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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 30.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.7671#0408
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8164

Linrich Peddersens erste Liebe.

Eine Dezembcrgeschtchte von Paul Enderling.

„Na. Hinrich, wollen wir nicht auf den ,Dom'
gehen?"

„Nee, nee. mienJung, lat mi damit tofreden!"

Und Hinrich Peddersen rührte in seinem Grog-
glas, als wollte er den Klang der Weihnachts-
glocken von draußen nachahmeil.

Ich lachte mir eins und sagte: „Gebranntes
Herz scheut das Feuer, nicht wahr. Hinrich?"

Er aber tat als hörte er nichts, und trank
seinen Weihnachtsgrog wie Wasser.

Und doch war Hinrich Peddersen einmal
ein leidenschaftlicher Besucher des Hamburger
„Doms" gewesen, — dieses Riesenjahrmarkts,
der sich Jahr für Jahr den ganzen Dezember
über aus dem Heiliggeistfelde zwischen Altona
und Hamburg aufbaut. Es ist eine ganze Buden-
stadt. von tausend Lichtern erhellt, von tausend
Geräuschen durchtobt, in tausend grellen Far-
ben flimmernd.

Daß auch Hinrich Peddersen den Tomjubel
mitmachte, war kaum glaublich. Er war ein
echter Friese und die Bequenilichkeit selbst.
Gußstahl ivar Quecksilber gegen seine Natur.

Aber damals, vor zwei Jahre», wunderte
er Abend für Abend durch den schwärzlichen
Teig, in den der ewige Regen das Erdreich
verwandelt hatte.

Unter Regenschirmen
blickten fröhliche Mäd-
chcngesichter nach dem
frischen Burschen. Aber
er bemerkte das nicht.

Hinrich PeddersenSHerz
war nicht mehr zu haben:
cs war ganz und gar ver-
geben an —, ja, an wen
eigerillich? Den Namen
hat er nie erfahren. Was
er von ihr wußte, war,
daß „sie" in rosa Trikots
vor der Bude stand, in
d er„Camelia, dielliiesen-
dame" auftrat, und die
Leute zum Eintritt er-
munterte.

Sobald der „Dom" be-
gann, wunderte er durch
die Menschenmenge zwi-
schen den Budenreihen,

— umsummt, umbrüllt,
umpfiffen, umtobt vom
Lärm des Jahrmarkts.

Er wanderte, bis er vor
derBudederRiesendame
stand und aufseine An-
gebetete starren konnte.

„Immer 'reinspaziert,
mein Herr! Nur einen
Groschen! Tie weltbe-
rühmte Riesendame Ca-
melia beehrt zum ersten
Male Hamburg." Der
Budeubesitzer schnarrte
es herunter und die Dame
in den rosa Trikots ak-
kompagnierte ihn mit
eurer Stimme, die Hin-
rich eine süße Flöten-
stimme dünkte: „Aber
treten Sie doch ein, mein
Herr!"

Um ihn war es ge-
schehen. Er zahlte dcn
Eintritt und ging in das
Innere. Riesendamen
waren ihm etwas un-
sagbar Greuliches und

Widerliches. Aber was half es? Er bestaunte
ihre Körperfülle, hörte geduldig ihre Biographie
an und taufte aus der Hand der Trikotdame
eine Ansichtskarte Camelias.

Hinrich kam in eine schlimme Situation:
sehen nmßte er die Heißverehrte. Und so blieb
ihm nichts übrig, als jeden Abend, den Gott
werden ließ, sich die Riesendaine anzusehen und
Ansichtskarten zu kaufen. Da er dies mehrere
Male am Tage tat — denn die Vorstellung
war jedesmal nur allzu kurz — hatte er all-
mählich ein stattliches Bündel Karten beisam-
men. Meinen Rat, damit einen Handel zu trei-
ben und von dem Erlös eine Aussteuer zu
beschaffen, würdigte er aber keiner Antwort.

