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In der Reserve.
„Sie. Meyer, warum grüßen Sie mich nicht? Sie
haben mich doch wählend Ihrer Ticnstzeit täglich ge-
grüßt!"
„Nein, nicht Sie. nur Ihren Rccl!"
Wo die Welt ein Ende hat —
(Schluß.)
nahe; bloß so in einiger Entfernung, vom Rand
ans-
Noch lieber aber wäre sie mal auf Janeks
Leiterwagen gefahren. Sobald der daherkain.
war sie außer Rand und Band. Von den Hufen
der Pferde stoben Sand und Heine Steine bis
über den Staketcnzau», die Räder drehten sich,
daß man die Speichen gar nicht sehen konnte,
alles klirrte und rasselte — und obenauf stand
der Jan, hüpfte nach den Stößen des Wagens,
schrie auf die Pferde ei» und knallte mir der
Peitsche.
Die kleine Pela hüpfte wie unsinnig im Sitzen
n>it und schrie ratterott-ratterott — das einzige,
,vas sie äußern konnte. Dann war es, als hätte
der Jan mit seiner Wildheit sie angesteckt, als
wenn eine unbändige Lebensfreude sie erfaßte.
Aufkreischend warf sie die dünnen Belachen
einpor und rollte sich in die Kuhle, keuchte auf
allen vieren herauf und rollte wieder herunter
—'immerzu, bis sie vor Staub und Schmutz
nicht mehr aus den Augen sehen konnte. Ein
Hauptspaß!
Ja, das Leben ist schön, aber kllrz, viel zu
kurz — und so unvernünftig! Selbst eine ganz
kleine Kindersehnsucht erfüllt es erst, wenn es
zu spät ist.
Als die Marfa Gontek eines regnerischen
Abends von der Arbeit kam, lag die kleine
Pela regungslos auf dein Kissen vor der Kom-
modenlnde, die Stirn so gelbweiß ivie das
Büschel Flachshaare, und ihren Bubek mit bei-
den Armen fest ans Herz gedrückt. Und das
Herz stand still.
Ob die untere Auszehrung ihr Werk voll-
endet, ob die Gottesmutler mal nicht recht auf-
gepaßt hatte, oder ivas sonst vorlag, das ivußte
niemand — selbst der Wazlaiv nicht. Er meinte
nur, daß die Pelägia richtig tot sei, und da
könnte man nichts gegen machen.
Marfa Gontek weinte die ganze Nacht, wo-
bei ein paar Frauen aus der Nachbarschaft
ihr treulich halfen. Aber nur bis zum Morgen-
grauen; denn sie arbeiteten alle auf derZiegetei
des Herrn von Dnlewski und mußten um fünf
Uhr schon dort sein. Und die Marfa als Vor-
arbeiterin erst recht. Dennoch blieb sie, bis der
Janek auf seinem Leiterwagen daherrasselte.
Es kostete Mühe, ihn aufzuhalten.
„Du könntest wohl etwas tun für das Kind,"
maulte die Marfa in den Schürzenzipfel, in-
des ihre geröteten Augen ängstlich zu dem wil-
den Jan aufsahen.
Dieser lachte, und die Hand, in der er die
Peitsche hielt, strich den schwarzen Schnurrbart.
„Ei, was du sagst, mein Täubchen! Gibt
der Kuba, der dir die schöne Kommode geschenkt
hat, nichts mehr her? Seit vier Jahren hast
du dich beruhigt bei dem, was der Bezirks-
richter entschieden hat. Und nun, mit einem
Mal — wie Schnee im Juni-"
„Es ist tot."
Jan hielt im Bartstreichen inne und schaute
verdutzt. Dann zuckte er die Achseln.
„Das Seelchen wird den ewigen Frieden
haben. Aber was soll ich?"
„Nimm es mit nach Glemboivo zu meiner
Schivester und sage ihr, ich würde heute abend
kommen. Inzwischen soll sie einen Sarg kaufen
— einen weißgestrichenen mit einer Blonde
darauf. Hier sind drei Gitldcn und noch zwanzig
Kreuzer zu einem Gläschen für dich."
„Also mach schon," brummte der Jan. „Es
ist Markt im Flecken, und ich habe keine Zeit."
Mit dem Fuße schob er einige leere Säcke
beiseite und machte Platz für das blaugewürfelte
Kissen und die kleine Pela, die ihr langes Kleid-
chen hatte und ordentlich gebundene Haare —
wie an schönen Tagen. Einer der leeren Säcke
wurde darubergebreittt.
