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Der bequemste Weg.
Sie war das Kind gut katholischer Eltern
und hatte in dem kleinen Eifeldorf eine streng
religiöse Erziehung genossen. Der Lehrer und
der geistliche Herr waren immer mit ihr zu-
frieden gewesen. Mit empfänglichem Sinn hatte
die kleine Lisbeth die Sätze der kirchlichen
Glaubens- und Sittenlehre in sich ausgenom-
men, und als sie zum erstenmal zur heiligen
Kommunion ging, da war ihr weiches Herz
ganz vom lieben Jesuskind und der herrlichen
Jungfrau Maria erfüllt.
O, sie war der Mutter Gottes auch jetzt noch
treu. Mochten die Menschen sie auch schlecht
nennen; mochten alle sie verachten und ver-
stoßen, der heilig n Mutter Gottes mit dem
Jesusknäblein war sie treu geblieben. Und die
würde auch sie nicht verlassen und würde sie
dereinst vor den Qualen der Hölle bewahren
und zu sich in ihr himmlisches Reich auf-
nehmen — trotz des schlimmen Gewerbes, das
sie betrieb.
Wie es gekommen war, daß sie zur Dirne
hcrabsank? Nicht anders, wie bei tausend an-
deren von Hans aus braven Mädchen. Ein
Sohn der „hochachtbaren" Familie, zu der man
sie in Dienst getan hatte, verführte das un-
erfahrene Ding mit beteuernden Worten und
heißen Zärtlichkeiten. Und als sich die Folgen
zeigten, wies inan die Jammernde aus dem
Hause. In einer öffentlichen Anstalt gab sie
einem Kindchen das Leben, das sie unter bit-
teren Tränen an ein kinderloses Ehepaar „ver-
schenken" mußte, um eine neue Stelle antreten
zu tonnen.
Diesmal kam sie zu einer „lustigen Witwe",
die das Leben von der amüsanten Seite nahm.
Ta sah Lisbeth denn manches, was sie vor-
her nicht gekannt hatte, und da die Dame ge-
sprächig und leutselig war, so richtete sich
Lisbeths niedergedrücltes Wesen bald wieder
ans. Phantasie und Sinne regten sich. Die
Sehnsucht nach Liebe und Lebensgenuß über-
kam sie.
Mit einer Kollegin aus demselben Hause
besuchte sie Vereinsfeste und Tanzvergnügen.
Bald hatte sie einen schmucken Unteroffizier
als Verehrer. Da ließ sie sich zum zweiten
Male überlisten, und als ihr „Bräutigam" er-
klärte, sie keinenfalls heiraten zu können, war
sie der Verzweiflung nahe.
Ihre gutmütige Herrin aber tröstete sie und
schickte sie zu e ner zuverlässigen Helferin. Nach-
dem Lisbeth dies überstanden und die Lehren
der freundlichen Dame, ivie man sich vor ähn-
lichem in Zukunft schützen könne, in sich aus-
genommen hatte, wurde sie immer widerstands-
loser die Beute wechselnder Verehrer, von denen
einer eine schwere Krankheit auf sie übertrug.
Da jagte auch die „lustige Witwe" sie aus
dem Hause. Als sie nach langwieriger Behand-
lung aus dem Krankenhaus entlassen wurde,
stand sie mittellos und von allen Seiten ver-
lassen auf der Straße. Dort fand sie Lieb-
haber, bevor sie danach suchte. Und so war
sie eines Tages „eingeschriebene Dirne".
Nun hatte sich ein Abgrund aufgetan zwi-
schen ihr und der ehrbaren Gesellschaft. Ihre
Schande war der Heimatsbehörde gemeldet
worden. Ihr Vater hatte sie verflucht und ver-
stoßen. Alle früheren Bekannten mieden sie
wie eine Aussätzige. Allmählich wurde sie
stumpf gegen die Verachtung, die ihr alle „an-
ständigen" Menschen zn fühlen gaben. Und
gleichgültig ertrug sie das Los der Ausge-
stoßenen und Ausgebeuteten.
Heute aber waren Stunden innersten Leids
und wilder Empörung über sie gekommen.
Schluchzend und immer wiederin lautes Weinen
ausbrechend lag sie auf ihrem Bett. Ein Ab-
gesandter des katholischen Rettungsvereins war
bei ihr gewesen. O, was für furchtbare Dinge
er ihr gesagt hatte! Von ihrem gemeinen,
schmutzigen Gewerbe hatte er gesprochen, von
der doppelten Todsünde, die sie jedesmal be-
gehe, wenn sie mit ihren Lockungen einen ehr-
baren Mann in das Netz des Bösen verstricke.
