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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 31.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.8258#0012
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Prophezeiungen für 1914.
Wir haben bei den berühmtesten Astrologen,
Kartenschlägern, Handlescrn und ähnlichen
Propheten eine Rundfrage veranstaltet, um
den Lesern des „Wahren Jacob" ein möglichst
klares Bild von dem zu geben, was ihnen das
kommende Jahr bringen wird. Wir haben keine
Kosten gescheut und keine Wege gespart, um
das Nachfolgende zu erfahren:
Dos Jahr 1914 wird zwölf Monate lang dauern.
Die mondlosen Nachte werden sehr finster sein.
Die Sonne wird nnr am Tag scheinen und bei
ihrem Uniergehen den Himmel oft blntigrot särben.
Die erfrorenen Obstbäume werden keine Früchte
tragen.
Wenn es Ende Dezember kalt genug wird, ge-
frieren die Flüsse.
Es werde» viele Kinder geboren werden — nnd
viele sterben. Auch ältere Leute werden das Zeit-
liche segnen.
Ohne Geld wird man nichts kaufen können.
Bei den folgenden Prophezeiungen möchten
wir unseren Lesern raten, sich nicht ganz fest
auf sie zu verlassen:

Der deutsche Kronprinz wird nicht gegen seinen
Herrn Papa manisestieren.
Der Kriegsminister v. Falkcnhayn wird zum Nach-
folger den Neichstagsabgeordneten l)r. Liebknecht
erhalten.
Das Zentrum wird den rühmlichst bekannten
Sozialisten Jesus Christus zum Ehrenmitglied er-
nennen.
Die Steuern werden geringer werden -- nnd
infolge der raschen Vermehrung der Ochsen nnd
Hämmel in Deutschland werden die Flcischpreise
sinken.
Ein bekannter preußischer Staatsmann (B....
H....), der auch in der Politik des Deutschen
Reiches eine allererste Rolle spielt, wird endlich klar
sehen. (Wir machen unsere Leser hier ganz beson-
ders daraus aufmerksam, daß wir uns nicht mehr
recht entsinnen, ob ter betreffende Weissager ein
Karten- oder ein Schaumschläger war.)
Die nationalliberale Partei wird öffentlich ver-
kündigen, was sie will — nnd ihr Führer, Herr
Neichskagsabgeordneter Bassermann, wird eine Bro-
schüre veröffentlichen, die den Titel hat: „Strom
und Gegenstrom. Links- nnd Rechtswellcn. Eine
elektrisch-politische Untersuchung."
Die katholische Kirche wird das Zölibat der Geist-
lichen aufhcben, nm den Rückgang der Geburten
in Deutschland zu verhindern.

Ein kaiserlicher Erlaß wird verfügen, daß es
nölig ist, richtig lesen nnd schreiben zu können, um
Leutnant zu werden.
Ganz unwahrscheinlich erscheinen uns fol-
gende Prophezeiungen, die wir uns trotz alle-
dem für verpflichtet halten, unseren Lesern
unter allem Vorbehalt mitzuteilen:
Die Klassengegensätze werden als unzulässig und
ordnungswidrig abgeschafsl.
Die Proletarier werden ausnahmslos zur kon-
servativen Partei übertreten.
Der Ncichsverband zur Bekämpfung der Sozial-
demokratie wird nur noch mit der Wahrheit arbeiten.
Eine Reihe von gesetzlichen Bestimmungen, deren
Annahme durch den Bundesrat jetzt schon feststeht,
wird dafür sorgen, daß die vierzehn Millionen
eingeschriebener Reichstagswähler ebensoviel poli-
tische Rechte erhalten als die paar Dutzend preußisch-
adliger Schnapsbrenner, deren „Geist" hcme noch
maßgebend ist.
Der Kaiser wird sich als Mitglied in die sozia-
listische Organisation von Groß-Berlin cinschreiben
lassen, nm endlich ans diese Weise die gewaltige
Mehrheit der Bevölkerung Seiner Hauptstadt ans
Seine Seite zu bekommen. Abdul-Lpas-Js.

Ein Opfer der Bücher.
Ans den Akten des Prozesses gegen die Gräfin Fischler von Treuberg, ged. Uhl.

Dem bochedlcn Junker Dagobert von Trottelwitz
hatte, als er noch in der Wiege lag, eine Groß-
tante aus den Linien des kleinen Patschhändchens
geweissagt, er werde glücklich und der Stolz seines
Geschlechts werden. Nur eine Gefahr drohe ihm:
viele Bücher! Davor müsse er sich darum allezeit
hüten. Tiefer Mahnung eingedenk überlieferte Da-


gobert, sobald er der Schule entronnen war, seine
wenigen Bücher dem verdienten Feuertod.
Nur mit Sorge ließen ihn seine Eltern die Uni-
versität beziehen. Aber im Schutze eines hochfendalcn


Korps entging Dagobert jeglicher Gefahr und brachte
es fertig, während seiner ganzen „Studienzeit" kein
Buch vor die Angen zu nehmen.


Infolgedessen bestand er sein Examen als Nc-
gierungcresercndar glänzend und wurde selbstver-

ständlich alsbald auch Leutnant der Reserve nnd
somit ein wahrhaft erstklassiger Kavalier.
Mit großer Gewissenhaftigkeit widmete er sich
den Pflichten eines solchen. Die Nächte verbrachte


er zum größten Teil in der Gesellschaft gleichgestimm-
ter Seelen mit dem Studium des Spiels, wobei er
vor schweren Geldopfern nicht znrückscheute, um die
Geheimnisse der Gewinn- und Verlnstwahrschcinlich-
keiten zu erforschen.
Doch auch den nicht minder anstrengenden und
kostspieligen Pflichten, die dem vollendeten Gentleman


nach den Gepflogenheiten unserer heutigen Zeit im
Verkehr mit edlen Frauen erwachsen, entzog sich Da-
gobert nicht.
Leider mußte er ciues schöne» Nachmittags beim
Aufwachen iu der trauten Kemenate einer kleinen


„Fischlerin" die betrübliche Entdeckung machen, daß
sein ganzes, nicht unansehnliches Vermögen sich m
Schulden verwandelt hatte.
Durch Vermittlung jener Dame, deren Herzens-
güte nicht minder hervorragend war als ihre ge-
schäf liehen Tugenden, lernte er einen wackeren Alieu
kennen, der sich in selbstlosester Weise bereit erklärte,


einem erstklassigen Kavalier wie Dagobert aus einen
Wechsel über 400! 0 Mark nicht weniger als 30000
Mark zu leihen.
Doch eine schreckliche Enttäuschung wartete seiner.


Statt des baren Geldes schickte ihm der brave Helfer
in der Not für 30 000 Mark Bücher!
Da erinnerte sich Dagobert der Prophezeiung
seiner frommen Großtante und, sich demütig der


höheren Fügung GotteS beugend, machte er seinem
edlen Dasein ein durchaus kommentmäßiges Ende.
Er ruhe in Frieden! W
 
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