Dann zogen die Pferde an, und bald drehten
sich die Räder, daß man die Speichen gar nicht
sehen konnte. Alles klirrte und rasselte, der Jan
hüpfte - und die kleine Pela hüpfte mit —
ratterott-ratterott-in der Richtung, wo
die Bäume zusannnenliefen, wo die Welt zu
Ende war und in die große Sandkuhle über-
ging --- , .
Der galoppierende Eid.
Am 18. Oktober hat die „teutschc" Turnerei mit
einer Nuiumcr aufgctvartet, wie sie imposanter kaum
geschaffen werden konnte, falls man berücksichtigt,
daß für ein klimmzuginachendes Gehirn die Dinge
dieser Welk sich leicht zu einem großen Variete zu-
sammcnfngeu.
Schon voin 16. Oktober ab war das gesamte
Straßennetz des deutschen Vaterlandes mit „Sta-
Guke Vorsätze.
„Wenn ich's bis zum Staatsanwalt bringe, dann
sollen die Zuchthäuser aber ausblühen."
Der Unterschied. '
„Jetzt lebst also mit'm Pfarrer im Konkubinat?"
„Was dir nöt einfallt! Bet die geistlichen Herrn hoaßt
ma so was anders, da hoaßt ma's Zölibat!"
fetten" überspannt; und vierzigtausend Turner fingen
an zu lausen, um „durch Eilboten" den schriftlich
deponierten Schwur der Treue rechtzeitig am Völker-
schlachtdeukmal bei Leipzig zu „bcstelleti". Deutsch-
land erwies sich dabei fast als zn eng für diesen
patriotischen Gesamtgalopp.
Als tief bedauerlich und gar nicht „turnbrüdcr-
lich" muß aber die Haltung, die das Reichspostanit
dazu eingenommen hat, bezeichnet werden; denn
1. hat es die ihm zugcdachte Einladung, sich an
dem großen nationalen Werk durch eine stilvoll-
biedermcicrartige „Zielfahrt" von sechstausend Post-
kntschcii nach Leipzig hin beteiligen zu wollen, sehr
mißvergnügt abgelehut,
2. läßt es sogar schon „Erwägungen schweben"
. . . ob cs sich nicht vielleicht euipfichlt, hinterher
noch alle jene vierzigtausend „teutscheu Eilboten"
wegen Verletzung des Postmonopols beim Schla-
fittchen zu nehmen!!
Völkerschlachtfeiertag!
„Ein Geschlecht möge hcranwachscn, mit dem noch
mal Geschichte geiuacht werden kann!" Also rief,
seine Rede beendigend, einer von jenen Fcldmar-
schnlle», die dozu da sind, „Jungdeutschland" den
nötigen Honig ums Mündcheu zu schmieren.
„Jiuigdcutschlniid" stand andächtig wie ein vcr-
sninincltes Kriegsvolk, ließ sich Honig ums Münd-
cheu schmieren und freute sich über den alten Feld-
marschall. Ganz zltni Schluß aber, bevor man sich
trennte, fand diesmal noch etwas Besonderes statt:
eine „Prüfung iiu kriegsmäßigen Abgcbcu schrift-
licher Meldungen" hieß das!
Es war so ivas ähnliches wie eine Prüfung der
Jntcllig.nz auf dem Wege des Experiments im gc-
wöhnlicheu Schulwesen . . . lind es konnte daher
nur ein demonstrativer, gigantischer Mißerfolg wer-
den. Das Ergebnis bestätigte beim auch in recht
glänzendem Umsang diese Erwartung der Kenner;
und nur der Herr Fcldmarschall selbst war darob
einigermaßen verwundert.
Sehr mit Grund! Denn cs handelte sich um den
so sorgsam erwogenen, „zündenden" Schlußsatz der
von ihm soeben gehaltenen Festrede. Der möglichst
historische Wortlaut dieses oben wiedergegebenen
Satzes sollte nach dem Gedächtnis von allen Jung-
deutschland-Soldaten aus gratis gelieferten Melde-
kartcn einzeln „gemeldet" werde».
Dies, geschah nun zwar; aber als der Adjutant
des Herrn Fcldmarschnlls alles gesammelt, sortiert
und gezählt halte ... na, da stellte sich heraus, dag
von der Summe der cingelieserten Mcldekarletr
33Vs Prozent „leer" waren,
33Vs Prozent sehr viel anderweitigen Blödsinn
enthielten,
33Vs Prozent aber folgenden Satz rapportierten:
„Ein Geschlecht möge heranwachsen, mit dem noch
mal .Geschichten' gemacht werden können!!"