Alle Qualen der Hölle hatte er ihr angedroht,
falls sie nicht noch rechtzeitig Buße tue und
in eine klösterliche Rettungsanstalt, die er ihr
nannte, ein träte.
Sie hatte sich gewunden unter den schreck-
lichen Anklagen und Drohungen. Heulend hatte
sie sich dagegen gewehrt, daß sie so schlecht
sei, wie er sie hinstellte; daß sie allein schuld
sei an ihrem Unglück. Als er dann zornig
wurde und sie eine verstockte H... nannte,
da übermannte auch sie die innere Empörung
und sie schleuderte dem Pharisäer wüste Be-
schimpfungen an den Kopf. Der aber spuckte
vor ihr aus und warf die Tür hinter sich ins
Schloß.
Nun lag sie noch immer in trostlosem Jam-
mer auf dem Bett und rang vergebens nach
Fassung. So ein ganz und gar ausgestoßenes,
verachtetes und verlorenes Geschöpf also sollte
sie sein. Ausgespuckt hatte er vor ihr und -
wenn dies elende Leben zu Ende wäre, dann
standen ihr die furchtbaren ewigen Peinigungen
der Hölle bevor. Sie wagte nicht mehr zur
Mutter Gottes aufzusehen. Beide Hände vor
das Gesicht pressend überließ sie sich einem
krampfhaften, fassungslosen Weinen.
Da erklang die Glocke des Korridors. Die
Wirtin war nicht zn Hause. So stand Lisbeth
auf, wusch sich rasch die geröteten Augen und
sah nach, was es gab. Der Zeitungsträger
hatte den „Anzeiger" vor die Tür gelegt. Sonst
nichts. Sie nahm mechanisch das Blatt auf
und überflog flüchtig dessen lokalen Teil.
Eine Notiz schien sie zu fesseln. Sie las sie
aufmerksam, und während sie las, hellten sich
ihre Züge auf. Nachdenklich ließ sie das Blatt
auf den Schoß sinken und nahm es wieder
auf, um die Notiz nochmals auf das genaueste
zn studieren.
Ja, da eröffnete sich ihr noch ein anderer
Rettungsweg. Er führte nicht in die verhaßte
Rettungsanstalt, die nach allem, was sie da-
von gehört hatte, schlimmer war als das Ge-
fängnis. Nein, der Weg, der ihr hier gezeigt
wurde, war leicht und bequem.
In der Notiz stand nämlich, daß jeder, der
an die Oberin eines benachbarten Klosters
eine Summe von 50 Mark für den Ausbau
einer Kapelle zum Heiligen Herzen Jesu schicke,
folgende Segnungen erlange: erstens monat-
lich eine heilige Mess? für sein und seiner An-
gehörigen Seelenheil; zweitens Anteil an allen
Gebeten und Kommunionen; und zum dritten
solle sein Name als Stifter auf einer Marmor-
tafel im Chor der Kapelle angebracht werden.
Mit verklärtem Ausdruck ruhten Lisbeths
Augen auf diesen Verheißunge >, die, wie weiter
zu lesen war, unter ausdrücklicher Druckerlaub-
nis des erzbischöflichen Ordinariats zugesichert
waren. Ihr Entschluß stand fest. Was konnle
der Teufel ihrer Seele anhaben, wenn sie An-
teil an so viel Messen, Gebeten und Kom-
munionen erlangte. Und werdurfte noch wagen,
sie eine verachtete und verlorene Person zu
nennen, wenn ihr Name auf einer Marmor-
tafel im Chor ciner Kapelle stünde.
Dankbar blickte sie zum Bilde der Mutter
Gottes auf. Es schien ihr, als ob der Strahlen-
kranz ums Haupt der Göttlichen Heller leuchte
und als ob das Jesusknäblein auf ihrem Schoße
ihr noch freundlicher zulächle als sonst.
Aber fünfzig Mark war viel Geld! Sie
mußte der Wirtin so viel abgeben für Woh-
nung und Verpflegung. Auch für die Kleider
halte sie große Ausgaben und wurde dabei
von den Geschäftsleuten überteuert. Augen-
blicklich hatte sie sogar einige Schulden. Trotz-
dem, wenn sie sich besondere Mühe gab und
nicht wählerisch war, würde sie die Summe
bald hereingeholt haben. Und eine fröhliche
Tanzmelodie trillernd, warf sie sich in ihren
Putz und verließ zeitiger als sonst ihre Woh-
nung. M
Der bequemste Weg.
