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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 30.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.7671#0083
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7839


geschlossen. Zuerst im engeren Kreise, bald aber
trat er in Volksversammlungen öffentlich als
Redner auf. Er liefert einen Beweis für den
Satz, daß der Redner geboren wird. Von wem
hätte er das Reden lernen sollen? Es gab anch
damals in der Partei gute Rednerbegabungen,
aber die Redekunst, die er beherrschte, kam aus
keiner Schule. Die hatte er aus sich. Es gibt
viele Redner in der Partei, bei denen der auf-
merksame Hörer irgend ein Vorbild heraus-
merkt, aber sie sind nicht die wirksamsten. Die
rednerische Begabung ist das hervorstechendste
Merkmal an Schuhmeier gewesen. Alle seine
Reden, insbesondere die parlamentarischen, be-
reitete er immer sorgfältig vor. Das heißt, er-

lich schon vorüber. Da griff Pastor selbst ein.
Er wollte sich rechtfertigen. Nun aber kam
Schuhmeier in Saft und behandelte die Hose
nach allen Richtungen. Es war merkwürdig,
was er mit dieser Hose alles zu machen wußte.
Eine Viertelstunde lang erzitterte der Saal
unter dem dröhnenden Gelächter der Abge-
ordneten und Galerien, lind was für Schuh-
meier so charakteristisch war: sein Spott war
so gemütlich, daß Pastor selbst in das allge-
meine Gelächter mit einstimmte.

Er war ein durchaus origineller Redner.
Er war witzig, er war lustig — aber er war
auch sachkundig. Was Wunder, daß er einer
der beliebtesten Redner in Volksversammlungen

und beschimpften, sie hatten trotzdem alle im
Gemeinderat das Gefühl, daß Schuhmeier doch
der bessere Wiener sei.

Es ist kein Zweifel, daß Schuhmeier der po-
pulärste Sozialdemokrat in Wien war. So ge-
lang es ihm anch, einen neuen Wiener Wahl-
bezirk, der immer christlichsozial gewählt hatte,
bei den letzten Reichsratsmahlen zu erobern,
einen Wiener Landtagssitz zu erringen — kurz,
er war fast immer siegreich, wenigstens auf
Wiener Boden, und viel erfolgreiche Arbeit
konnte die Partei noch von ihm erwarten. Nun
ist er uns entrissen. Sonntag den 16. Februar
trugen wir ihn zu Grabe. Hunderttausende
nahmen an dem Begräbnis teil.



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Die letzte Ehrung.

ordnete das Material und die Reihenfolge.
Daß er sich je eine Rede niedergeschrieben hätte,
war ausgeschlossen. Und dann sprach er völlig
frei mit häufiger Anwendung der Mundart und
mit Einfällen, die der Moment gab. Darin
war er besonders glücklich. Zwischenrufe ini
Parlament, die ihm gemacht wurden, liebte er
sehr. Selten ließ er einen unbeachtet und oft
mußte es der Zwischenrufer bitter bereuen,
vorwitzig geivesen zu sein. In einer Militär-
debatte hatte ein regierungsfrommer polni-
scher Abgeordneter Pastor den Landesverteidi-
gungsminister gebeten, er solle dafür sorgen,
daß die Soldaten bei ihrer Entlassung aus
dem Dienste doch eine ordentliche Hose mit
nach Hause bekämen. Schuhmeier, der bald
nach ihm zu Worte kam — er hatte immer
das Ohr des Hauses —, machte sich über die
Genügsamkeit des Abgeordneten Pastor lustig.
Man lachte und die ganze Episode war eigent-

war. Im Parlament warf er sich besonders auf
die militärischen Dinge. Er wurde von der
Fraktion regelmäßig in den Wehrausschuß ge-
schickt und hat hier wie im Hause und auch
in den Delegationen als Redner in Heeres-
sachen auch die Anerkennung der militärischen
Fachmänner gefunden, die übrigens die Heeres-
verwaltung nach seinem Tode in ihren offiziellen
Blättern noch ausdrücklich ausgesprochen hat.

Die Wiener „Volkstribüne", ein Wochen-
blatt, hat er seit ihrer Begründung im Jahre
1892 redigiert. Von allen in Österreich be-
stehenden sozialdemokratischen Blättern hat sie
die größte Auflage. Auch als Redakteur hat
er sich bewährt. Es war ganz natürlich, daß,
sobald die Partei in die Lage kam, ein Ge-
meinderatsmandat zu erobern, sie ihn als Kan-
didaten ausslellte. Im Gemeinderat war er in
seinem Element. Der Wiener unter Wienern!
Und wenn sie ihn auch zeitweilig ausschlossen

Wir senkten ihn in die Grube unter den
Klängen des Trauermarsches aus der Götter-
dämmerung. In einem gelegentlichen Gespräch
hat er sich diesen Marsch an seinem Grabe ge-
wünscht. Denn dieser Mann aus tiefster prole-
tarischer Tiefe war ein leidenschaftlicher Lieb-
haber der Kunst, insbesondere des Theaters
und der Musik.

Das Andenken an ihn wird immer wieder
den einen großen und anfeuernden Gedanken
in uns wachrufenIm Volke, int arbeitenden,
duldenden, kämpfenden Volke liegen die tausend
und tausend Keime prachtvollster und cchtester
Begabung. Schuhmeier war einer der ivenigen,
die sich im Kampfe nach oben durchgerungen
haben. Tausende gehen unter. Arbeiten wir,
daß die Zeit bald komme, die es den tausend-
fach vorhandenen Individualitäten möglich
macht, ans Licht der Sonne, zur vollen Ent-
faltung zu kommen.
 
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