In der Reserve.
„Sie. Meyer, warum grüßen Sie mich nicht? Sie
haben mich doch wählend Ihrer Ticnstzeit täglich ge-
grüßt!"
„Nein, nicht Sie. nur Ihren Rccl!"
Wo die Welt ein Ende hat —
(Schluß.)
nahe; bloß so in einiger Entfernung, vom Rand
ans-
Noch lieber aber wäre sie mal auf Janeks
Leiterwagen gefahren. Sobald der daherkain.
war sie außer Rand und Band. Von den Hufen
der Pferde stoben Sand und Heine Steine bis
über den Staketcnzau», die Räder drehten sich,
daß man die Speichen gar nicht sehen konnte,
alles klirrte und rasselte — und obenauf stand
der Jan, hüpfte nach den Stößen des Wagens,
schrie auf die Pferde ei» und knallte mir der
Peitsche.
Die kleine Pela hüpfte wie unsinnig im Sitzen
n>it und schrie ratterott-ratterott — das einzige,
,vas sie äußern konnte. Dann war es, als hätte
der Jan mit seiner Wildheit sie angesteckt, als
wenn eine unbändige Lebensfreude sie erfaßte.
Aufkreischend warf sie die dünnen Belachen
einpor und rollte sich in die Kuhle, keuchte auf
allen vieren herauf und rollte wieder herunter
—'immerzu, bis sie vor Staub und Schmutz
nicht mehr aus den Augen sehen konnte. Ein
Hauptspaß!
Ja, das Leben ist schön, aber kllrz, viel zu
kurz — und so unvernünftig! Selbst eine ganz
kleine Kindersehnsucht erfüllt es erst, wenn es
zu spät ist.
Als die Marfa Gontek eines regnerischen
Abends von der Arbeit kam, lag die kleine
Pela regungslos auf dein Kissen vor der Kom-
modenlnde, die Stirn so gelbweiß ivie das
Büschel Flachshaare, und ihren Bubek mit bei-
den Armen fest ans Herz gedrückt. Und das
Herz stand still.
Ob die untere Auszehrung ihr Werk voll-
endet, ob die Gottesmutler mal nicht recht auf-
gepaßt hatte, oder ivas sonst vorlag, das ivußte
niemand — selbst der Wazlaiv nicht. Er meinte
nur, daß die Pelägia richtig tot sei, und da
könnte man nichts gegen machen.
Marfa Gontek weinte die ganze Nacht, wo-
bei ein paar Frauen aus der Nachbarschaft
ihr treulich halfen. Aber nur bis zum Morgen-
grauen; denn sie arbeiteten alle auf derZiegetei
des Herrn von Dnlewski und mußten um fünf
Uhr schon dort sein. Und die Marfa als Vor-
arbeiterin erst recht. Dennoch blieb sie, bis der
Janek auf seinem Leiterwagen daherrasselte.
Es kostete Mühe, ihn aufzuhalten.
„Du könntest wohl etwas tun für das Kind,"
maulte die Marfa in den Schürzenzipfel, in-
des ihre geröteten Augen ängstlich zu dem wil-
den Jan aufsahen.
Dieser lachte, und die Hand, in der er die
Peitsche hielt, strich den schwarzen Schnurrbart.
„Ei, was du sagst, mein Täubchen! Gibt
der Kuba, der dir die schöne Kommode geschenkt
hat, nichts mehr her? Seit vier Jahren hast
du dich beruhigt bei dem, was der Bezirks-
richter entschieden hat. Und nun, mit einem
Mal — wie Schnee im Juni-"
„Es ist tot."
Jan hielt im Bartstreichen inne und schaute
verdutzt. Dann zuckte er die Achseln.
„Das Seelchen wird den ewigen Frieden
haben. Aber was soll ich?"
„Nimm es mit nach Glemboivo zu meiner
Schivester und sage ihr, ich würde heute abend
kommen. Inzwischen soll sie einen Sarg kaufen
— einen weißgestrichenen mit einer Blonde
darauf. Hier sind drei Gitldcn und noch zwanzig
Kreuzer zu einem Gläschen für dich."
„Also mach schon," brummte der Jan. „Es
ist Markt im Flecken, und ich habe keine Zeit."
Mit dem Fuße schob er einige leere Säcke
beiseite und machte Platz für das blaugewürfelte
Kissen und die kleine Pela, die ihr langes Kleid-
chen hatte und ordentlich gebundene Haare —
wie an schönen Tagen. Einer der leeren Säcke
wurde darubergebreittt.