Sie war das Kind gut katholischer Eltern
und hatte in dem kleinen Eifeldorf eine streng
religiöse Erziehung genossen. Der Lehrer und
der geistliche Herr waren immer mit ihr zu-
frieden gewesen. Mit empfänglichem Sinn hatte
die kleine Lisbeth die Sätze der kirchlichen
Glaubens- und Sittenlehre in sich ausgenom-
men, und als sie zum erstenmal zur heiligen
Kommunion ging, da war ihr weiches Herz
ganz vom lieben Jesuskind und der herrlichen
Jungfrau Maria erfüllt.
O, sie war der Mutter Gottes auch jetzt noch
treu. Mochten die Menschen sie auch schlecht
nennen; mochten alle sie verachten und ver-
stoßen, der heilig n Mutter Gottes mit dem
Jesusknäblein war sie treu geblieben. Und die
würde auch sie nicht verlassen und würde sie
dereinst vor den Qualen der Hölle bewahren
und zu sich in ihr himmlisches Reich auf-
nehmen — trotz des schlimmen Gewerbes, das
sie betrieb.
Wie es gekommen war, daß sie zur Dirne
hcrabsank? Nicht anders, wie bei tausend an-
deren von Hans aus braven Mädchen. Ein
Sohn der „hochachtbaren" Familie, zu der man
sie in Dienst getan hatte, verführte das un-
erfahrene Ding mit beteuernden Worten und
heißen Zärtlichkeiten. Und als sich die Folgen
zeigten, wies inan die Jammernde aus dem
Hause. In einer öffentlichen Anstalt gab sie
einem Kindchen das Leben, das sie unter bit-
teren Tränen an ein kinderloses Ehepaar „ver-
schenken" mußte, um eine neue Stelle antreten
zu tonnen.
Diesmal kam sie zu einer „lustigen Witwe",
die das Leben von der amüsanten Seite nahm.
Ta sah Lisbeth denn manches, was sie vor-
her nicht gekannt hatte, und da die Dame ge-
sprächig und leutselig war, so richtete sich
Lisbeths niedergedrücltes Wesen bald wieder
ans. Phantasie und Sinne regten sich. Die
Sehnsucht nach Liebe und Lebensgenuß über-
kam sie.
Mit einer Kollegin aus demselben Hause
besuchte sie Vereinsfeste und Tanzvergnügen.
Bald hatte sie einen schmucken Unteroffizier
als Verehrer. Da ließ sie sich zum zweiten
Male überlisten, und als ihr „Bräutigam" er-
klärte, sie keinenfalls heiraten zu können, war
sie der Verzweiflung nahe.
Ihre gutmütige Herrin aber tröstete sie und
schickte sie zu e ner zuverlässigen Helferin. Nach-
dem Lisbeth dies überstanden und die Lehren
der freundlichen Dame, ivie man sich vor ähn-
lichem in Zukunft schützen könne, in sich aus-
genommen hatte, wurde sie immer widerstands-
loser die Beute wechselnder Verehrer, von denen
einer eine schwere Krankheit auf sie übertrug.
Da jagte auch die „lustige Witwe" sie aus
dem Hause. Als sie nach langwieriger Behand-
lung aus dem Krankenhaus entlassen wurde,
stand sie mittellos und von allen Seiten ver-
lassen auf der Straße. Dort fand sie Lieb-
haber, bevor sie danach suchte. Und so war
sie eines Tages „eingeschriebene Dirne".
Nun hatte sich ein Abgrund aufgetan zwi-
schen ihr und der ehrbaren Gesellschaft. Ihre
Schande war der Heimatsbehörde gemeldet
worden. Ihr Vater hatte sie verflucht und ver-
stoßen. Alle früheren Bekannten mieden sie
wie eine Aussätzige. Allmählich wurde sie
stumpf gegen die Verachtung, die ihr alle „an-
ständigen" Menschen zn fühlen gaben. Und
gleichgültig ertrug sie das Los der Ausge-
stoßenen und Ausgebeuteten.
Heute aber waren Stunden innersten Leids
und wilder Empörung über sie gekommen.
Schluchzend und immer wiederin lautes Weinen
ausbrechend lag sie auf ihrem Bett. Ein Ab-
gesandter des katholischen Rettungsvereins war
bei ihr gewesen. O, was für furchtbare Dinge
er ihr gesagt hatte! Von ihrem gemeinen,
schmutzigen Gewerbe hatte er gesprochen, von
der doppelten Todsünde, die sie jedesmal be-
gehe, wenn sie mit ihren Lockungen einen ehr-
baren Mann in das Netz des Bösen verstricke.
