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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 30.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.7671#0014
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7770

Es drängten um den Kanzler
Des Reiches Boten sich,

Und er erhob vom Sessel
Eich ernst und feierlich;

Die europä'sche Lage
Enthüllt und tat er kund —

Das Weltall lauschte bebend
Und hing an seinem Mund.

„Nach meiner Aktenkenntnis",
Sprach er, als alles schwieg,
„Nach meiner Aktenkenntnis
herrscht auf dem Balkan Krieg.
Nicht ziemt's, an diesem Faktum
Zu deuteln noch zu drehn —
Doch fragt sich's, welche Folgen
Daraus für uns entstehn.

Der Philosoph. es*

„Wenn Serben und Bulgaren
Verhau'n den Muselmann,

So geht uns das wahrhaftig
Nicht das Geringste an;

Int'ressen zu verfechten
Sind dorten keinerlei:

Der Balkan ist uns schnuppe
Und piepe die Türkei.

„Doch, wenn dem lieben Öst'reich
Zu heftig juckt das Fell,

Tritt Deutschland ihm zur Seite
Als Freund und Spießgesell;

Die alte Bundestreue
Bleibt unversehrt und heil,

Und von des Freundes Prügel
Gebührt auch uns ein Teil.

„Der Vorteil dieser Lage
Wird freudig anerkannt
Von jedermann — das hoff' ich
Im deutschen Vaterland;

Drum bitt' ich, meine Äerren,
Vertrau'n auch ferner Sie
Dem lieben Gott und meinem
Politischen Genie!

„Was weiter jetzt geschehen
Und sich entwickeln mag,

Dies, hochverehrte Lecren,

Liegt noch nicht klar zu Tag;
Doch eins darf ich behaupten
Mit fester Zuversicht:

Entweder bleibt der Friede
Erhalten, oder nicht!"

Er sprach's und in den Sessel
Sank er erschöpft zurück.

Ein überirdisch' Leuchten
Verklärt' den Seherblick;

Und tiefes Schweigen herrschte
Iin Lause ringsherum:

Vor solcher Weisheit Fülle
Ward jede Lippe stumm.

Doch Jauchzen schallt und Jubel
Im ganzen deutschen Land:
Gottlob, des Reiches Schicksal
Ruht in bewährter Land!

Kein Gegner kann uns schrecken.
Kein Lindernis uns dräu'n:

Mit diesem Kanzler rennen
Wir alle Wände ein!

Arminius.

o o o

In Gera.

Ter Minister: Also, Herr Gehrimrat, Sie
bringen den Entwurf unseres neuen Wahlrechts?

Der Geh ei in rat: Jawohl, Exzellenz!

Minister: Haben Sie die russische Duma znm
Vorbild genommen?

Geh ei in rat: O, wir sind weit darüber hinaus»
gegangen.

Minister: Also haben Sie es gar dem preu-
ßischen Wahlrecht nachgcahmt?

Gcheimrät: Ich schmeichle mir, daß wir darum
von Preußen selber beneidet werden.

Minister: Donnerwetter! Da sind Sic ja ein
Tausendsassa. Nun — schießen Sie los.

Gcheimrät (winkt einem Dienstmann, der auf bei-
den Armen einen riesigen Folianten heranschleppt).

Minister: Was ist denn das?

Geheimrat (strahlen,): Das neue Wahlgesetz.

Minister (entsetzt): Und das wollen Sie mir vor-
lesen?

Gcheimrät: Keineswegs, Exzellenz. Das mögen
die Wähler lesen, wenn sie mögen. Der Damm gegen
den Umsturz kann gar nicht hoch genug sein.
^Minister: Ach so, ich verstehe. Nun erzählen
Sie mal was von den Hauptbestimmnngen.

Gcheimrät: Die Wähler bekommen verschiedene
Stimmen.

Minister: Das ist doch nichts Neues?

Gcheimrät: Ja, aber wir haben fünfundzwanzig
Abstnfnngen.

Minister: Famos! Darin hätten wir also den
Rekord.

Geheim rat: Die Abstufungen finden nach ver-
s hiedenen Gesichtspunkten statt; mit der Höhe des
persönliche» Fleischkonsums, des Wein- und Sckt-
verbrauchs, mit dem Nachweis teurer Reisen nach
St. Moritz und der Riviera — kurz, mit dem Nach-
weis höherer Lebensansprüche steigt die Stinunen-
zahl des Wählers.

