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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 30.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.7671#0016
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7772

Österreich.

„Herr Leutnant, jetzt wird das Vaterland Sie bald berufen."

„Wie meinen Sie das? Mein Vater war Ungar, meine Mutter Polin und in Tirol bin ich ge-
boren — —!"

„Sie müssen das .Vaterland' größer ansfasscn: cs ist das Hans Habsbnrg."

Hamborg b. St. Pauli,
im Dezember.
Werte Redakschon!
Von dem, was so
einpopulchrerFliegen-
ivirt heute auszustehen
hat, davon macht man
sich in den Ufergelän-
den des NeesenbachS
nicht den schwächste»
Begriff und folgedessen
ästimiere ich mich auch
entschuldigt über die
nnfein dnrchgearbeitete Stielistigk meines Brie-
fes, wo in bewegten Zeitläuften geschrieben
lvird.

Nämlich wir haben abermals unsere Suf-
feräns zu wählen und uns als freie Borger
unsere Despoten zu geben. Aber sehr gemäßigt,
>vie ich befürworten möchte. Denn nämlich es
wählt nur die eine Hälfte von Stadt und Staat,
nitd die auch nur soso und mit Schikanen, und
schließlich haben die gewählten Sufferüns in
unserer freien Republik auch nix to seggen, in-
dem sie klassenmäßig geschieden und auf ver-
schiedene Seiten berufen sind und der hoch-
preisliche Senat jümmers noch eine Seite findet,
wo er seinen Stützpunkt hat. Doch dieses ist

melancholisch, was sich keineswegs mit meine
Lebensauffassung verträgt.

Also will ich einen fröhlichen Blick in die
Zukunft schmeißen, und dieser verspricht mir
-viel Spaß. Indem nämlich die Bürgerlichen
schon nett dabei sind, sich gegenseitig als die
bösesten Brüder auszugröhle», worin ich mit
ihnen vollkommen übereinstimme. Denn wenn
die geehrte Redakschon etwas vom Proportscho-
nalivahlrecht versteht und erduldet hat, so kennt
sie den Schmerz. Nämlich da geht es nicht so,
daß der Kandidat sagt, nun wählen Sie, hoch-
geehrter Borger, gefälligst die Liste, auf der
mein hochachtbarer Name steht, sondern der
Kandidat muß die Wähler dafür begeistern,
daß sie auf der Parteiliste alle anderen Namen
streichen und ihm allein ihre sämtlichen zivölf
Stimmen geben. Wobei der Verrat an der
Freundschaft und an dem gemeinsamen Pro-
gramm, dahingegen die Strebsamkeit zum
rechten Vorschein kommt. Denn jedwedereiner
nicint, daß er der richtige Sufferän von die
freie und Hamsterstadt sein könne.

Dieses war in früheren Jahrzehnten besser,
indem da nämlich keine Parteiunterschiede nicht
mitspielten, sondern die persönlichen Gaben
allein in Betracht kamen. Und diese würdigte
ein emeritierter Schneidermeister, der in seine!»

Geschäft hopla gegangen war, weil er durch
zu vielen Alkoholgenuß einen zittrigen Schnitt
erivorben hatte und seine Kunden also sehr
zickzack aussahen und nicht inehr kamen. Wes-
ivegen der Schneider sich nach anderer Be-
tätigung umsehen mußte und anstatt Hosen
Sufferäne machte. Nämlich er gung vor der
Wahlzeit das Adreßbuch durch, suchte sich die
zahlungsfähigen Streber heraus und sprach
zu diesen: „Wenn Sie hundert Taler bezahlen,
dann kantertiere ich Ihnen im Bezirk!" Worauf
die Frau hinzukam und ehrgeizig zuredete und
das Geschäft gemacht wurde und der Mann
für hundert Taler knnnertierte und seinen
Lebenslauf erzählte und Sufferän wurde und
ein großes Licht und verehrt von seinem Be-
zirksbürgerverein, ivo vorher gar nicht ge-
morken, welches große Licht ungesehen in seiner
Mitte geflammt hatte. Denn dieser Schneider
war ein Ehrenmann und sorgte dafür, daß
jeder in die Bürgerschaft kam, der seine hundert
Taler abgeladen hatte.

Dahingegen ist es jetzt ein Schachern und
ein Prachern, daß es den Hund jammert, ivo-
mit ich aber keinen Witz über den vereinigt-
liberalen Schutzmann Hund machen >vill, der
auch kannertiert als Gegengeivicht gegen den
konservativen Pplizeiwachtineister, ivo schon
Sufferän ist und nach der Disziplin handelt
und stimmt.

Doch dieses konnte mir gleichgültig sein,
denn was geht es mich an, ivenn sie auf der
Wache sich streiten. Jedoch ivill ich die ivcrte
Redakschon davon unterrichten, daß unsere ge-
liebte freie Republik bannig sortschreitet zum
Ziel der allgemeinen Volksverpolizeierung.
Denn dieses ist anderswo in den unterdrückten
monarchischen Sklavcnländern doch noch nicht
gewesen, daß man die entschieden liberalen
Prinzipien von einem sufferäne» Schutzmann
verfechten läßt.

Darüber bin ich nämlich rabiat geworden
und schließe demgemäß mit einem Schlummer-
grog Ihr Claus Swartmuul,

Fliegenwirt und Pessimist.

Kriegsbegeisterung und kalte Dusche.

Im selben Verhältnis etwa, wie die europäische Po-
litik von Zeit zu Zeit stark „alkoholisch" wurde, geschah
ein Gleiches auch mit der Persönlichkeit des Bäckermei-
sters Klapptcich am Stammtisch zum „Blauen Adler".

Frau Ludmilla Klappteich sah cs sich vierzehn Tage
lang scheinbar ruhig mit an, daß ihr teurer Gatte
stets in einem Zustand heimkehrte, der sich als „kriegs-
mäßig vollgeladen" erwies; und zwar halb mit Po-
litik, halb mit Bier. Schließlich aber riß bei ihr
der Geduldsfaden.

„Die europäische Lage hupp! — steht auf sehr

schwachen Füßen und — hupp! — na, ja!" so un-
gefähr versuchte Herr Klappteich grade wieder mal
die etwas bedenkliche Tatsache zu erkläre», daß es
schon weit über Mitternacht war.

Leider aber heimste er zunächst bloß die hohnvolle
Antwort ein: „Stimmt! Du bist ja selbst der beste
Beweis hiersür!"

„Ludmilla ...!" Klappteich reckte sich, so gut wie's
gehen wollte, und spielte alsdann seinen Slammtisch-
trumpf ans: „Eine Schicksalsstnnde zieht auf, Lud-
milla, und die ersten Sturmvögel sind bereits da!"

„Wkiß ich!" klang es prompt zurück: „Jeder von
euch Sausbrüdern hat seit vierzehn Tagen schon einen
davon im Koppe. Ockergelb sind sic und piepen!"

„Ludni. . .!"

„Und hiermit konfiszier' ich bei dir ganz einfach
den Schlüssel zur europäischen Gesnuitlage; ver-
standen?"

Bäckermeister Klapptcich sagte jetzt gar nichts mehr.
Denn er hat bei der Garde gedient und hat Diszi-
plin im Leibe.
 
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