Alle Qualen der Hölle hatte er ihr angedroht,
falls sie nicht noch rechtzeitig Buße tue und
in eine klösterliche Rettungsanstalt, die er ihr
nannte, ein träte.
Sie hatte sich gewunden unter den schreck-
lichen Anklagen und Drohungen. Heulend hatte
sie sich dagegen gewehrt, daß sie so schlecht
sei, wie er sie hinstellte; daß sie allein schuld
sei an ihrem Unglück. Als er dann zornig
wurde und sie eine verstockte H... nannte,
da übermannte auch sie die innere Empörung
und sie schleuderte dem Pharisäer wüste Be-
schimpfungen an den Kopf. Der aber spuckte
vor ihr aus und warf die Tür hinter sich ins
Schloß.
Nun lag sie noch immer in trostlosem Jam-
mer auf dem Bett und rang vergebens nach
Fassung. So ein ganz und gar ausgestoßenes,
verachtetes und verlorenes Geschöpf also sollte
sie sein. Ausgespuckt hatte er vor ihr und -
wenn dies elende Leben zu Ende wäre, dann
standen ihr die furchtbaren ewigen Peinigungen
der Hölle bevor. Sie wagte nicht mehr zur
Mutter Gottes aufzusehen. Beide Hände vor
das Gesicht pressend überließ sie sich einem
krampfhaften, fassungslosen Weinen.
Da erklang die Glocke des Korridors. Die
Wirtin war nicht zn Hause. So stand Lisbeth
auf, wusch sich rasch die geröteten Augen und
sah nach, was es gab. Der Zeitungsträger
hatte den „Anzeiger" vor die Tür gelegt. Sonst
nichts. Sie nahm mechanisch das Blatt auf
und überflog flüchtig dessen lokalen Teil.
Eine Notiz schien sie zu fesseln. Sie las sie
aufmerksam, und während sie las, hellten sich
ihre Züge auf. Nachdenklich ließ sie das Blatt
auf den Schoß sinken und nahm es wieder
auf, um die Notiz nochmals auf das genaueste
zn studieren.
Ja, da eröffnete sich ihr noch ein anderer
Rettungsweg. Er führte nicht in die verhaßte
Rettungsanstalt, die nach allem, was sie da-
von gehört hatte, schlimmer war als das Ge-
fängnis. Nein, der Weg, der ihr hier gezeigt
wurde, war leicht und bequem.
In der Notiz stand nämlich, daß jeder, der
an die Oberin eines benachbarten Klosters
eine Summe von 50 Mark für den Ausbau
einer Kapelle zum Heiligen Herzen Jesu schicke,
folgende Segnungen erlange: erstens monat-
lich eine heilige Mess? für sein und seiner An-
gehörigen Seelenheil; zweitens Anteil an allen
Gebeten und Kommunionen; und zum dritten
solle sein Name als Stifter auf einer Marmor-
tafel im Chor der Kapelle angebracht werden.
Mit verklärtem Ausdruck ruhten Lisbeths
Augen auf diesen Verheißunge >, die, wie weiter
zu lesen war, unter ausdrücklicher Druckerlaub-
nis des erzbischöflichen Ordinariats zugesichert
waren. Ihr Entschluß stand fest. Was konnle
der Teufel ihrer Seele anhaben, wenn sie An-
teil an so viel Messen, Gebeten und Kom-
munionen erlangte. Und werdurfte noch wagen,
sie eine verachtete und verlorene Person zu
nennen, wenn ihr Name auf einer Marmor-
tafel im Chor ciner Kapelle stünde.
Dankbar blickte sie zum Bilde der Mutter
Gottes auf. Es schien ihr, als ob der Strahlen-
kranz ums Haupt der Göttlichen Heller leuchte
und als ob das Jesusknäblein auf ihrem Schoße
ihr noch freundlicher zulächle als sonst.
Aber fünfzig Mark war viel Geld! Sie
mußte der Wirtin so viel abgeben für Woh-
nung und Verpflegung. Auch für die Kleider
halte sie große Ausgaben und wurde dabei
von den Geschäftsleuten überteuert. Augen-
blicklich hatte sie sogar einige Schulden. Trotz-
dem, wenn sie sich besondere Mühe gab und
nicht wählerisch war, würde sie die Summe
bald hereingeholt haben. Und eine fröhliche
Tanzmelodie trillernd, warf sie sich in ihren
Putz und verließ zeitiger als sonst ihre Woh-
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