach-
männische Darstellung der ersten entscheidenden
Schlachten, die namentlich für militärische Sach-
kenner Interesse haben dürfte, sowie eine huino-
ristisch-seuilletonistische Schilderung des hie-
sigen Lagerlebens und zahlreicher kleiner Kriegs-
abenteuer. Hochachtungsvoll

Meyer, Oberst a. D.

2. Die Redaktion der „Neuesten Nachrichten"
an den Oberst a. D> Meyer.

Sehr geehrter Herr Oberst! Ihre anschau-
lichen Berichte über die glänzenden Siege der
türkischen Armee haben wir erhalten, bitten
aber, unsere ursprüngliche Instruktion, im
türkenfreundlichen Sinne zu schreiben, als nicht
gegeben betrachten zu wollen. Die Sympathien
unserer Inserenten und Abonnenten neigen
sich in Übereinstimmung mit den Kriegsereig-
nissen gegenwärtig mehr den Balkanvölkern
zu und wir müssen Sie daher ersuchen, in
Ihren zukünftigen Briefen und Telegrammen
eine dementsprechende Tendenz zum Ausdruck
bringen zu wolle». Übrigens befinden Sie sich
in einem bedauerlichen Irrtum über die Be-
wegungen der türkischen Armee. Dieselbe dringt
nicht vorwärts, wie Sie schreiben, sondern ist
auf einem fluchtähnlichen Rückzug begriffen.
In vorzüglicher Hochachtung
Redaktion der „Neuesten Nachrichten".

3. Oberst a. D. Meyer an die Redaktion
der „Neuesten Nachrichten".

Sehr geehrter Herr Chefredakteur! Ihre neue
Instruktion, von nun an im serben- und bul-
garenfreundlichen Sinne zu schreibe», habe ich
mit bestem Dank erhalten und werde mich in
Zukunft danach richten. Ungemein interessiert
hat mich, was Sie mir über die Situation
der türkischen Armee mitteilen. Ich sende Ihnen

anbei einen ausführlichen Bericht, der noch vor
dem Eintreffen Ihres werten Briefes verfaßt
worden ist und die hoffnungslose Lage des bul-
garischen Heeres sowie die Greueltaten der
Serben in den lebhaftesten Farben schildert.
Haben Sie die Güte, den Korrektor anzuweisen,
daß er statt der Worte „Bulgaren" und „Ser-
ben" durchgängig „Türken" setzt. Der Artikel
dürfte dann den veränderten Wünschen Ihrer
Inserenten und Abonnenten vollkommen ent-
sprechen. Hochachtungsvoll

Meyer, Oberst a. D.

4. Die Redaktion der „Neuesten Nachrichten"
an den Oberst a. D. Meyer.

Sehr geehrter Herr Oberst! Wir müssen Sie
dringend ersuchen, in Ihren übrigens vortreff-
lichen Berichten vom Kriegsschauplatz eine op-
timistischere Ansicht über die allgeineine euro-
päische Weltlage Platz greifen zu lassen. Die
Aktionäre unserer Zeitung haben ein berech-
tigtes Interesse daran, daß zurzeit keine Vörsen-
panik entsteht, und die Papiere in ihrem schon
ohnehin traurigen Kurse nicht noch mehr ge-
drückt werden.

In vorzüglicher Hochachtung

Redaktion der „Neuesten Nachrichten".

5. Oberst a. D. Meyer an die Redaktion
der „Neuesten Nachrichten".

Sehr geehrter Herr Chefredakteur! Ihrem
Ersuchen gemäß sandte ich Ihnen soeben tele-
graphisch eine Schilderung der politischen Lage,
die der Hoffnung auf einen nahen Friedens-
schluß überzeugenden Ausdruck gibt.

Hochachtungsvoll

Meyer, Oberst a. D.

8. Die Redaktion der „Neuesten Nachrichten"
an den Oberst a. D. Meyer.

Sehr geehrter Herr Oberst! Ihre günstigen
Nachrichten vom Kriegsschauplatz haben hier
sehr segensreich gewirkt. Unsere Aktionäre konn-

ten die vorübergehende Kurssteigerung benutzen,
um ihre Wertpapiere mit schönen Gewinnen
zu veräußern. Da sie jetzt aber iviederum billig
einzukaufen wünschen, bedürfen ivir einiger
pessimistischer Artikel.

In vorzüglicher Hochachtung

Redaktion der „Neuesten Nachrichten".

7. Oberst a. D. Meyer an die Redaktion
der „Neuesten Nachrichten".

Sehr geehrter Herr Chefredakteur! Anbei ein
ausführlich motivierter Bericht, der die Ge-
fahr eines allgemeinen europäischen Krieges in
nächste Nähe rückt und das Ausbrechen des Welt-
brandes bereits für die nächste Woche in Aus-
sicht stellt. In wenigen Tagen folgt ein ziveiter
und ein dritter Artikel mit derselben Tendenz.

Hochachtungsvoll

Meyer, Oberst a. D.

8. Die Redaktion der „Neuesten Nachrichten"
an den Oberst a. D. Meyer.

Horen Sie endlich auf. Teuerster, und kom-
men Sie schleunigst nach Hause! Ihre letzten
Schlachtenschilderungen und pessimistischen
Prophezeiungen mußten sämtliche in unfern
Papierkorb wandern, denn der Krieg ist längst
zu Ende und der Friedensschluß bereits vor
vierzehn Tagen erfolgt. Lesen Sie denn gar
keine Zeitungen?

Redaktion der „Neuesten Nachrichten".

Bücher für den Weihnachtstisch.

„Aus eines Mannes Jesuilenjahren".
Von Frhr. v. Weichling.

„Das Buch der Erfindungen". Jährlich er-
gänzt und erweitert vom Reichslügcn-Verband.

„Der gute Kamerad". Ein Vademekum von
Gras Oppersdorf und Matthias Erzbcrger.

„Reise um die Halb-Welt in achtzig
Tagen". Von Pater Filuzius Schnüffler.

„Im wilden Berliner Westen." Jagd- und
Abenteurergeschichle von Graf Wolf Metternich.

„Das Buch zum Totlachen". Enthält die
Verbrüderungsreden auf dem letzten Katholikentag.
Urkomisch!

„Schlaraffenland". Bilder ans dem heutigen
Deutschland. Von Agrarius.

„Das Buch vom gesunden und kranken
Eulenburg". Herausgegeben vom Ersten Staats-
anwalt des Landgerichts Berlin.

„Der kleine Kleptomane". Anleitung zum
vorteilhaften Besuch von Warenhäusern. Nur für
bessere Herrschaften!

„Das Lust-Schloß". Reizendes Märchen von
einem richtigen Friedenspalast.

„Tausendundein Schlag". Geschichte der
Valkan-Kriegs. .Im Auftrag der Verbündeten ge.
dichtet von Nikita von Montenegro.

Deutsche Weihnachts-Märchen.

Es war einmal ein Monarch, der verzichtete ans
seine Zivilliste zugunsten der hungernden „Unter-
tanen".

Es war einmal ein Diplomat, der einen Völkcr-
krieg vorausgesehen hatte.

Es war einmal ein Kriegskorrespondent, der sagte
in seinen „Spezialberichten" immer die Wahrheit.

Es war einmal ein Fleischer, der liebte das ar-
gentinische Gefrierfleisch ebenso wie seine — Eisbeine.

Es war einmal ein Weihnachten, wo das alte
Wort Wahrheit wurde: „Friede auf Erden und den
Menschen ein Wohlgefallen!!"
 
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