8110
flrbeitslos.
Huf Ilrbelfcbroaden hebt fiel) trag empor
Oer junge Tag aus grauer Lwigkeit.
ünd zäi) an feines ftleides fahlen flor
Oängt fiel) der nienfdjen jam'mer ftumm und breit.
ünd doch fpriebt aus des Tages bleichem Licht
Das Leben, das das ero’ge flli erfüllt.
Das jedes IDefens Dafeinslauf umflicht!
In jeder Bruft das Recht des Seins enthüllt
Und Taufend fdjreiten durch den jungen Tag,
Fern non der Werkbank und der Hämmer Mang.
Cie ßräite ungenützt und ftumm und zag.
Die Bruft noll hoffen ungemih und bang.
Und Taufend harren Kopf an Kopf gezwängt.
In Werktagskleidern und bereit zum Tun.
von unfichtdarer, düftrer Macht gedrängt
Zu unfreiroiil’gem, forgenfchwerem Ruh'n.
Des Zufalls Spiel und nackter Willkür Macht
Lntfcheiden über Lebenswert und Kraft.
Indes der Hunger und des €lends Nacht
Die ungenützten Kräfte zehrt und rafft,
pus duftem Bugen fprüht in düfterm Blick
6in taufendfacb gewaltiges Klagen auf,
ein zornig fordern wider ein Oefchick,
Das Tod und Not und Sorgen türmt zuhauf.
Und ewiger Gefetze flammenfchein
flammt lohend gegen Menfchenhah und Tück':
Das Red)t auf Brfceit ift das Recht auf Sein,
Das Recht auf Leben, Menfchenwert und Gliide!
Das Recht auf Rrbeit ift das Recht auf Sein,
Ob es die Willkür auch in ketten fchlägt.
Die Brbeit wird ihr Recht einft felbft befrei’n.
Sie wird es heben frei und unentwegt!
Guftai) Weber.
Wo die Welt ein Ende hat —
Von Roller-Verg.
Jeden Morgen, ehe die Marfa Gontek auf
hlrbeil ging — sie fronte bei dem Herrn von
Dnlewski, deraufGornapolä dieZiegelei hat —
j. den Morgen also sah die Marfa zuerst nach
dem Wetter.
Hatte der Kalvarienberg eine Miitze von
Regenwolken, dann weckte sie ihre tleine Pe-
lagia nicht. Sie nahm das blauweißgewürfelte
Kopfkissen ans ihrem Bett und breitete es vor
dem offenen Kommodenkasten ans. Nachdem
sie danir noch einen Napf Milch hingestellt rmd
ein handliches Stück Brot danebeirgelegt, be-
lrenzte sie vor der Gottesmutter Stirn, Mund
und Brust mit dem rechten Daumen, während
sie mit dem linken auf den Kommodenkasten
ivies — was so viel sagte wie: paß du ein
bißchen auf. Dann ging die Marfa Goniek
beruhigt auf Arbeit.
War es die Zeit, daß der Wazlaw mit den
beiden Kühen des Dorfältesten zur Weide zog
oder gar der wilde Jan auf seinem Leiterwagen
daherrasselte, richtete die kleine Pela sich schlaf-
trunken auf. Erst das runde Hinterteil-
wupp, dann saß sie, strich die kurzen, weiß-
blonden Haarsträhnen aus der Stirn und bohrte
beide Fäuste in die. Augen. Dabei verzog sie
den Mund, als wenn sie weinen ivoltte.
Das schien aber nur so. Alle Kinder ver-
ziehen den Mund, sobald sie erwachen. Das
ist der jähe Übergang ans der schönen Traum-
welt in die Wirklichkeit.
Gleich darauf durchwühlte die kleine Pela
geschäflig ihr Lager. Nachdem sie ein gelbroles
Zigarrenbändchen und den Bubck zutage ge-
fördert hatte, trudelte sie sich ans der Kom-
modenlave auf das Kissen. Unb jetzt sah man
erst, daß das rundliche Hinterteil hinsichtlich
des weiteren eine arge Täuschung bedeutete.
