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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 30.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.7671#0017
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Regierungskünste.

AJ. Engert

Beiläufig.

Auf den Schlachtfeldern von Dort Artbur und Mulden
sind Kunstdüngerfabriken errichtet, die die Knochen aus
den Massengräbern der Opfer des Russisch-Japanischen
Krieges verarbeiten.

Scho» klopft der erste General
— Abzeichen: goldbestickter Kragen -
Ans Glas im festlich Hellen Saal.

Man weiß, er hat etwas zu sagen.

Dann spricht der exzellente Mund
Manch mannhaft Wort vom nahen Kriege;
Die Völker mache er gesund
Und stark. Besonders wenn man siege.

Mit weichem Friedensphrasenbrei
Soll man gefälligst ihn verschone»;

Daß er noch kampfesfreudig sei —
Nachdrücklich wolle er's betonen!

„Des Vaterlandes Große winkt.

Wo schußumbrüllte Fahnen wehen.

Und wen» auch manches Opfer sinkt —

Die übrig bleiben, wcrden's sehen!"

Und seine Exzellenz hat recht.

Das sehen wir in Asiens Osten.

Dort kämpfte man doch auch nicht schlecht.
Und beide ließe» sich's was kosten.

Und doch: welch reicher Segen quillt
Aus jenem nicht so spröden Boden!

Wie manches Sehne» wird gestillt
Weithin bis zu den Antipoden!

Die dort zerschossen sanken hin.

Aus ihren Schädeln, Schenkeln, Kiefern
Steigt heut ein glänzender Gewinn.
Kunstdünger ist es, was sie liefern.

Und mau verdient daran enorm!

So mancher Muschik, der dort ruhte.

Kommt jetzt in feiner Pulverform
Erst seinem Lande voll zugute.

Zeh meine doch: dies Beispiel zeigt.

Wie wahr die Exzellenz gesprochen.

Ihr dummen Friedcnsaffen schweigt!

Ihr denkt wohl gar nicht an die
Knochen?

Reformen

im Berliner Polizeidiensk.

In einem Berliner Cafe erkannte
ein Herr einen Einbrecher wieder,
der vor kurzem seiner Wohnung einen
Besuch abgestattet hatte, dabei aber
überrascht worden und entflohen
war. Der Herr telephonierte an die
Kriminalpolizei, daß der gesuchte Ver-
brecher sich i» dem Cafö befinde, und

erhielt die Antwort: „Der Beamte, der die Sache
bearbeitet, ist heute nicht hier, verfolgen Sie doch
den Mann selbst!" Dieses lat der Herr, erfolgte
dem Einbrecher bis zur Behrenstraße, wo er
einen an der Ecke postierten Schutzmann bat, die
Persönlichkeit des Verbrechers festzustellen. Der
Schutzmann aber entgegnete: „Ich kann hier
nicht von meinem Fleck weg, sagen Sie es mei-
nem Kollegen an der nächsten Ecke." Bis dieses
geschehen konnte, war der Verbrecher leider
entflohen.

Das Verhalten der Polizeibeamten ist ge-
eignet, selbst den mißgünstigste» Nörglern Be-
wunderung abzunötigen. Legt es doch Zeugnis
ab von der bei der Berliner Sicherheitsbehörde
herrschenden musterhaften Disziplin und einem
echt preußischen Ordnungssinn. Der im Dienste
Jagoivs stehende Beamte läßt lieber eine» Ein-
brecher entwischen, als daß er den ihm im
Straßendienst angewiesenen Posten im Stiche
läßt oder es gar im Bureaudienst zu einer
Störung kommen läßt.

Trotz der großen Erfolge, die die Berliner
Polizei diesen ihren vortreffliche» Prinzipien
verdankt, ist der Chef der Behörde, Herrv.Ja-
gow, unentwegt bemüht, die Leistungsfähigkeit
seiner Beamten zu immer noch höherer Voll-
kommenheit zu entwickeln. Er hat zu diesem
Zweck, ivie wir aus sicherer Quelle erfahren,
soeben wieder folgende neue Dienstvorschriften
ausgearbeitet, die demnächst in Kraft treten
sollen und von seiner streng kirchlichen Ge-
sinnung ein beredtes Zeugnis ablegen.

§ 1. Um meinen Beamten einen regelmäßigen
ungestörten Kirchenbesuch zu ermöglichen, ver-
ordne ich, daß zukünftig während des Gottes-

dienstes an allen Sonn- und Festtagen sämt-
liche Bureaus der Polizei geschlossen bleiben
und jede amtliche Tätigkeit der Sicherheils-
behörde einzustellen ist. In Übereinstimmung
mit dieser Verordnung werden die Einwohner
Berlins angciviesen, die Entdeckung und An-
zeige von etwa begangenen Mordtaten, Ein-
brüchen, Sittlichkeits- und anderen Delikten
während dieser Stunden zu unterlassen, be-
ziehungsweise stelle ich ihnen anheim, die Ver-
folgung der Verbrecher selber auszuführen,
inache sie aber zugleich darauf aufmerksam,
daß ich jede dadurch etwa verursachte Störung
der Sonntagsruhe auf das nachdrücklichste be-
strafen werde.

§2. Ich verordne, daß von jetzt ab die amt-
liche Bearbeitung der Kriminalfälle in alphabe-
tischer Reihenfolge vorgenommen wird. Diese
Verordnung ist so zu verstehen, daß zum Bei-
spiel der Raubmörder Bemeyer nicht früher
verfolgt werden darf, als bis der Einbrecher
Ameyer verhaftet worden ist. Sollte der Name
des betreffende» Verbrechers noch nicht bekannt
sein, so tritt die amtliche Bearbeitung deZ
Falles erst dann ei», wenn die Interessenten,
das heißt die durch den Einbruch Geschädigten
beziehungsweise der durch den Raubmord zu
Tode Gekommene oder dessen notariell be-
glaubigter Bevollmächtigter den Namen und
die Wohnung des Täters eruiert habe».

§ 3. Die im Straßendienst beschäftigten Be-
amten haben ans eine bessere militärifche Hal-
tungzuachten. Namentlich iverden die Kriminal-
schutzleute darauf aufmerksam gemacht, daß sie
bei der Verfolgung eines Verbrechers nicht wie
die Zivilisten zu laufen, sondern sich im be-
schleunigten Paradeschritt vorwärts
zu bewegen habe».

8 4. Selbstverständlich sind die vor-
nehmeren Bevölkerungsklassen be-
rechtigt, höhere Ansprüche an die
Tätigkeit meiner Beamten zu stellen,
als die niederen. Danach habe» die
Vorgesetzten darauf zu achten, daß
für die durch Parade» notwendig
werdenden Absperrungen, sowie für
die Beobachtung von Streikposten
usw. das auserlesenste Beamtenma-
terial jederzeit verfügbar ist. Den»
der Dienst des Kaisers und der Dienst
der Arbeitswilligen geht allen an-
deren Diensten vor.

8 6. Ich erwarte, daß die gesamte
Bevölkerung der Reichshauptstadt,
insonderheit aber die Berliner Ver-
brecherwelt, sich von den Segnungen
meiner neuen Verordnungen binnen
kurzem überzeugt haben wird. Leo.
 
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