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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 30.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.7671#0084
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7840

Die Verlobung.

Deutschland hat Ruh -
Der Streit, der schon so lang getobt.
Ist aus: man hat sich jetzt verlobt!
Versöhnung gibt's im Nu —
Deutschland hat Ruh.

Deutschland hat Ruh —

Die grimmen übern» aus Welsenland,
Die gestern noch aus Rand und Band,
Schließen die Klappe z»» —

Deutschland hat Ruh.

Deutschland hat Ruh —

Manch Redncrschuabcl »vird gewctzt
Und täglich »vird uns vorgesetzt
Ei» höfisches Ragout —

Deutschland hat Ruh.

Deutschland hat Ruh.

Und Braunschweig kriegt 'ne Dynastie,
Und freut sich drob, es »veiß nicht, »vie.
Nun drückt uns gar kein Schuh - -
Deutschland, halt Ruh!!

Der Glaube.

Die Geschichte des Glaubens ist eine ganz
unglaubliche Geschichte.

Dabei ist der Glaube, »vas sein Wese» be-
trifft, das allereinfachste Ding von der Welt.
Seit Martin Luther »veis; ja jedes Kind, daß
der Glaube eine gewisse Zuversicht ist dessen,
»vas man nicht stehet und doch glaubet.

Damit stimmt auch völlig überein die vortreff-
liche Definition, die die Darmstädter gegeben
haben, nämlich: Nix geivisses »veis; mer net!

Also über die Sache selbst sind die höchsten
Autoritäten einig. Sie ist sonnenklar. Und doch
hat diese an sich so einfache Sache eine so un-
glaublich verivickelte Geschichte.

Das »velthistorische Schicksal des Glaubens
ist nämlich, daß er fortgesetzt verloren und
»viedergefuirden »verden muß.

Ja, der liebe Gott hat seine Last mit den
Mensche». Es ist schier zun» Verziveifeln. Seine
Zuchtrute kommt nicht zur Ruhe.

Kaum hat er dem einen Volk den verlorenen
Glauben »vieder eingebläut, so verliert ih»r
gleich das andere. Und kaum hat er dieses zur
Räson gebracht, dann hat das erste sei» köst-
lichstes Gut »vieder verschlampt.

So geht es schon durch die Jahrtausende hin.
Man denke nur an die alten Juden, ein zun»
Glauben hervorragend begabtes und darum
ja auch von Gott so bevorzugtes Volk. Als sie
aus Ägypten zogen, hatten sie noch ihren
Glauben. Sonst hätte der liebe Gott doch nicht
ihnen zuliebe den Pharao n»it allen seinen
Reisigen in» roten Meer ersäuft. In der Wüsle
verloren sie ihn aber bald, »vas ja bei dem
vielen Hin- und Herziehen erklärlich »var, aber
bei einiger Sorgfalt doch nicht hätte Vorkom-
men dürfen. Vierzig Jahre mußten sie dann
in der Wüste herumsuchen, bis sie ihn »viedcr-
fanden, »vorauf der liebe Gott ihnen znm Lohn
erlaubte, die Kananiter abzuschlachten. Bald
danach aber verloren die Juden ihren Glauben
von neuen», »vurden »vieder bestraft, fanden
ihn dann »vieder, »vurden belohnt, verloren
ihn »nieder, und so »veiter, und so weiter.

Und nicht anders hat es später das preußische
Volk gemacht, das doch, nachdem die Jltden
endgültig in Ungnade gefallen »varen,
zun, auserivählten Volkerhoben lvurde.

Es ist schlimm, sehr schlimm, daß selbst
dieses so offensichtlich von Gott bevor-
zugte Volk — man denke nur an seine
Edelsten der Nation, die ihm niemand
i» der Welt nachmacht! —

immer »vieder seinen Gla»»ben verliert »»»d erst
mit »veltgerichtlichen Rippenstößen dazu ge-
bracht »verden muß, ihn sich »vieder anzueigncn.

Ja, der Kaiser hat recht. Die Rede, die er
neulich in der Berliner Universität gehalten
hat, sollte jeden» die Augen öffnen. Die Ge-
schichte lehrt es, die „greifbaren Tatsachen der
Vergangenheit" erbringen den „sichtbaren Bc-
iveis", daß ein Volk, sobald es den Glauben
an Gott verliert, niedergeschmettert »vird, und
daß es seiner Feinde erst »vieder Herr »vird,
»venn es den Glauben seiner Väter— sofern
diese ihn nicht auch gerade verloren hallen —
»viederfindet.

Einige Nörgler haben gemeint, das stimme
doch nicht ganz, »vas der Kaiser da gesagt habe,
„daß das Preußenvolk kurz nach dein Hintrilt
des großen Königs seinen Glauben verlöre»»
habe." Diese gedankenlose Tröpfe bilden sich
offenbar ein, der Kaiser habe mil dem „Hintrilt
des großen KönigS" de» Tod Friedrichs II.,
des sogenannten Großen, gemeint. Das ist na-
türlich eine ganz irrige Annahme. Jedermann
»veiß doch, daß der alte Fritz ein arger Frei-
geist »var, der offen erklärte, es sei ihm Wurst,
nach »velcher Fasson jemand in seinem Lande
selig zu »verden »vünsche. Ihn kann der Kaiser
also unmöglich in diesem Zusaiunienhang als
großen König bezeichnet habe».