Die Beinchen waren ganz lächerlich dünn und
verbogen, die Füße verkrüppelt.
Der alle Wazlaw halte fesigestellt, daß das
die untere Auszehrung sei, und da iväre nichts
gegen zu machen. Man müsse mit Geduld und
Gotiergebung abwarten, bis die Auszehrung
sich ans Herz herangesressen habe.
Sobald Pela bequem ins Sitzen gekommen
war, knüpperle sie mühselig alle Haarsträhnen,
die sie erraffen konnte, mit dem Zigarrenbänd-
chen über der Stirn zusammen. Das wippende
Flachsbüschel war irichl sehr kleidsam, aber
praktisch, iveil man die Haare nicht mehr zu-
rückzustreichen brauchte und die Hände frei
halte für das Frühstück und für den Bubck
eine aus Lumpen geknotete, trostlos schmutzige
Puppe, die in Pelas Leben eine große Nolle
spielte. Dem Bubck war es zu danken, wenn
sie zwölf Stunden und länger allein in der
Kammer blieb, ohne daß die Nachbarschaft auch
nur einen Muck von ihr hörte. Sie aß und
trank mit ihm und kleidete ihn um — mal als
geistliche» Herrn mit langer Soutane, mal als
Fornal und dann wieder als richtigen Bubek,
dein hinten ein Zipfel herausschaute.
Dabei fehlte ihr das wichtigste Unterhaltungs-
miltel für ein Kind, das allein ist, — die Sprache.
Heiligdreikönige wurde Pela sechs Jahre, aber
sie konnte ebensewenig sprechen ivie laufen. Das
hinge mit der unteren Auszehrung zusammen,
meinte der Wazlaw, und da wäre nichts gegen
zu machen.
Was sie an Ausdrucksmilteln häkle, dag
äußerte sich nur draußen in der Sandkuhle,
ivo sie bei schönem Wetter untergebracht wurde.
Das war natürlich ungleich vergnüglicher.
An solchen Tagen bändigte Marfa Gontek,
ehe sie auf Arbeit ging, selbst die dünnen Haar-
strähnen mit dem Zigarrenbändchen — was
sich dann viel manierlicher ausnahm als das
wippende Flachsbüschel über der Stirn. Auch
wurde Pela mit einem Flanellrock angetan,
der ganz lang ivar, damit die Leute die untere
Auszehrung nicht sehen konnten. Aber das
nützte wenig. Sobald die Kleine ihren Haupt-
spaß hatte — und der bestand darin, daß sie
mit Bubek im Arm vom Rand der Sandkuhle
immer wieder hinuntertrudelte —, dann war
doch alles zu sehen. Die Frauen wiegten dann
schmerzbewegt den Kopf: Solch ein hübsches
Kind, und dieses Unglück! Nein, welches Un-
glück! Je nun — die Marfa-es rächte
sich eben alles im Leben.
Pelas Hauptspaß kam jedoch erst später,
wenn die Sonne höher stieg und die Vorgänge
auf der Landstraße kein Interesse mehr für sie
hatten. Erst sah sie der Mutter nach, wie sie
groß und stark und mit wiegenden Hüften zur
Arbeit ging. Trotzdem sie das schon so oft ge-
sehen, wunderte sie sich täglich aufs neue, wie
die Menschen so einen Fuß vor den andern
setzen konnten. Dazu mußte man wohl groß
sein und runde dicke Beine haben. Aber selbst
dann würde sie sich schwerlich trauen, aus der
Welt herauszugehen — denn die Welt war
doch zu Enöe, wo die Bäume zusammenliefen
und die Mutter so klein aussah wie der Bubck
und selbst der Wazlaw mit seinen Kühen einfach
verschwand. Was hinter der Welt wohl sein
mochte! Wahrscheinlich eine Sandkuhle — aber
viel größer wie diese, weil so viele Menschen
da hineinlrudelten und wieder rauskämen.
Gern hätte sie mal gesehen, wie es da hinten
aussah, wo die Welt zu Ende war. Nicht ganz
(Schluß auf Seite 8112.)
flrbeitslos.
