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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 30.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.7671#0010
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Wintersonne.

■• 7766

R. Hannich


Wi£.M

SilDeftcrlied.

Nun leert die Gläfer, eins, zroei, drei:

Ein fahr ift wiederum vorbei.

Ein Harles roar’s, ein schlimmes.

Ein schweres fahr der schweren Not.

Diel Worte gab’s und wenig Brot,

Dies fahr des Hohns und Grimmes.

Doch dah ihr mir beim flbkdiiedskett
Nun nicht das wichtigste vergeht:

Es brach ein Block zusammen.

Das >ahr wird ewiglich bestehn
flis lahr der roten 110,

Diel Herzen bradjt’s zum flammen.

Nun füllt die Gläfer, wann für Wann
Und hebt sie hoch und stoht drauf an,

Dah es von DoiKsgewittern
fluch in dem neuen fahre braust!

Und zeigt die fault, die flrbeitskaust
Den heiligen und Rittern!

Ein Silvester-Abenteuer.

Sumoreske.

Der Kalender zeigte den 31. Dezember.

Fleischermeister Waldemar Pachulke warf
sich in Gala. Er versuchte, seinen schwarzen
Feiertagsrock anzuziehen und fand, daß es bei
jedem Male schwerer ging: denn das Ränz-
lein, das er umschließen sollte, wurde von Tag
zn Tag runder und strammer.

Er rief seine Frau herein, ihm zu helfen.

Sie hatte eingehend das Modenblatt studiert
und war daher nicht sehr in der Stimmung,
auf seine Nöte einzngehen.

„Ich muß mir nächstens einen neuen Braten-
rock bauen lassen. Man ist das seiner Wurde
schuldig."

„Nanu?" replizierte sie. „Und was biste dann
meiner Würde schuldig, he? Wer hatte mir
zu Weihnachten einen Hermelinshawl zu drei-
tausend Mark versprochen? Und wer hat mir
eine» aus Katzenfell geschenkt?"

„Rede nicht von Katzen," bat er gequält. „Ich
muß dann immer an die Markthallengeschichte
denken."

Und er betrachtete wehmütig die Narben
auf Nase und Stirn, die er damals davon-
getragen, als er den Arbeiterfrauen statt billigen
russischen Fleisches den Rat gegeben hatte,
Hunde und Katzen zu fressen. Er spürte bei
der Erinnerung daran noch den Hagel von
Hieben, der auf ihn herniedergeprasselt war,
und die Narben juckten dann immer.

Er bekämpfte daher mannhaft die schmerz-
liche Erinnerung und beharrte: „Gleich morgen

gehe ich zum Schneider. Was sagen sonst die
Vereinsbrüder?"

Waldemar Pachulke war Vorsitzender des
Kegelklubs „Gut Holz, Wedding", der aus den
wohlhabenden Handwerksmeistern der Gegend
bestand, und er hatte Aussicht, auch im Krieger-
verein einen Posten im Vorstand zu bekommen.
Heute hielt er im Klub die Silvester-Festrede.

„Ja ja, Waldemar," sagte seine Frau, jetzt
gänzlich besänftigt, und blickte ihren Gemahl
stolz a». „Kannste denn deine Rede auch noch?"

„Das will ich meinen."

„Du sprichst ivie ein Reichstagsabgeordneter,
Waldemar." ■

„Nun, was nicht ist, kann ja noch werden."

Und er verließ das Haus, hoch anfgerichtet,
im dicken Gehpelz, eine stattliche Erscheinung.
Die Jmportzigarre qualmte aus der dicken
Bernsteinspitze.

Er ging langsam und behaglich durch die
winterlichen Straßen. Die Laternen flackerten
und leuchteten trüb durch den Schnee. Am
Weg war eine Menge Männer in ärmlichen
Kitteln damit beschäftigt, den Schnee auf Wagen
zu laden und die Geleise frei zu machen.

Pachulke schielte mißtrauisch zu ihnen hin.
War unter ihnen nicht der eine oder andere
Feind aus der Markthallenschlacht? Es wurde
ihm unheimlich zumute.

Er beschloß, lieber in einem Lokal einzu-
kehren, sich etwas zu stärken und den Rest des
Weges zum Vereinslokal per Auto zu fahren.
Er liebte durchaus nicht die Anstrengung.

ES war kein erstklassiges Lokal und auf so
vornehmen Besuch kaum eingerichtet. Der
bestellte Braten dauerte eine Ewigkeit und
Pachulke mußte die Wartezeit mit Bier und
etlichen Cognacs ausfüllen.

Waffenstillstand. A.nebigcr

Der Aöchstkolmnandtereiide: Das Ganze hall!

Inzwischen memorierte er seine Rede. Be-
sonders stolz war er auf die Stelle: „Wenn
diese Gesellschaft durchaus argentinischesFlei sch
essen will, soll sie nach Argentinien gehen und
ivir wollen sie gern in Gefrierkäste» legen, da-
mit sie trichinenfrei ankommt." Er hörte in>
Geist schon das Hallo der Zuhörer und die
begeisterten Hochrufe ans seinen geistreichen
Witz. Er sollte die Rede eigentlich drucken
lassen —

Der Braten kam, aber er war durchaus nicht
nach dem Geschmack des verwöhnten Fleischer-
meisters.

Dazu kam, daß sich an dem Nebentisch ein
unangenehmer Kerl festgesetzt hatte, der ihn
beständig anfeixte und anblinzelte und nicht
geeignet war, seine Laune zn verbessern.

Er schoß dem Fremden, in deni er in schnell
erwachtem Mißtrauen einen Attentäter sah,
wütende Blicke zu und ließ seinen Zorn an
dem Kellner aus, indem er weidlich über das
Essen schimpfte.

„Nicht wahr," sagte sei» Nachbar, anscheinend
voll Teilnahme, „es ist ein Hundefraß?"

„Ich habe Sie nicht gefragt," schnaubte
Pachulke.

Der Andere tat eine» Zug aus seinem Glase
und fuhr listig lächelnd fort: „Vielleicht hat
sich der Wirt nach Ihrem Wunsch gerichtet
und Hundefleisch verarbeitet, Herr Pachulke."

Der Fleischermeister war starr, bei Namen
genannt zu werden. Aber jetzt erkannte er den
frechen Gesellen: es war einer seiner früheren
Mieter aus dem Hinterhaus, dein er einmal
gekündigt hatte, weit er sich unterstanden hatte,
andere Zeitungen zn halten, als er, Pachulke,
in seinem Hause bitlöete. Leider hatte es das
Gesetz nicht erlaubt, ihn kurzer Hand zu ex-
mittieren . . .

Sein Hals schwoll ihm vor Wut. Auch
seine Narben glühte».

Der andere stichelte weiter: „Vielleicht ist
es gar von Ihrem Nero, Herr Pachulke?"

Der Fleischermeister fuhr empor, wie von
einer Viper gestöcken.

Einer seiner wundesten Punkte war getroffen.
Nero, sein Hund, die fetteste, bestgepflegte
Dogge vom ganzen Berliner Norden, war kurz
nach jener Markthallenschlacht verschwunden.
Statt ihrer kam ein Zettel ins Hans geflogen,
ivorin der Absender den fetten Brate» lobte
und sich höhnisch entschuldigte, daß er ihn
nicht Pachulke zum Schlachten überlassen hätte.

„Wenn Sie noch ein Wort reden, schlage
ich Sie zu Mus," brüllte er seinen Nach-
bar an.

Die anderen Gäste wurden unruhig und
aufmerksam. Einige beschwerten sich. Der Kell-
 
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