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Das Sargschiff.
Die neueste Form der Zeppelinluftkreuzer.
Der Schreibebries.
Schreibe leinen Schreibebries,
Denn oftmals geht die Sache schief!
Was dem Vater schlecht bekommen.
Lat der Sohn nun übernommen;
Anstatt staatsklug still zu wallen.
Könnt' er nicht die Tinte halten.
Wenn Schulze was an Müllern schreibt.
Dies meistens ohne Folgen bleibt;
Doch wenn ina» dazu ausersehen
Zu wandeln auf der Menschheit Lohen,
Zst alles was man von sich gibt
Ein welthistorisch Manuskript.
Lind seine Meinung frei bekennen,
Leiht oftmals: sich das Maul verbrennen;.
Doch was man schriftlich gar bekennt.
Bleibt ein geschichtlich Dokument,
Füllt Parlament und Zeitungsspalte»,
Drum besser: Mund und Tinte halten!
R. örgler.
Nervenkitzel.
Der Rechnungsrat kam aus dem Bureau
nach Hause. Er hatte sich beeilt. Denn es gab
sein Leibgericht: Hammelkotelette mit Gemüse.
„Wo ist denn nur Franz?"
Franz, der Primaner, saß schon über seine
Bücher gebeugt.
„Er arbeitet schon wieder, der brave Junge",
sagte die Mutter stolz. Als der Vater zu ihm
trat, versteckte Franz schleunigst den Roman, in
dem erlas, und schlug ein lateinisches Buch auf.
„Was übersetzest du denn da?"
„Tacilus", log Franz. „Wir sind gerade bei
der -Schilderung der Gladiatorenkämpfe im
römischen Zirkus."
„Eine entsetzliche Zeit", sagte der Vater, und
noch beim Mittag wiederholte er: „Eine ent-
setzliche Zeit! Menschen töten sehen, nur um
seine Nerven anzukitzeln welch eine Ver-
worfenheit und Verderbtheit liegt doch darin!"
„Fürchterlich!" seufzte die Mama und legte
sich ein neues Kotelette auf den Teller.
„Es waren eben Heiden, Papa!"
Die Mama sah wohlwollend auf Franz. Ihr
Sohn hatte in Religion stets die beste Note.
„Allerdings", bestätigte der Vater. „Aber die
Segnungen des Christentums haben doch nicht
ausgereicht, alle Überbleibsel dieser Barbarei
auszulöschen. Man denke nur an die spanischen
Stierkämpfe, wo die Menschen sich noch heute
an der Gefahr ergötzen, in der sich ihre Mit-
menschen beständig befinden."
„Fürchterlich!" seufzte die Mama und langte
sich ein neues Kotelette auf den Teller.
„Freilich sind dies Romane»! Ihnen ist das
Leben eines Mitmenschen, eines Bruders in
Christo, gerade gnt genug, um ihre schlaffe::
Nerven anzukitzeln. Bei germanischen Volks-
stämmen wäre es undenkbar."
„Es ist mir unbegreiflich, wie die Polizei
dort so etwas erlauben kann", meinte die
Mama.
Als der Nachtisch gereicht wurde, zcg der
Rechnungsrat lächelnd ein Kuvert hervor.
„Ratet mal, was ich euch mitgebracht habe?"
„Billette?" — „Ja."
Die Mama riet auf Karten zur Neueröff-
nung des benachbarten Lichtspielhauses, Franz
auf Caruso-Billette.
„Fehlgeschossen. Etwas viel Feineres", trium-
phierte der Vater. „Billette zu Pegouds Flügen
in Johannistal! Er macht seine berühmten
Sturzflüge, die nur mit dein Todessprung neu-
lich im Zirkus zu vergleichen sind. Es soll ko-
lossal spannend und aufregend sein — und wer
weiß, ob man ihn später noch einmal zu sehen
bekommen wird. Denn er riskiert eigentlich
jedes Mal sein Leben."
„Aber das ist ja furchtbar interessant." Die
Mama legte, überwältigt von der freudigen
Überraschung, die Gabel hin. „Es ist wirklich
reizend, daß du an uns gedacht hast."
Und Franz versprach, seine lateinische Ar-
beit recht schnell zu erledigen, damit er mit-
kommcn könne. -
Der Löwe von Leipzig.
Als bei der heroischen Löwenschlacht von
Leipzig sechs Löiven von Polizisten-Brownings
wie Siebe durchlöchert und selbst für Bett-
vorleger unbrauchbar gemacht wurden, entkam
der größte von ihnen, namens Abdullah. Er
hatte das Glück, in eine dunkle Nebenstraße
entwischen zu können, wo ihn keiner bemerkte.
Vorsichtig schlich er dahin. Er war sreiheitS-
durstiger als sein Kollege vom Zirkus. Demi
er war nicht im Käfig wie sie geboren, sondern
am Rand der afrikanischen Wüste.