Huf Ilrbelfcbroaden hebt fiel) trag empor
Oer junge Tag aus grauer Lwigkeit.
ünd zäi) an feines ftleides fahlen flor
Oängt fiel) der nienfdjen jam'mer ftumm und breit.
ünd doch fpriebt aus des Tages bleichem Licht
Das Leben, das das ero’ge flli erfüllt.
Das jedes IDefens Dafeinslauf umflicht!
In jeder Bruft das Recht des Seins enthüllt
Und Taufend fdjreiten durch den jungen Tag,
Fern non der Werkbank und der Hämmer Mang.
Cie ßräite ungenützt und ftumm und zag.
Die Bruft noll hoffen ungemih und bang.
Und Taufend harren Kopf an Kopf gezwängt.
In Werktagskleidern und bereit zum Tun.
von unfichtdarer, düftrer Macht gedrängt
Zu unfreiroiil’gem, forgenfchwerem Ruh'n.
Des Zufalls Spiel und nackter Willkür Macht
Lntfcheiden über Lebenswert und Kraft.
Indes der Hunger und des €lends Nacht
Die ungenützten Kräfte zehrt und rafft,
pus duftem Bugen fprüht in düfterm Blick
6in taufendfacb gewaltiges Klagen auf,
ein zornig fordern wider ein Oefchick,
Das Tod und Not und Sorgen türmt zuhauf.
Und ewiger Gefetze flammenfchein
flammt lohend gegen Menfchenhah und Tück':
Das Red)t auf Brfceit ift das Recht auf Sein,
Das Recht auf Leben, Menfchenwert und Gliide!
Das Recht auf Rrbeit ift das Recht auf Sein,
Ob es die Willkür auch in ketten fchlägt.
Die Brbeit wird ihr Recht einft felbft befrei’n.
Sie wird es heben frei und unentwegt!
Guftai) Weber.
Wo die Welt ein Ende hat —
Von Roller-Verg.
Jeden Morgen, ehe die Marfa Gontek auf
hlrbeil ging — sie fronte bei dem Herrn von
Dnlewski, deraufGornapolä dieZiegelei hat —
j. den Morgen also sah die Marfa zuerst nach
dem Wetter.
Hatte der Kalvarienberg eine Miitze von
Regenwolken, dann weckte sie ihre tleine Pe-
lagia nicht. Sie nahm das blauweißgewürfelte
Kopfkissen ans ihrem Bett und breitete es vor
dem offenen Kommodenkasten ans. Nachdem
sie danir noch einen Napf Milch hingestellt rmd
ein handliches Stück Brot danebeirgelegt, be-
lrenzte sie vor der Gottesmutter Stirn, Mund
und Brust mit dem rechten Daumen, während
sie mit dem linken auf den Kommodenkasten
ivies — was so viel sagte wie: paß du ein
bißchen auf. Dann ging die Marfa Goniek
beruhigt auf Arbeit.
War es die Zeit, daß der Wazlaw mit den
beiden Kühen des Dorfältesten zur Weide zog
oder gar der wilde Jan auf seinem Leiterwagen
daherrasselte, richtete die kleine Pela sich schlaf-
trunken auf. Erst das runde Hinterteil-
wupp, dann saß sie, strich die kurzen, weiß-
blonden Haarsträhnen aus der Stirn und bohrte
beide Fäuste in die. Augen. Dabei verzog sie
den Mund, als wenn sie weinen ivoltte.
Das schien aber nur so. Alle Kinder ver-
ziehen den Mund, sobald sie erwachen. Das
ist der jähe Übergang ans der schönen Traum-
welt in die Wirklichkeit.
Gleich darauf durchwühlte die kleine Pela
geschäflig ihr Lager. Nachdem sie ein gelbroles
Zigarrenbändchen und den Bubck zutage ge-
fördert hatte, trudelte sie sich ans der Kom-
modenlave auf das Kissen. Unb jetzt sah man
erst, daß das rundliche Hinterteil hinsichtlich
des weiteren eine arge Täuschung bedeutete.
