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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 30.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.7671#0406
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Weihnachtsabend.

Skizzen von Lermann Laverka.i p.

I.

Am Steuer eines kleinen Küstenfahrers steht
Jürgen der Schiffer, sein Sohn Gerd hält voine
Ausguck. Immer dichter fallen die Schneeflocke»,
Schiffer und Schiff weis; überziehend. Jürgen
achtet nicht darauf, ebensowenig auf die bittere
Kälte. Seine Gedanke» sind zu Hause bei Frau
und Kindern. Heute ist ja Weihnachtsabend!
Wenn der Wind so bleibt, ist er in einigen
Stunden in> Heimatshafen.

Jürgen hat in, letzten Hafenoit eingekauft
für seine Lieben. Wird das eine Freude und
Überraschung geben, wenn er heute Abend aus-
packt!

Der Wind wird stärker, die Wellen werfen
weiße Kämme. Da — was ist das?

Ein Geräusch, von der Seite kommend, macht
ihn aufmerksam. Tuht — tuht — tuht!

Plötzlich, das Herz steht ihm still, schießt der
Rumpf eines großen Dainpfers, unheimlich —
gewaltig, aus dem schier undurchdringlichen
Schneegestöber hervor.

Jürgen reißt verzweifelt das Steuer herum.
Ein furchtbarer Krach — der Dampfer schneidet
das Schiff mittendurch.

Wohl stoppte der Dampfer als das Unglück
geschehen war, wohl hat er auch ein Boot aus-
gesetzt, um die Unglücksstelle abzusuchen, aber
außer einigen Trümmern des Küstenfahrers
wurde nichts entdeckt. Die beiden Schiffer,
Vater und Sohn, waren der See zum Opfer
gefallen.

ii.

In einem Missionshause in Südwestafrika,
welches jetzt in eine kleine Festung umgewandelt
ist, geht es fröhlich zu.

Die Soldaten haben ihre Weihnachtsgeschenke
erhallen. Mancher von ihnen denkt mit Weh-
mut an die Heimat.

Dann hat der Befehlshaber eine Rede ge-
halten und der Kameraden gedacht, welche auf
den in der letzten Zeit abgehaltenen Streif-
züge» gefallen waren. Es war gelungen, die
ganze Gegend vom „Feinde" zu säubern, um-
somehr sollten die Kameraden sich der Weih-
nachtsfreude hingeben.

Bald darauf ertönten, von rauhe» Kehlen
gesungen, deutsche Weihnachtslieder in die
Stille der afrikanischen Nacht.-

-<— » 8162 ® • ■*-

Ängstlich und zaghaft spähend umschleicht
das Haus ein schwarzes Weib. Ihre Kinder
liegen hier gefangen. Bei dem letzten Treffen
hatte man, als sie von einem Schlag betäubt
am Boden lag, ihre Kinder mit fvrtgenonnmn.
Tagelang war die Mutter den Spuren gefolgt,
sich kümmerlich von Wurzeln nährend. -

Was werden die Weißen mit den Kindern
machen? Leben sie noch? Der Gedanke an ihre
Knder ließ sie alle Strapazen ertragen, alle
Hindernisse überwinden.

Wenn sie nur wüßte, ob sie noch lebte»?

Plötzlich hört sie Tritte , der Wachtposten
hat Verdächtiges bemerkt.

Wie eine Katze schleicht sie in ihr Versteck
zurück, sie zittert am ganzen Leib vor Furcht,

Der Posten geht vorüber.

Ein schmaler Spalt am Fenster läßt etiras
Licht durch. Vielleicht kan» sie ihre Kinder sehr».

Vorsichtig späht sie »ach allen Seiten, nichts
regt sich, nur aus dein Hause schallt's: Stille
Nach', heilige Nacht!

Sie schleicht aus ihrem Versteck hervor, dein
Fenster zu.

Ein lauter Anruf läßt sie bis ins Mark er-
beben: schnell huscht sie zurück.... Da kracht
ein Schuß! Ein durchdringender Schrei — dann
wimmert es noch leise-

ifcie schwarze Müller sieht ihre Kinder nicht
mehr.

W ->

in.

„Wo Heinrich nur so lange bleibt?" murmelte
Frau Mertens vor sich hi», dabei beschäftigt,
den Tannenbaum aufzuputzen.

„Jedenfalls kaust er noch etwas ein," be-
antwortet sie selbst ihre Frage. Sie steckt die
Kerzen auf und übersieht noch einmal prüfend
das Ganze.

Diesmal ist der Baum ab.r schön geivorden!
Wie werden die Kinder sich freuen.

Dort liegt der Schulranzen für den Ältesten,
er kommt Ostern zur Schule, und dort steht die
Wiege mit der wieder neu eingekleideten Puppe
für Klein-Annchen.

Wird das ein Jubel werden!

Für ihren Mann hat sie warme Strünipfe
gestrickt, etwas Unterzeug gekauft. Das kann
er im Winter auf der Werft gut gebrauchen.

Viel ist es ja nicht, was sie schenken kann,
aber bei dem niedrigen Verdienst und den teuren
Verhältnissen bleibt auch nicht viel übrig.

Sie hört Tritte auf der Treppe und horcht
auf. Das ist er.

Doch nein — ein unbekannter Tritt.

Es klopft. Auf ihr „Herein!" tritt Bohlen,
ein Freund ihres Mannes, ein. Beide arbeiten
zusammen auf der Werft.

„Gut'» Abend, Frau Mertens!"

„Guten Abend, Bohlen! Nehmen Sie Platz."

Bohlen winkt ängstlich ab: „Nee, ich danke.
Ich wollte mich »ich lange aufhalten. Ich, ich,
n ollte man bloß "

Frau Mertens bemerkt seine Verlegenheit.
„Haben Sie Heinrich nicht mitgebracht?"

„Nein — Heinrich kommt JhrMnnn, Frau
Mertens, kommt heute Abend — wohl »ich
mehr, Frau Mertens, er —"

Frau Mertens tritt bestürzt an Bohlen heran
und schaut in sein bekümmertes Gesicht. „Sagen
Sie, Bohlen, was ist mit Heinrich?"

„Er ist ", weiter kam er nicht. Daß er cs
gerade sein muß, der dieser Frau mit der schlim-
meu Nachricht das Herz zerreißen muß.

„Mein Gott, so reden Sie doch!" schreit die
Frau.

„Ja, Frau Mertens, sie müssen sich fassen!
Wir haben's schon immer gesagt, das mit der
Stellage geht nicht mehr lange gut, aber die
Firma läßt nichts machen, und — nun ist es
gekommen —"

„Bohlen, ist Heinrich verunglückt?" Sie um-
klammert seinen Arm.

Sein Gesicht sagt ihr jetzt alles!

„Lebt er noch?"

Bohlen schüttelt tränenden Auges den Kopf.
„Kurz vor Feierabend ist's passiert."

Mit dumpfem Schrei sinkt Frau Mertens
auf den Stuhl nieder.

Bohlen steht ratlos da. Es ist ihm, als sei
er schuld an alleni. So schwer ist ihm noch
kein Gang geworden.

Leise verläßt er das' Zimmer, trösten kann
er nicht, ihm ist selber so schwer ums Her-.

Draußen läuten die Glocke» das christliche
Weihnachtsfest ein.

Die Kirche.

„Es ist eine Ros' entsprungen
Aus einer Wurzel zart" —

Sie reden davon und singen.
Die Christen der Gegenwart.

Die Rose ist abgefroren
Wohl auf der kalten Flur:
Wir unten, wir Enterbten,
Verspüren die Dornen nur...
 
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