Minister: Natürlich, natürlich. Und die höchste
Stimmcnzahl hat wer?

Gcheimrät: Jeder, der dem fürstlichen Hofe
nahesteht.

Minister: Tadellos, mein Lieber! Und die Ar-
beiter, die in unserer Residenz wohnen?

Gcheimrät: Auf sie fällt pro hundert Mann
eine Stimme. Die Gerechtigkeit verbietet, sic ganz
zu entrechten.

Minister: Sehr richtig! Gerechtigkeit muß sein!
llustikin kuncknrnsntum regnorum. . . .

Geheimrat! Die geheime Wahl haben wir bci-
behalten.

Minister: Sie sind wohl verrückt? Geheime
Wahl? Und Sie wollen Preußen übcrprcnße»??

Geheimrat (ltsttg lächelnd): Osfiziell mußte»
wir das. Wir haben aber einige — sagen wir:
„Schntzmaßrcgcln" gegen dies Wahlgeheimnis er-
griffe». Die Stimmzettel müssen in amtlich ge-
stempeltem Umschlag abgegeben werden, der bla»,
gelb, grün, schwarz oder rot ist. Wer rot wählt,
muß einen roten Umschlag benützen, wer agrarisch
ist, eisten grüne», wer für Arbeitswllligenschutzgcsetze
ist, einen gelben »sw.

Minister: Das ist nur logisch. Dagegen kann
man doch eigentlich gar nichts einwenden!!

Geheimrat: Als Wahlurne dient ein Glas-
kasten.

Minister: Bravo! Wir mieten für den Wahltag
alle Aquarien, und ersparen so viele Unkosten.

Der neueste Mummenschanz.

Matthias Erzberger bemüht sich nach Kräfte», den
bevorstehenden Fasching würdig einzuletten.

Gcheimrät: Wenn Eure Exzellenz das Gesetz
dnrchbringcn, werden Sic der Bismarck von Neuß!

Minister: Und unser Fürst der „Zar" aller
Reußen. ...

Glückauf!

Die Nccklinghäuser Zeitung schrieb, datz vergwerksarbcii
besonders für Lungenkranke sehr gesund sei.

Mensch, wenn du gesunden willst,

Ist es nicht vonnöten,

Daß du dein verlangen stillst
Mit 'nem Sack Moneten.

Schon' die Börse! Sei nicht dumm,

Laß das cw'ge Blechen —

Geh ins Sanatorium
Unsrer Uohlenzechen!

(D, da bist du fein heraus.

Venn zum wundervollen
prächtigen Erholungshaus
Wird ein jeder Stollen;

Ja, du bleibst dort lang und gern.
Frage nur Iherrn Thyssen,

Frage jeden Grubenherrn —

Und die müssen's wissen!

Zwei, die „heimkehren".

Mitternacht war's am Balkan; und zwischen
all den Leichenhaufen und Brandstätten gab's keiner-
lei Mordarbeit mehr zu verrichten. „Hungersnot"
und „Seuche", die beide» erprobten Helferinnen des
„heiligen Krieges", reichtcn sich znm lctztcn Male
die Hand und nahmen Abschied voneinander.

„Ich muß nach Asien znrückkehren!" so kreischte
die Seuche ärgerlich: „Denn aus den Kulturstaatcn
Europas bin ich ja leider so gut wie hinansgcworfcn!"

„Hm! Mit mir ist's grade nmgcdreht; ich bin dort
wie zu Hanse und Hab' höllisch viel zu tun!" knurrte
die Hungersnot, die cs lebhaft zu bedauern schien,
daß „man" sich wieder trennen mußte. Sie philo-
sophierte: „Wie schön war's doch früher im Mittcl-
alter! Da konnten wir zwei uns stets so bequem in
die Hand arbeiten. Heute? Ach, du lieber Satan!
Wenn heute unser Freund und Verbündeter ,Krieg'
nicht so scharf ans dem Posten wäre, käm's über-
haupt nicht mehr zu gemeinschaftlichm Aktionen!"

„Beruhige dich nur! Der,Krieg' ist stets aus dem
Posten!" grinste die Seuche und meinte dann knixend:
„In diesem Sinne also ... aus Wiedersehen!"
 
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