Die Beinchen waren ganz lächerlich dünn und
verbogen, die Füße verkrüppelt.
Der alle Wazlaw halte fesigestellt, daß das
die untere Auszehrung sei, und da iväre nichts
gegen zu machen. Man müsse mit Geduld und
Gotiergebung abwarten, bis die Auszehrung
sich ans Herz herangesressen habe.
Sobald Pela bequem ins Sitzen gekommen
war, knüpperle sie mühselig alle Haarsträhnen,
die sie erraffen konnte, mit dem Zigarrenbänd-
chen über der Stirn zusammen. Das wippende
Flachsbüschel war irichl sehr kleidsam, aber
praktisch, iveil man die Haare nicht mehr zu-
rückzustreichen brauchte und die Hände frei
halte für das Frühstück und für den Bubck
eine aus Lumpen geknotete, trostlos schmutzige
Puppe, die in Pelas Leben eine große Nolle
spielte. Dem Bubck war es zu danken, wenn
sie zwölf Stunden und länger allein in der
Kammer blieb, ohne daß die Nachbarschaft auch
nur einen Muck von ihr hörte. Sie aß und
trank mit ihm und kleidete ihn um — mal als
geistliche» Herrn mit langer Soutane, mal als
Fornal und dann wieder als richtigen Bubek,
dein hinten ein Zipfel herausschaute.
Dabei fehlte ihr das wichtigste Unterhaltungs-
miltel für ein Kind, das allein ist, — die Sprache.
Heiligdreikönige wurde Pela sechs Jahre, aber
sie konnte ebensewenig sprechen ivie laufen. Das
hinge mit der unteren Auszehrung zusammen,
meinte der Wazlaw, und da wäre nichts gegen
zu machen.
Was sie an Ausdrucksmilteln häkle, dag
äußerte sich nur draußen in der Sandkuhle,
ivo sie bei schönem Wetter untergebracht wurde.
Das war natürlich ungleich vergnüglicher.
An solchen Tagen bändigte Marfa Gontek,
ehe sie auf Arbeit ging, selbst die dünnen Haar-
strähnen mit dem Zigarrenbändchen — was
sich dann viel manierlicher ausnahm als das
wippende Flachsbüschel über der Stirn. Auch
wurde Pela mit einem Flanellrock angetan,
der ganz lang ivar, damit die Leute die untere
Auszehrung nicht sehen konnten. Aber das
nützte wenig. Sobald die Kleine ihren Haupt-
spaß hatte — und der bestand darin, daß sie
mit Bubek im Arm vom Rand der Sandkuhle
immer wieder hinuntertrudelte —, dann war
doch alles zu sehen. Die Frauen wiegten dann
schmerzbewegt den Kopf: Solch ein hübsches
Kind, und dieses Unglück! Nein, welches Un-
glück! Je nun — die Marfa-es rächte
sich eben alles im Leben.
Pelas Hauptspaß kam jedoch erst später,
wenn die Sonne höher stieg und die Vorgänge
auf der Landstraße kein Interesse mehr für sie
hatten. Erst sah sie der Mutter nach, wie sie
groß und stark und mit wiegenden Hüften zur
Arbeit ging. Trotzdem sie das schon so oft ge-
sehen, wunderte sie sich täglich aufs neue, wie
die Menschen so einen Fuß vor den andern
setzen konnten. Dazu mußte man wohl groß
sein und runde dicke Beine haben. Aber selbst
dann würde sie sich schwerlich trauen, aus der
Welt herauszugehen — denn die Welt war
doch zu Enöe, wo die Bäume zusammenliefen
und die Mutter so klein aussah wie der Bubck
und selbst der Wazlaw mit seinen Kühen einfach
verschwand. Was hinter der Welt wohl sein
mochte! Wahrscheinlich eine Sandkuhle — aber
viel größer wie diese, weil so viele Menschen
da hineinlrudelten und wieder rauskämen.
Gern hätte sie mal gesehen, wie es da hinten
aussah, wo die Welt zu Ende war. Nicht ganz
(Schluß auf Seite 8112.)