Aus einem Hause lockte schöner Bratendüst.
Abdullah fühlte seinen Löwenmagen knurren.
Er legte seine Vordertatzen auf die Fenster-
brüstung und sah. hinein. Um einen reich be-
setzten Tisch saßen schwarzgeklcidete Männer
mit allerhand Orden ruid Münzen auf der
Brust. Ab und zu erhob sich einer und sagte
etivas. Dann brüllten sie alle „Hurra!" Es
klang schrecklich und furchterregend. Es er-
innerte ihn an das wilde Schreien der Araber,
wenn sie auf der Jagd waren. Abdullah kniff
den Schwanz ein und riß aus.
An der Ecke sah er einen Schutzmann einen
Trunkenen vor sich herstoßen. „Warum tut er
es mit den andern von vorhin nicht?" dachte
er. „Viellcicht, weil dieser nicht Hurra brüllt,
und weil er weder schwarzgekleidet noch orden-
geschmückt ist?"
Fast wäre er ihm zu Hilfe geeilt.
Da entdeckte ihn ein kleines Mädchen, das
mit Blumen handelte.
„Herr Schutzmann, dort ist ein Löwe!!"
„Warum schreit sie so?" dachte Abdullah.
„Ich tue ihr doch nichts zuleide."
Der Schutzman» beschleunigte seinen Schritt.
„Das ist nicht mein Revier," schrie er. „Hast
du übrigens eine» Gewerbeschein? Dann komm
gleich mit mir mit! Aber ein bißchen plötzlich!"
Er faßte sie am Arm und zog sie mit sich fort.
Abdullah sah ihnen verwundert nach. Hier
ging ja alles viel schlimmer-zu, als am Rand
der Sahara. Und- hier sollte er bleiben und
Kunststücke lernen und vor diesen Menschen
sich produzieren und sich begaffen lassen? Ihn
packte eine wilde Verzweiflung, er hatte sogar
beinahe selbstmörderische Gedanken.
Und es war nur gut für ihn, daß in diesem
Augenblick die Herrin der Menagerie ankam
und ihn am Halsband faßte. „Warte nur einen
Augenblick, Abdullah, bis die Schutzleute weiter
gegangen sind," flüsterte sie.
Und zitternd warteten beide auf einen gefahr-
losen Moment, um in Sicherheit zu kommen_
Das Sargschiff.
Die neueste Form der Zeppelinluftkreuzer.
Der Schreibebries.
Schreibe leinen Schreibebries,
Denn oftmals geht die Sache schief!
Was dem Vater schlecht bekommen.
Lat der Sohn nun übernommen;
Anstatt staatsklug still zu wallen.
Könnt' er nicht die Tinte halten.
Wenn Schulze was an Müllern schreibt.
Dies meistens ohne Folgen bleibt;
Doch wenn ina» dazu ausersehen
Zu wandeln auf der Menschheit Lohen,
Zst alles was man von sich gibt
Ein welthistorisch Manuskript.
Lind seine Meinung frei bekennen,
Leiht oftmals: sich das Maul verbrennen;.
Doch was man schriftlich gar bekennt.
Bleibt ein geschichtlich Dokument,
Füllt Parlament und Zeitungsspalte»,
Drum besser: Mund und Tinte halten!
R. örgler.
Nervenkitzel.
Der Rechnungsrat kam aus dem Bureau
nach Hause. Er hatte sich beeilt. Denn es gab
sein Leibgericht: Hammelkotelette mit Gemüse.
„Wo ist denn nur Franz?"
Franz, der Primaner, saß schon über seine
Bücher gebeugt.
„Er arbeitet schon wieder, der brave Junge",
sagte die Mutter stolz. Als der Vater zu ihm
trat, versteckte Franz schleunigst den Roman, in
dem erlas, und schlug ein lateinisches Buch auf.
„Was übersetzest du denn da?"
„Tacilus", log Franz. „Wir sind gerade bei
der -Schilderung der Gladiatorenkämpfe im
römischen Zirkus."
„Eine entsetzliche Zeit", sagte der Vater, und
noch beim Mittag wiederholte er: „Eine ent-
setzliche Zeit! Menschen töten sehen, nur um
seine Nerven anzukitzeln welch eine Ver-
worfenheit und Verderbtheit liegt doch darin!"
„Fürchterlich!" seufzte die Mama und legte
sich ein neues Kotelette auf den Teller.
„Es waren eben Heiden, Papa!"
Die Mama sah wohlwollend auf Franz. Ihr
Sohn hatte in Religion stets die beste Note.
