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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 30.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.7671#0006
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7762

W Ctjronos. m

JreunD Llzronos zog die Stirn in Zalten
Und murrte einen stillen Zluch:

„Der Menschen törichtes Verhalten
verschandelt mir mein Schicksalsbuch.
Schon schrieb ich viele tausend Bände.

Und immer wieder muß ich sehn,

Wie sie durch jede Jahreswende
Mit ihrem alten Plunder gehn.

Den Teufel auch!" Lr warf die Zeder
Mit einem Klecks auf's letzte Blatt:

„Wie sagt das Volk? ,Lnt—oder — weder!'
Ich Hab die Schmiererei nun satt!"

Langt mir den pelz her und die Stiebe!;
Denn wenn sie heut.Prost Neujahr!' schrei'n
Und sich begießen ihre Giebel,

Will ich auch unter ihnen sein."

Gesagt, getan. Zreund Lhronos wandte
Sich schnellen Schrittes nach Berlin,

Wo hell ein Meer von Lichtern brannte
Und feierlich die Stimmung schien.

In Strömen floß hier Sekt und Bowle,

Ls glühte Wein, es schäumte Bier:

„Das alte Jahr der Teufel hole!

Dich, neues Jahr, begrüßen wir "

„Was soll das neue Jahr denn bringen?"
So fragte Lhronos rings herum,

>„,Na, alter Herr, vor allen Dingen
Stell'n Sie nicht dümmer sich als dumm.
Bei so 'ner frischen Jahreswende,

Was wünscht sich da der Aktionär?
Natürlich: daß die Dividende
Noch immer etwas fetter wär'."

Und alle sprachen von Geschäften,
von Konjunktur, Kredit, Bilanz,
von Kursen, die nicht recht bei Kräften,
Kurz: von der höheren Zinanz.

Agrarier brüllten: „„Hoch der Bauer!

Im neuen Jahr gedeihen soll
Um's teure Vaterland die Mauer:

Ls häufe fleißig Zoll auf Zoll!""

Zreund Lhronos schlich sich um die Lcke:
„Lin neues Jahr, ein alt Geschrei.

Die Leute kommen nicht vom Zlecke.
Gehn wir in eine Staatskanzlei.

Hier wird gewiß in höchstem Maße
Die Weisheit zu erblicken sein."

So kam er in die Wilhelmstraße
Und ging ins Neichskontor hinein.

verlassen standen Pult und Tische,

Und nur aus einem Stoß Papier
In einer dunklen Mauernische,

Da hockte breit ein großes Tier.
Froschaugen glotzten aus dem Kopfe,

Als säßen sie an einem Stiel,

Und hinterm Dhr, am kahlen Schopfe.
Stak dick und lang ein Zederkiel.

„Verzeihung!" Linen Bückling machte
Zreund Lhronos und stand ganz perplex,
Indessen er erschrocken dachte:

Was ist nun dies für ein Gewächs!

Und sagte laut: „Nur eine Zrage:

Mein guter Herr, was denken Sie
Wohl so an einem Neujahrstage?"

Da lachte laut das Vieh: „„Hihi!

Ich bin das Schicksal mancher Länder
Und allem Nückschritt wohlgesinnt.

Ich freu' mich, wechselt der Kalender,
Daß wir noch nicht viel weiter sind.

Und treiben vorwärts doch die Fakten
Das Nad der Zeit — hihi, hihi —
Schmeiß' ich dazwischen meine Akten ...
Man nennt mich die Bureaukratie.

Hihi, hihi! Sieh hier mich nisten,

Wo man die Volksgeschicke lenkt.

Zum Teufel mit den Sozialisten,

Dem roten Volk, das vorwärts drängt!
Zurück, zurück ist die Parole;

Hier harrt schon manche neue Lex!"" ...
„Daß dich doch selbst der Teufel hole,

Du niederträchtiges Gewächs!"

Zreund Lhronos schrie's und lief nach Haufe
Und warf die Stiefel an die wand,

Und nahm nach einer kleinen Pause
Die Zeder wiederum zur Hand
Und schrieb es hin mit dicken Lettern:

„Ls herrscht noch immer Gier und List;
Denn Frosch und goldenes Kalb sind Vettern.
— Doch Lhronos ist ein Sozialist."

Dankgottesdienst.

Von den Domen
Dröhnend hernieder
Hallen die Glocken,

Laden und locken.

Zu danken dem Himmel,

Daß er im blutigen Schlachtgewimmel
Sieg gegeben den heimischen Waffen.

Und die Popen und die Pfaffen
Feiern das Kreuz und feiern den Heiland,
Der den Feinden verzieh doch weiland.
Der nicht mordete, nicht erschlug,

Sondern die Sünde der andern trug.

And der König,

Noch blutbefleckt.

Neigt sein Haupt, vom Ruhm bedeckt.
Beugt sein Knie dem Herrn der Welten,
Beugt sein Knie dem Gott der Liebe —
Und erfreuet sich der Hiebe,

Die er seinem Feind versetzt!