Ein großer König hinsichtlich des Glaubens
»var dagegen der Nachfolger des alten Fritz,
Friedrich Wilhelm II. Das »var nicht nur ei»
sehr »vohlbeleibter, sondern auch ein sehr from-
mer Mann. Der erließ bekanntlich das von
seinem strenggläubigen Minister Wöllner ver-
faßte, mit Recht so berühmte Religionsedikt.
Darin setzte er es sich zur Aufgabe, „die christ-
liche Religion in ihrer alten ursprünglichen
Reinigkeit und Echtheit" »viderherzustellen und
„der Verfälschung der Grundwahrheiten des
Glaubens der Christen und der daraus entstehen-
den Zügellosigkeit der Sitten" Einhalt zu tun.

Und gemäß diesem Edikt »vurde verfahren.
Die vom strengen Bibelglaube» abiveichenden

Im Jubeljahr.

Geistlichen wurden kassiert; auch die Lehrstühle
und Schulämter sollten „solchen Subjekten"
nicht nrehr zugänglich sein. Der alte Kant be-
kan» seine Verwarnung, und der Krieg »vurde
allen denen erklärt, „die in ihrer Lehrart einen
Modeton annehmen und sich nicht entblöden,
die elenden, längst wiederlegten Jrrtümer der
Deisten, Naturalisten und. anderer Sekten wie-
derum aufzuivärnlen und solche »nit vieler
Dreistigkeit und Unverschämtheit durch de»
äußerst mißbrauchten Name» Aufklärung unter
das Volk ausbreiten."

So geschah es, daß unter jenen» in» Glauben
großen König das preußische Volk — »vie der
Kaiser treffend sagte: „seine sittliche Lebens-
anschauug, begründet auf der Religion, wieder-
fand." Die schon erivähnten, gedankenlosen
Nörgler »verfen freilich ein, dieser selbe König
habe doch eine schändliche Mätressenivirtschast
geführt. Minchen Eircke, spätere Frau Rietz
und schließliche Gräfin Lichtenau, soivie die
Tänzerin Schulzki seien des Königs öffentlich
anerkannte Geliebten geivesen. Auch habe er,
neben seiner königlichen Frau, sich zuerst Julie
von Voß, später die Gräfin Dönhoff als Neben-
frau antrauen lassen, »vozu die Oberhofprediger
ihren Segen gegeben hätten.

Das sind freilich alles greifbare geschichtliche
Tatsachen. Aber »vas beweisen sie? War nicht
König Salomo ein sehr frommer Man», trotz
seiner dreihundert Frauen? Und hat nicht auch
Philipp der Großmütige von Hessen, der große
Glaubensheld aus der Re'orniationszeit, sich
zivei Frauen zugelegt? Zeugt das nicht gerade
von einem erhöhten Vertrauen auf Gott?

Nach den» Hintrilt des frommen Glaubens-
erneuerers Friedrich Wilhelms II. folgte aber
Friedrich Wilheln» III. und der hob das Wöll-
nersche Religionsedikt ans. Kein Wunder, daß
nun das Preußenvolk alsbald den Glauben
seiner Väter »vieder verlor. Da gab ihn» den»
der liebe Gott mal eine», gehörigen Deukzetlel,
»vorauf es schleunigst seinen Glauben »vieder
fand. Glücklich eriveise geschah das letztere gerade
in dem Jahre, >vo »viederuni Napoleon, dein der
liebe Gott vorher »vegen seiner großen Frömmig-
keit den Sieg über ganz Europa verliehen hatte,
seinen Glauben verloren hatte. Er »var ihm
bei den» Marsch durch die russischen Schneefelder
mit vieler anderer Bagage abhanden gekommen.
So erklärt sich denn zivanglos die große Wen-
dung durch Gottes Fügung im Jahre 1813.

Manchmal geht es freilich auch anders. Das
darf nicht verschiviegen »verden. Der alte Fritz
»var, »vie gesagt, ein arger Freigeist, und doch
gab ihn» der liebe Gott den Sieg über Maria
Theresia, die eine sehr fromme und gläubige
Frau »var. Wie sollen »vir uns das erklären?

Nun einfach so: Wen der Herr lieb hat, den
züchtiget er! Maria Theresia hatte der Herr
sehr lieb, und dar»»»»» züchtigte er sie auch sehr,
indem er den» bösen alten Fritz erlaubte, sie
gründlich zu verbläuen.

Wenn also Gott einen» Volk den Sieg über
ein anderes verleiht, so geschieht dies entiveder,
»veil er das erstere für seine» Glauben belohnen,
und das letztere für seinen Unglauben bestrafen
»vill. Oder es geschieht, »veil in» Gegenteil das
letztere Volk gläubiger ist »vie das erstere, und
Gott es darum auch lieb hat »vie jenes und
cs deshalb gerade gerne mal züchtigt. DaS
erstere Volk, nämlich das siegende, kann sogar
auch ganz ungläubig sein. Dann siegt es nur
über das gläubige Volk, »veil es den»
lieben Golt als Zuchtrute dient.

Das ist der ganz einfache Sachver-
halt. Die klare Richtlinie, die »vir aus
den greifbaren Tatsachen der Ge-
schichte geivinnen. An der laßt fest uns
halten! D
 
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