„Du sollst sehn, op Weihnachten ist sei mien
Bruut."

Ich ging eine Wette ein — auf eine Flasche
Whisky — und er nahm sie an.

Daß er die Wette verlor, kan; nun so.

Der Budeubesitzer hatte anfangs mit Inter-
esse den fleißigen Besucher betrachtet, der Abend
für Abend Groschen auf Groschen zahlte.

Bald aber erwachte ein Mißtrauen in ihm.
Denn da Hinrich Peddersen aus Schüchtern-
heit nie ein Wort zu der Trikotdame sagte,
blieb nur die Möglichkeit, daß er die Riesen-
dame liebte. Wie nun, wenn sie mit diesem
aufdringlichen Burschen auf und davon ging
und durch die Lande zog?

Hinrich Peddersen hatte von diesem Moment
an einen Feind mehr.

Eines Tages wurde er nicht mehr in die
Bude gelassen. Der Besitzer schob ihn hinaus:
„Es ist alles besetzt." Als Hinrich aber nach
einer Weile wiederkam, wurde er deutlicher:
„Camelia, die Rieseudame, legt nur auf besse-
ren Besuch Wert, inein Herr:"

Hinrich ging langsam iveiter. Sein Gehirn
arbeitete. Er ging durch den Regen vorbei
an den Zelten mit der „Seejungfrau" und den
„zwölf tleinsten Pferden", an den „letzten Az-
teken" an der Luftschaukel und steuerte auf ein
Lokal los, ivo in lebensgroßen Buchstaben
stand: „Köm un Beer 10 Pfennig."

Sonst saß er dort ganz behaglich und summte
vor sich hin. Etwa: „Ich sitz am Faß und
gröhl' mich was . .."

Heute aber grübelte er vor sich hin, schlug
zornig mit den Fäusten auf den Tisch und
trank mehr als er vertragen konnte.

Und als Ergebnis seines Grübelns stand
endlich der Entschluß bei ihm fest, morgen die
Geliebte aus den Klauen des Budenbesitzers
zu befreien. Denn er war jetzt überzeugt, daß
sie nur mit Gewalt dort gehalten werde, und
er begriff mit einem Male, warum ihre Augen
immer so melancholisch waren.

Als ich ihn am nächsten Nachmittag sah,
blickte er wild drein: „Zu Weihnacht ist Ver-
lobung, das gelobige ich
dir."

„Na, ua?"

„Was 'u rechten Kierl
ist, hält sein Wort."

Und er ging, finster
entschlossen die Mütze
ins Genick gerückt, auf
den „Dom".

Aber er fand die Bude
„Camelias" nicht; in der
Reihewar eineLücke: der
Budenbesitzer hatte drei
Tage vor dem Ende der
Pacht sein Zelt abge-
brochen!

Hinrich Peddersen
konnte nicht einmal aus-
findig machen, wohin er
gezogen war. Nach Rot-
terdam, sagte der eine
Budennachvar,nachKiel,
sagte ein anderer.

„Und das Mächen,hm,
das mit den Trikots?"
fragte er endlich zögernd.

„Ah, mein Herr, da
kommen Sie gerade recht.
Die Dame ist sofort von
mir engagiert worden
und tritt in ihrer früheren
Eigenschaft als ,Dame
ohne Unterleib' bei mir
auf."

„Als was?" Hinrich
blieb der Mund vor Ver-
wunderung offen stehen.

„Als Dame ohne
Unterleib, mein Herr!
Bitte, treten Sie ein.
Nur zwei Groschen, ohne
jedes Extra-Entree." —
Aber Hinrich begehrte sie
nimmer zu schaue». Er
floh schaudernd.

Und drei Tage später,
am Weihnachtstag, tran-
ken wir einen feinen
Whiskygrog aus das
Wohl seiner ersten Liebe.

Die Staatskirche.

Sie ist morsch und wackelig, keiner getraut sich mehr hincinzugehen--
 
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