Der Geschlagnen Sterberöcheln
Lockt ihm noch ein selig Lächeln,

Der Zerfetzten Schmerzensschreie
Füllen ihn mit rechter Weihe,

Und der Witwen und der Waise»
Klaggeheul und Seelennot
Um den Nährer, der nun tot.

Kan» ihm nicht das Herz zerreiße»!

„Gott im Himmel, Dank sei dir!

Neue Länder gabst du mir,

Millionen Untertanen

Durch den Sieg für meine Fahnen!"

Pfaffen singen, Pfaffen plärren
Zu dem höchsten aller Herren,

Glocke» halle», Glocken dröhnen.

Hell die Feier zu verschönen.

Und der König beugt das Knie,

Demutvoll und fromm wie nie.

Aber draußen rings im Lande

Qualmt es noch von Mord und Brande,

Viele Tausend Leiber modern

Und des Zornes Flammen lodern. E. Kl.

Der Silvesterspruitg ins Dunkle.

Als es dreiviertcl zwölf schlug, gilig Bethmamm
Hollweg schon gähnend schlafen; denn der philo-
sophische Punsch war diesmal extra stark gewesen
und hatte ihn schließlich soweit gekriegt, daß er die
ganze Welt stolz verachtete.

„Morgen ist auch noch ein Jahr!" so witzelte er
und kletterte freudig ins Bett: „Ich muß mir neue
Kräfte sammeln für meinen nächsten Konflikt mit
dem preußischen Landtag!"

Er fing an zu duseln. — „Karussell sahrcn" heißt
dieser Zustand der menschlichen Seele, der hier
folgendermaßen aussah:

„Möbelfabrik in der Wilhelmstraße . . ., Möbel-
fabrik in der Prinz-Albrechtstraße! Ich säge, du
sägst, er sägt! Preußische Drohung nach Rom von
tvegen bewußter Enzyklika . . . Kriegserklärung des
Zentrums! Ich bluffe, du bluffst, er bl . . ., nee,
ich fürchte, er macht mit mir Ernst! Schwarzer
Alpdruck . . . politische Erpressung . . . Daum-
schrauben. . . Hilfe!! Ha, und da, da kommt der
rote Teufel auch noch und tvill mich . . . >vie?
was? . . . regieren helfen willst du mir? Jetzt
schlägt's aber dreizehn!! Neunzehuhnndcrtnnddrei-
zehn! Madame de Thöbes schrieb: ,Ein Sprung
ins Dunkle nur kann Sie noch retten!' — „Platz
da, Satanas!!"

(Wuppdich. Rutsch. Bantz. Lebhaftes Geklirr.)

„Zwei Mark achtzig Schaden!" konstatierte Beth-
niann Hollweg, als er Licht gemacht und unters
Bett geguckt hatte: „Mir scheint... es ist noch Glück
im Pech-gewesen, daß ich bloß mit der inneren
JpifiliiiL Karussell fuhr!"

Und höllisch verdutzt kroch er wieder ins Belt.

?reiherrn v. Rollings flbscbiedslied
an die Jesuiten.

(?rei nach Scbeffel.)

Das ist im Reiche hässlich eingerichtet.

Dass auch ein Bundesrat besteht,

Und was der Mensch auch hofft und dichtet,

Zum Schlüsse zeigt sich’s, dass es schief doch geht,
ln euren Kn gen hab’ ich oft gelesen,

Dass ihr nach Bayern wollt so gern herein:

Behüt euch Sott, es war’ zu schön gewesen,
Behüt euch Bott, es bat nicht sollen sein!

Leid, Deid und Bass, auch ich hab' sie empfunden,
Ein sturmerprobter frommer Zentrumsmann,
leb träumt’ von Jrieden schon und stillen Stunden,
Da winkte mich der Prinzregent heran.

Als Sozitöter wollt’ ich ganz genesen,

Mit euch die UJelt vom Umsturz schnell befrei'»:
Behüt euch Sott, es wär’ zu schön gewesen,
Behüt euch Bott, es bat nicht sollen sein!

Man lacht mich aus, der Spott pfeift durch die Blätter,
Ein Bobtigescbrei erfüllt die böse UJelt,
leb wollte sein des Blaubens starker Retter
Und steh als Scbwerblamierler auf dem 5eld.

Doch wende sich’s zum Buten oder Bösen,

0 Jesuit, in Creuen denk' ich dein!

Behüt dich Bott, es wär' zu schön gewesen,
Behüt dich Bott, es bat nicht sollen sein!

Glosse.

Die ersten vier Kanzler pflegten ihren „großen
Tag" zu haben, sobald sie mit einer Rede über
die auswärtige Politik vor den Reichstag traten.
Bethmann Hollweg aber hat in solche» Fällen bloß
seine ganz großen zehn Bierminuten!
 
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