„Allerdings", bestätigte der Vater. „Aber die
Segnungen des Christentums haben doch nicht
ausgereicht, alle Überbleibsel dieser Barbarei
auszulöschen. Man denke nur an die spanischen
Stierkämpfe, wo die Menschen sich noch heute
an der Gefahr ergötzen, in der sich ihre Mit-
menschen beständig befinden."
„Fürchterlich!" seufzte die Mama und langte
sich ein neues Kotelette auf den Teller.
„Freilich sind dies Romane»! Ihnen ist das
Leben eines Mitmenschen, eines Bruders in
Christo, gerade gnt genug, um ihre schlaffe::
Nerven anzukitzeln. Bei germanischen Volks-
stämmen wäre es undenkbar."
„Es ist mir unbegreiflich, wie die Polizei
dort so etwas erlauben kann", meinte die
Mama.
Als der Nachtisch gereicht wurde, zcg der
Rechnungsrat lächelnd ein Kuvert hervor.
„Ratet mal, was ich euch mitgebracht habe?"
„Billette?" — „Ja."
Die Mama riet auf Karten zur Neueröff-
nung des benachbarten Lichtspielhauses, Franz
auf Caruso-Billette.
„Fehlgeschossen. Etwas viel Feineres", trium-
phierte der Vater. „Billette zu Pegouds Flügen
in Johannistal! Er macht seine berühmten
Sturzflüge, die nur mit dein Todessprung neu-
lich im Zirkus zu vergleichen sind. Es soll ko-
lossal spannend und aufregend sein — und wer
weiß, ob man ihn später noch einmal zu sehen
bekommen wird. Denn er riskiert eigentlich
jedes Mal sein Leben."
„Aber das ist ja furchtbar interessant." Die
Mama legte, überwältigt von der freudigen
Überraschung, die Gabel hin. „Es ist wirklich
reizend, daß du an uns gedacht hast."
Und Franz versprach, seine lateinische Ar-
beit recht schnell zu erledigen, damit er mit-
kommcn könne. -
Der Löwe von Leipzig.
Als bei der heroischen Löwenschlacht von
Leipzig sechs Löiven von Polizisten-Brownings
wie Siebe durchlöchert und selbst für Bett-
vorleger unbrauchbar gemacht wurden, entkam
der größte von ihnen, namens Abdullah. Er
hatte das Glück, in eine dunkle Nebenstraße
entwischen zu können, wo ihn keiner bemerkte.
Vorsichtig schlich er dahin. Er war sreiheitS-
durstiger als sein Kollege vom Zirkus. Demi
er war nicht im Käfig wie sie geboren, sondern
am Rand der afrikanischen Wüste.
Aus einem Hause lockte schöner Bratendüst.
Abdullah fühlte seinen Löwenmagen knurren.
Er legte seine Vordertatzen auf die Fenster-
brüstung und sah. hinein. Um einen reich be-
setzten Tisch saßen schwarzgeklcidete Männer
mit allerhand Orden ruid Münzen auf der
Brust. Ab und zu erhob sich einer und sagte
etivas. Dann brüllten sie alle „Hurra!" Es
klang schrecklich und furchterregend. Es er-
innerte ihn an das wilde Schreien der Araber,
wenn sie auf der Jagd waren. Abdullah kniff
den Schwanz ein und riß aus.
An der Ecke sah er einen Schutzmann einen
Trunkenen vor sich herstoßen. „Warum tut er
es mit den andern von vorhin nicht?" dachte
er. „Viellcicht, weil dieser nicht Hurra brüllt,
und weil er weder schwarzgekleidet noch orden-
geschmückt ist?"
Fast wäre er ihm zu Hilfe geeilt.
Da entdeckte ihn ein kleines Mädchen, das
mit Blumen handelte.
„Herr Schutzmann, dort ist ein Löwe!!"
„Warum schreit sie so?" dachte Abdullah.
„Ich tue ihr doch nichts zuleide."
Der Schutzman» beschleunigte seinen Schritt.
„Das ist nicht mein Revier," schrie er. „Hast
du übrigens eine» Gewerbeschein? Dann komm
gleich mit mir mit! Aber ein bißchen plötzlich!"
Er faßte sie am Arm und zog sie mit sich fort.
Abdullah sah ihnen verwundert nach. Hier
ging ja alles viel schlimmer-zu, als am Rand
der Sahara. Und- hier sollte er bleiben und
Kunststücke lernen und vor diesen Menschen
sich produzieren und sich begaffen lassen? Ihn
packte eine wilde Verzweiflung, er hatte sogar
beinahe selbstmörderische Gedanken.
Und es war nur gut für ihn, daß in diesem
Augenblick die Herrin der Menagerie ankam
und ihn am Halsband faßte. „Warte nur einen
Augenblick, Abdullah, bis die Schutzleute weiter
gegangen sind," flüsterte sie.
Und zitternd warteten beide auf einen gefahr-
losen Moment, um in Sicherheit zu kommen_