Dann zogen die Pferde an, und bald drehten
sich die Räder, daß man die Speichen gar nicht
sehen konnte. Alles klirrte und rasselte, der Jan
hüpfte - und die kleine Pela hüpfte mit —
ratterott-ratterott-in der Richtung, wo
die Bäume zusannnenliefen, wo die Welt zu
Ende war und in die große Sandkuhle über-
ging --- , .
Der galoppierende Eid.
Am 18. Oktober hat die „teutschc" Turnerei mit
einer Nuiumcr aufgctvartet, wie sie imposanter kaum
geschaffen werden konnte, falls man berücksichtigt,
daß für ein klimmzuginachendes Gehirn die Dinge
dieser Welk sich leicht zu einem großen Variete zu-
sammcnfngeu.
Schon voin 16. Oktober ab war das gesamte
Straßennetz des deutschen Vaterlandes mit „Sta-
Guke Vorsätze.
„Wenn ich's bis zum Staatsanwalt bringe, dann
sollen die Zuchthäuser aber ausblühen."
Der Unterschied. '
„Jetzt lebst also mit'm Pfarrer im Konkubinat?"
„Was dir nöt einfallt! Bet die geistlichen Herrn hoaßt
ma so was anders, da hoaßt ma's Zölibat!"
fetten" überspannt; und vierzigtausend Turner fingen
an zu lausen, um „durch Eilboten" den schriftlich
deponierten Schwur der Treue rechtzeitig am Völker-
schlachtdeukmal bei Leipzig zu „bcstelleti". Deutsch-
land erwies sich dabei fast als zn eng für diesen
patriotischen Gesamtgalopp.
Als tief bedauerlich und gar nicht „turnbrüdcr-
lich" muß aber die Haltung, die das Reichspostanit
dazu eingenommen hat, bezeichnet werden; denn
1. hat es die ihm zugcdachte Einladung, sich an
dem großen nationalen Werk durch eine stilvoll-
biedermcicrartige „Zielfahrt" von sechstausend Post-
kntschcii nach Leipzig hin beteiligen zu wollen, sehr
mißvergnügt abgelehut,
2. läßt es sogar schon „Erwägungen schweben"
. . . ob cs sich nicht vielleicht euipfichlt, hinterher
noch alle jene vierzigtausend „teutscheu Eilboten"
wegen Verletzung des Postmonopols beim Schla-
fittchen zu nehmen!!
Völkerschlachtfeiertag!
„Ein Geschlecht möge hcranwachscn, mit dem noch
mal Geschichte geiuacht werden kann!" Also rief,
seine Rede beendigend, einer von jenen Fcldmar-
schnlle», die dozu da sind, „Jungdeutschland" den
nötigen Honig ums Mündcheu zu schmieren.
„Jiuigdcutschlniid" stand andächtig wie ein vcr-
sninincltes Kriegsvolk, ließ sich Honig ums Münd-
cheu schmieren und freute sich über den alten Feld-
marschall. Ganz zltni Schluß aber, bevor man sich
trennte, fand diesmal noch etwas Besonderes statt:
eine „Prüfung iiu kriegsmäßigen Abgcbcu schrift-
licher Meldungen" hieß das!
Es war so ivas ähnliches wie eine Prüfung der
Jntcllig.nz auf dem Wege des Experiments im gc-
wöhnlicheu Schulwesen . . . lind es konnte daher
nur ein demonstrativer, gigantischer Mißerfolg wer-
den. Das Ergebnis bestätigte beim auch in recht
glänzendem Umsang diese Erwartung der Kenner;
und nur der Herr Fcldmarschall selbst war darob
einigermaßen verwundert.
Sehr mit Grund! Denn cs handelte sich um den
so sorgsam erwogenen, „zündenden" Schlußsatz der
von ihm soeben gehaltenen Festrede. Der möglichst
historische Wortlaut dieses oben wiedergegebenen
Satzes sollte nach dem Gedächtnis von allen Jung-
deutschland-Soldaten aus gratis gelieferten Melde-
kartcn einzeln „gemeldet" werde».
Dies, geschah nun zwar; aber als der Adjutant
des Herrn Fcldmarschnlls alles gesammelt, sortiert
und gezählt halte ... na, da stellte sich heraus, dag
von der Summe der cingelieserten Mcldekarletr
33Vs Prozent „leer" waren,
33Vs Prozent sehr viel anderweitigen Blödsinn
enthielten,
33Vs Prozent aber folgenden Satz rapportierten:
„Ein Geschlecht möge heranwachsen, mit dem noch
mal .Geschichten' gemacht werden können!!"