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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 30.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.7671#0371
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o

Eine Depesche.

o Im Tran.

Cin Ddenwa'dklub sandte nach der Einweihung einer Hütte
>in Ergebenheitsklegramm an den sechsjährigen Erbgrotz-
hcr-oz von Baden.

Ls regt sich ums im Odenwald,
kjaha.

Bis in die grünen Wipfel schallt
Ijurrn!

Das brüllten immer wieder
Oie braven Seifensieder.

Sie weihten eine Hütte ein,

Na ja.

Oa wuchs beim ew'gen Inbeljchrei'n
„Hurra"

Lin sonderlich Gelüsten
3n ihren lNännerbrüsten.

Sie depeschierten Mann für Nlann —
hihi -

Oen Kleinen Lrbgroßherzog an,

Und wie!

Sie schrieben sehr ergeben,

Wie oft in ihrem Leben.

Lr aber liest noch nichts zur Frist -
Oho!

Obgleich er Lrbgroßherzog ist.

So, so!

vrum wird er solche Spenden

Wohl anderswie verwenden! Muciu;.

Der Zeuge.

Dmitri Turiuauow schlief. Aber es ivar kein
ruhiger Schlaf. Die Ereignisse der letzten Tage
beunruhigten ihn auch jetzt und schufen selt-
same Träume.

Der Herbstrege» klapperte auf die Ziegel
und rann dirrch einzelne schadhafte Stellen
hindurch auf de» Lehmfußboden.

Dmitri träumte von dem Tage, wo das ganze
Dorf mit Wutgeheul das Gehöft des Juden
umstand, der ei» Kind abgeschlachtet haben
sollte. Aber sonderbar — jetzt war es kein
fremdes, sondern sein eigenes Kind, Dmitris
jüngster, Alexei.

In einer Höhle nimmt der Ziegelei hatte
mau Blutspuren gefunden. Man wußte, daß
Alexei »ach der Richtung der Höhle gegangen
und daß er nicht wiedergekehrt war.

Steine hagelte» und zerschlugen die winzigen
Fenster der Hütte.

Der Jude kam flehend heraus. Aber es half
ihm nichts. Er mußte vor das Gericht.

Nun stand der Pope wieder neben Dmitri
und erzählte ihm von den Sekten derChassideu
und Zaddile», die Kinderblut für ihren Ritus
brauchten.

Und gleich darauf stand er wieder vor den
Schranke» des Gerichts, wie heute vor- und
nachmittags, und schwor, von Juden blut-
gierige Äußerungen gehört und sie bei Schlich-
tungen belauscht zu habe». Und je mehr Wider-
spruch sich ringsumher erhob, desto genauer
wurden seine Angaben und desto waghalsiger
seine Behauptungen. Die Verteidiger fragten
ihn aus, und er schrie sie zornig an und —
erwachte bei seinen eigenem Worten.

Er griff instinktiv unter sein Kissen, wo sein
Geld lag, wo auch.das Geld lag, das ihm
Unbekannte heute nach seiner erste» Zeugen-
aussage zuzesteckt hatten.

Der Regen, der »nalrläfsig herniederprasselte,
schläferte ihn wieder ei». Er, der .Kronzeuge,
sah sich umworben. Man machte ihm Ber- •
sprechet» ge». Orden winkten, vielleicht eine
Staatsstelle oder ein Sitz' in der Duma. So-
gar der. Staatsanwalt zwinkerte ihm ermun-
ternd zu, als -er seine judenfeindliche Aussage
machte, Die Zuschauer klatschten Beifall und '
riefen Bravo. Der Vorsitzende nannte ihn einen

John Bullt Komm, Michel, sei vernünftig! Wir wollen eine Pause machen!
Michel: Weiter saufen - bis einer unterm Tisch liegt!

tapfere» Mann, auf den Rußland mit Stolz
und das übrige Europa mit Neid blicke.

Eben bewies er haarklein, unter viel Auf-
wand von Pathos und Thränen, wie sein
Alexei rituell geschlachtet und dann zum Dnjepr
geschleppt und dort ertränkt worden sei. Da
rüttelte jemand an seiner Schulter, und mit
angstvoll aufgerissenen Augen sah er Alexei
vor sich stehen.

„Um Gotteswillen, jetzt wissen sie alle, daß
ich falsch geschworen," stöhnte er, noch halb
im Traum.

„Du mußt aufstehn, Vater," entgegnete Alexei,
der ihn verständnislos nnsah. „Es ist Zeit, aufs
Gericht zu gehn."

-Dmitri blickte um sich. Es war Heller Morgen.

Seine Augen irrten umher und blieben end-
lich an einem Muttergottesbilde haften.

„Heilige'Mutter von Kiew, du mußt mir
helfen!" Er eilte zu dem Bilde, unter dem
das ewige Lämpchen flackerte. „Sag mir, wie
ich schwören soll. - Du wirst es wissen."

Dmitri Turmanow kniete sehr lange vor dem
Heiligenbild. Als er ausstnnd, stand sein Ent-
schluß fest: er wurde eine Aussage machen, die
der rechtgläubigen Kirche nützen und ihren
Feinden schaden würde. Er schlirg drei Kreuze,
als- er aus die Schwell« trat und sich aus-den
Weg zum Gerichtsgebände aufmachte, das dort
in der Ferne winkte und drohte. .. .

Lullende Nebel.

Novembernebel, feucht und schwer,
Längen sich über Land und Meer.

Ei» schwerer, silberner Vorhang fällt
Über die stillgewordene Welt.

Novembernebel, schwer und dicht
Decken der Erde Angesicht,

Decken doch »immer die blutige Spur
Uralten Leidens der Kreatur.

Paul Enderling.



Noblesse oblige.

In Wiesbaden wurde ein höherer Beamter vom
Dienst suspendiert, weil er „nichtstandesgcmäßen Ber-
kehr mit unteren Kreisen" gehabt.

Die Wiesbadener höheren Beamten wollen allen
ähnlichen Konflikten schon von weitem aus dem Wege
gehen nud haben daher beschlossen, fortan alle Dienst-
boten zu entlassen, da mau mit ihnen doch immer-
hin bis zu einem gewissen Grade verkehren muß,
und sich alle Stiefel und Kleider von jetzt ab selber
.zu putzen. Ob der geschäftliche Verkehr mit der
uiederen Klasse der Schuster und Schneider anfrechl-
crhalteu werden darf,'unterliegt noch dem Entscheid
einer hochwohlweisiu Behörde.' Man sieht ihm in
den beteiligten Kreisen mit - Spannung und Aus-
regnug entgegen.
 
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