Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 31.1914

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8258#0023
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
8195

And mit altpreußischer Courage
Der Leutnant Schokolade kauft.


Den Bürgerstolz hat dies verdrossen
And er beklagt sich drüber schwer —


Doch der Major v. Bethmann -Hollweg
Fühlt sich durchaus als Militär.

Darob ergrimmt die Bllrgerseele
And mit des Zornes Angestüm

Erteilte sie durch ihre Boten
Ein strenges Tadelsvotum ihm.



.Der Eindruck ist ein fulminanter —
Zufrieden blickt der Patriot,


Zufried'ner noch die Soldateska
Kurz, alles ist im richt'gen Lot!
And so erschallt des Bürgers Hurra
Vom Rheinstrom bis zum Memelfluß


Mit unverminderter Begeiferung
Auch an des Jubeljahres Schluß!

Die Neujahrs-Prophetin.
Von Filacius.
Frau Aurelia Kaffeesatz hatte am Nenjahrstag alle
Hände voll zu tun. Jungfrauen zwischen siebzehn
und siebzig kamen, verschüchtert lächelnd, mit dem
Blei, das sie am gestrigen Abend gegossen - und
die Wahrsagerin deniete ihnen die krausen Formen
als Myrtenkranz, als Nest, als Schiff, das eine
weile Reise bedeute, nsw.
Herren waren seltener. Vielleicht waren sic zu
zweifelsüchtig, um den Prophezeiungen und Deu-
tungen ;n glauben. Vielleicht fehlte ihnen auch ein-
fach die Phantasie, die in die Zukunft hineinwandern
möchte. Um so erstaunter war Fran Kaffeesatz, als
ein großer eleganter Herr ins Zimmer trat, der gleich
ein Goldstück ans dem Altar der Pythia opferte.
„Was ist Ihr Begehr?"
„Ich will . . . ich möchte in die Zukunft sehen",
stotterte der Fremde verlegen.
„Gern. Wollen Sie aus dem Bleiguß, ans den
Karten —"
Der Herr wehrte ab. „Es handelt sich
nicht um meine Zukunft. Ich möchte wissen,
was die Politik und was damit zusammen-
hängt, im neuen Jahr bringt. Ich bin
riesig neugierig darauf. Denn ich habe
keine Ahnung davon . . ."
„Natürlich", entgegnete Frau Kaffee-
satz. „Sonst wären Sie ja nicht zu mir
gekommen. Politik kostet übrigens das
Doppelte "
„Ach ja, die teure Politik", seufzte der
Fremde und opferte noch ein Goldstück.
Die Prophetin hüllte sich tiefer in ihre
schwarze Mantille, schüttete Kaffeegrund
ans einen Teller und begann mit ver-
schlossenen Augen darin herumznrnhren.
„Fragen Sie. Ich werde antworten", be-
gann sie mit hohler Stimme.
„Was wird mit England werden?"
fragte der Besucher.
„Es wird immer weiter provozieren",
kündete die Seherin. „Es wird Deutsch-
land direkt brüskieren, indem einer seiner
Minister die allseitige Einstellung des
Flottenbans vorschlägt."
„Diese Bande!" knirschte der Fremde.
„Gibt cs Krieg?"
„Der Krieg erschein! infolgedessen un-
vermeidlich. Er wird nur dadurch ver-
hindert, daß die Börsenlente, die gerade
aus Hausse spekuliert haben, ihn nicht
wollen.
„Hm. Und Albanien?"
„Ich sehe einen jungen Mann an die
frische Luft befördert; um seinen Thron
beginnt ein neues Wettrennen."
„Um Gotteswillen", begann der Be-
sucher zähneklappernd. „Sie meinen doch
nicht gar den in Braunschweig."

