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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 30.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.7671#0022
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• • 7778

Nationalliberales Bittgesuch.

Ich hab's getragen fast ein Jahr
Und trag's nicht länger mehr,
Das Leben, das so lustig war,
Erscheint mir trüb und leer,
Seitdem beim Neichsfinanzenflreit
Ich unglücksel'ger Tor
Durch freche Unbotmäßigkeit
Des Junkers Gunst verlor.

Ruf eignen Füßen wollt' ich gehn
Nur eine kurze Frist,

Und muß nun jammernd eingestehn,
Daß dies unmöglich ist;

Es wich der Trotz, die Hoffart schmolz,
Trotz Schiffer und Bassermann,

Ich mimte freien Vürgerstolz,

Und kam beim Lumpen an.

Drum kehre reuevoll zurück
Ich armes, schwaches Tier
Und flehe mit gesenktem Blick:

(!) Herr, verzeihe mir!
lv Junker, sieh die Tränen mein,
Die ich um dich vergoß,

Und reihe mich als letzten ein
In deiner Unechte Troß!

Wenn du, o Herr, mit gnäd'gem Sinn
Die Bitte mir erfüllst,

So nehm' ich jeden Fußtritt hin
Und küss' dich, wo du willst,

Ich schlag' mit Überzeugung auch
Mir selber ins Gesicht

Und rutsch'zeitlebens auf dem Bauch-

Nur grolle länger nicht!

Nepomuk.

Minna Uautskp.

Km IO.Dezsmber 1912 starb in Friedenau bei Berlin unsere
Genossin Minna Rautsky im Klter von 75 Jahren. Sie war eine
der wenigen Schriftstellerinnen, die ihre Feder in den Dienst des
arbeitenden Volkes stellte. Unter dem Einfluß ihres Sohnes
Karl trat sie dem Sozialismus näher; die Begeisterung für die
einmal gewonnene Überzeugung hat dann ihr geistiges Schaf-
fen mächtig angeregt. Ihre Romane „Stefan vom Grillenhof",
„Die Ulten und die Neuen", „herrschen oder Dienen", „Im
Vaterhause", „Helene", „Viktoria" und viele kleinere Er-
zählungen haben eine weite Verbreitung gefunden und na-
mentlich auch aus viele Frauen und Mädchen überzeugend
gewirkt. Hn ihrem Lebensabend hatte sie die Freude, die Be-
wegung, der sie mit ihrem ganzen Kerzen diente, von Erfolg
zu Erfolg schreiten zu sehen. Sie hat sich die dankbare 5ln-
arkennung vieler Tausende Proletarier erworben, denen ihre
Dichtungen genußreiche und anregende Stunden bereitet haben.

Balkan-Gedanken.

Dcr Spruch: Wenn die Könige bauen, haben die
Kärrner zu tun, hat sich int Balkankrieg wieder glän-
zend bewahrheitet. Indem die vier Könige ihren
Ruhmestcnipcl anfbauten, hatten die Kärrner Tag
und Nacht zu tun, Lcichenhaufen zusammenzukarren.

„Die Christen haben sich in dem Kreuzzug gegen
den Halbmond wie die Türken benommen," klagte
ein Augenzeuge der Greuel in Albanien und Maze-
donien.

„Das konnten ihnen die Türken nicht nachmachen,
obwohl sie sich die größte Mühe gaben, wie die
Christen zu hausen," fügte ein Augenzeuge der Greuel
in Rumelien hinzu. »

Der Hunger und seine Cousine, die Cholera,
stritten sich neulich, wessen Macht, menschliches Glück
zu vernichten, größer sei. Ein Priester hörte im Vor-
beigehen den Streit und sagte verächtlich: wie ein-
gebildet doch heutzutage das niedere Gesinde ist!

Bei dem Streit um den serbischen Adriahafen
hatte unser österreichischer Bundesbruder erwartet,
daß wir ihm mit den Knochen des bekannten pom-
merschen Grenadiers unter die Arme greifen wür-
den. Das ging schon deshalb nicht, weil die hei-
mische Gutshcrrschast besagte Grenadierknochen für
ihre eigene Knochenmühle reklaniiert. M

Vom Studentenstreik.

Herrn canä. jur. Lichtenhainer in Jena.

Verehrter Kommilitone! Sie machen sich über uns
Hallenser lustig, weil wir in Streik getreten sind,
und erklären, solch ein proletcnhaftcs Unternehmen
sei natürlich nur unter Medizinern denkbar, denen
die standesgemäße Lebensauffassung nicht so in Fleisch
und Blut übergegangen sei wie den Kommilitonen
von Ihrer Fakultät. Die Juristen, sagen Sie, wür-
den niemals in die Versuchung geraten können, einen
Streik zu proklamieren, weil sie überhaupt nicht die
plebejische Gewohnheit hätten, zu arbeiten und Kol-
legs zu besuchen. In diesem letzteren Punkte haben
Sie vollkommen Recht, nicht aber in der abfälligen
Beurteilung unseres Vorgehens. Denn die Maß-
regcln, die wir getroffen haben, unterscheiden sich
sehr wesentlich von der Art und Weise, wie banau-
sische Arbeiterorganisationen ihre sogenannten Streiks
durchzuführen pflegen.