„Aber nein. Der Braunschweiger Löwe ist fromm."
„Ja, Golt sei Dank, es ist kein Leipziger Löwe!"
„Und Rußland?"
„Es vergeht eine ganze Woche ohne Pogrom.
Die ,Nowoje Wrcmja' erscheint bis zum nächsten
Ritnalmordprozeß Mit Trauerrand."
„Und die Österreicher? Wandern sie immer noch
so gern liiid zahlreich ans?"
„Ja. Aber sie sind vernünftig geworden und gehen
nur noch nach dem schönen, freien Preußen!"
Der Besucher rieb sich schmunzelnd die Hände.
„Prächtige Leute", murmelte er vor sich hin. „Präch-
tige Leute."
„Im Elsaß", begann die Prophetin wieder, „im
Elsaß —"
„Reden wir nicht vom Elsaß! Reden wir von
erfreulicheren Dingen," wehrte der Besucher ab.
Aber Frau Kaffeesatz war im Zuge und ließ sich
nicht anshnlten: „Im Elsaß werden überall — Wackes-
Figuren-Kabinettc errichtet. Leutnant v. Forstner
wird, da er seine Befähigung zum Kolonisieren über-

aus glänzend bewiesen hat, nach unser» Kolonien
geschickl."
„Was sehen Sic sonst in Deutschland?"
„An S>elle des verbotenen Tango wird der Korn-
walzer gesetzt. — In Berlin IV. wird eine Ordcns-
stcrnwartc errichtet. — Der Kölner Sittlichkeitsbnnd
fordert, daß endlich die K uder mit der Nähmaschine
gemacht werden. — Hcrtliug wird verklagt, weil
cr die Lnstbarkeitssteuer für die Kehlhcimer Feier
noch nicht bezahlt hat."
„Armer Freund!" sprach der Fremde leise vor
sich hin.
Die Seherin prophezeite weitem „Die Mecklen-
burger Ritter senden eine Kommission nach den
Fidschi-Inseln, um dort die Verfassung zu studieren.
— Prinzeß Luise voll Belgien kann sich vor ihren
Gläubigern nicht reite» und geht als Marketenderin
zur Fremdenlegion. — Ein Bttrgerichreck beunruhigt
alle Gemüter. Er entpuppt sich als Pleitegeier, wird
aber ebensowenig erlegt wie der Baucrnschreck in
der Steiermark. — Es. wird ein Agrarier in Ost-
elbien gefunden, der sein richtiges Ein-
kommen versteuerte."
Der Besucher lächelte ungläubig.
Im Vorzimmer wurde cs unruhig Die
Wartenden lärmten vor Ungeduld und
wollten durchaus hereindringen. Frau
Kaffeesatz wollte ihre Prophezeiungen ab-
brcchcn.
„Bitte," sagte der Fremde, „eins hätte
ich noch gern gewußt: Bekomme ich in
diese!» Jahre einen Orden?"
„Gewiß. Und noch etwas Anderes wer-
den Sie kriegen: ein Mißtrauensvotum!"
„Das interessiert mich nicht. Wir le-
ben doch schließlich in keinem modernen,
parlamentarischen Staat! Ei» deutscher
Reichskanzler —" Er schloß erschreckt 1>en
Mund, da er sein Inkognito so unbedacht
ausgrgebcn hatte.
„Lassen Sic mich ausredcn," vollendete
die Pythia. „Ihr Mißtrauensvotum trägt
den Poststempel Klein-Tschunkäwc und
die Unterschrift des Königs Heydebrand!"
„Ach du meine Güte!" schrie Beth-
manu ans. Er nahm seinen Zylinder Hut
und stürzte, ohne ein weiteres Wort her-
vorzubringen, durch die erschreckte» Be-
sucher davon.

Ein Verzicht!
Der Papst wird, wie mail hört, auf
die weltliche Herrschaft verzichte».
Aus ähnlichen Gründen will auch
Bethittann Hollwcg auf den Thron in
der Türkei, Leutnant v. Forstner auf die
Präsidentschaft in Frankreich und die Re-
daktion des Wahren Jacob auf den ihr zu-
gedachten Nobelpreis Verzicht leisten.

Das Winterasyl der Arbeitslosen.


Polizist: Warum renueu Sie dem: so? Sie können wohl nicht schnell
genug ins Kittchen kommen?!
Der Verhaftete: Herr Wachtmeester, ick habe Angst, det der Andrang
zu jroß is!
 
Annotationen