Zunächst haben wir davon Abstand genommen,
eine Streikkasse zu gründen. Eine solche hätte uns
zwar nützliche Dienste leisten können, aber da die
Arbeitseinstellung am Monatsende proklamiert wor-
den ist, befand sich keiner der ausständigen Herren
Kommilitonen mehr im Besitze irgendwelcher Geld-
mittel, und der Versuch, einen größeren Pump bei
den hiesigen Kellnerinnen anzulegen, scheiterte an
dem Umstand, daß das Semester schon zu weit vor-
geschritten war und alle bereits kahl gepumpt waren.

Die Aufstellung von Streikposten ließ sich ans
praktischen Gründen nicht umgehen, aber sie hatte
mit der proletarischen Institution gleichen Namens
nicht das mindeste zu tun. Vielmehr wurde die
Sache in der Art befummelt, daß die schneidigsten
Mitglieder der hiesigen sarbentragenden Verbindungen
vor dem Eingang zur Universität einen „Renommier-
bummel" veranstalteten und jegliches Gebein an-
rempelten und ankontrahierten, das den Versuch
machte, den Streik zu brechen. Dadurch hielten wir
uns zugleich die Behörden vom Halse. Denn, wie
Sie wisse», wird zwar das Streikpostenstchen von der

Polizei nicht geduldet, das Anrempeln und Ankon-
trahieren auf der Straße gilt aber als eine berech-
tigte studentische Gewohnheit und wehe dem Polypen,
der es gewagt hätte, uns darin zu stören!

Während des Frühschoppens mußte das Streik-
postenstehen natürlich unterbrochen werden, da die
Bcrufspflichten auf dcr Kneipe nicht versäumt wer-
de» durste». So schlich sich in diesen Stunden leider
regelmäßig eine Anzahl Streikbrecher in die medi-
zinischen Hörsäle ein, gegen die dann notgedrungen
schärfere Maßregeln ergriffen werden mußten. Die be-
treffenden Personen wurden abends in ihren Stamm-
lokalen ausgesucht und es wurden ihnen von den
Führern unserer Bewegung so lange „Bierjungen"
aufgesengt, bis sic steif unter dem Tische lagen und
am andern Tage nicht mehr fähig waren, als Arbeits-
willige zu fungieren.

Sie werden danach zngcben müssen, verehrter Koni-
itiilitone, daß dcr Streik bei uns in Halle durchaus
kommentmäßig gedeichselt worden ist und mit ordi-
nären proletarische» Arbeitseinstellungen, die ich eben-
so wie Sie als unerlaubt, staatsgcfährlich und polizei-
tvidrig ansehe, nicht die geringste Ähnlichkeit hatte.
Sollten Sie trotz meiner Aufklärungen bei Ihrer
beleidigenden Auffassung beharren, so gestatte ich
mir, Ihnen hiermit einen „dummen Jungen" aufzn-
brummen.

Mit studentischem Gruß Ihr ergebener

Goscnbcrgcr, cand. med.

Aus Sachsen.

Rn !S des Schulgesetz vergeachd
U» mausedod wie änne Ratze!

Se Hamm ä mächdge» Sums gcmachd.
Doch nu is alles for de Gatzc.

Wer unsre Liweralen gennd,

Dcr weetz, se sein de reenen Lämmchen.
Wenn eener uffen Fordschridd brennt.

So gehds ’» nur um blanke Emmchen.

Die sein noch nie zu weid gcgang.

Die bohrden niemals i» de Diese;

Wer gann das ooch von sic verlang.

Die nur vcrgabbd Gonservadicfe?

Bescheiden sehre war ihr Ziel —

Ihr Boom will nicht in Himmel wachsen;
Doch andre Mächde gam ins Schbiel,

Nach die gchd alles setz in Sachse».

Die wern so sachdchen mehr als gcck
U» falle» in ä frommes Zörnchcn,

Un der Minister, der Herr Beck

Aus Chemnitz, dudd noch in ihr Hörnchen.

Das Volk in Sachsen gennd de Fromm,

Un darum sah'S — des is noch's G»de! —
Das Unglick glar un dcidlich gomm
Un wunderd sich »ich 'ne Minude.

So Hamm se's Schulgesetz vcrgorkst
Un ganz im Stillen abgemorkst.

Gewinn nadierlich gann derbei
Rur die gelobde Glcriset!
 
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