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Sonnenaufgang.
Nun schreibt ein blut'ger Griffel Weltgeschichte!
In Wehen windet Mutter Erde sich;
Kanonenschlünde werden zum Gerichte,
Und die Haubitzen donnern dumpf: Zerbrich!
Vernichtung rast erzklirrend durch die Auen,
Die Flamme zuckt um Hütte und um Turm ...
Wird unser Auge nach dem Wettersturm
Wohl einen heitern, Hellen Morgen schauen?
Nach Osten blickt, der uns das Licht gebiert,
Darin ihr Leben alle Wesen fristen ...
Nach Osten wieder, wo verrucht, verliert
Der Menschheit unheilvollste Schatten nisten!
Hier ist die Schlucht, wo sich der Drache regt,
Dess'Atem stinkend alle Well vergiftet;
Hier jene Werkstatt, die die Ketten stiftet,
Die man der Freiheit um den Nacken legt!
Hier wuchsen Galgen auf zu ganzen Wäldern;
Hier brach der Menschlichkeit man das Genick;
Und nichts gedieh so gut auf jenen Feldern
Als Flachs und Hanf zu Fessel, Strang und Strick!
-O O O
Hier ward erwürgt das Lichtheer der Gedanken,
Erstickt der Seelen edelstes Gefühl.
Wer zählt die Braven, die im Kampfgewühl
Mit ihren Henkern hier als Opfer sanken?
Nach Osten blickt! Blickt nach der Knute Land!
Und fühlt es tief: die finsterste der Mächte,
Europens Geißel, bebt in Qualm und Brand.
O, daß sie nun zum letzten Male fechte!
Daß endlich in Sibiriens grause Nacht
Die Kunde tönt: Berschwunden Strang und Henker!
Daß sie sich recken: Freiheitsmann und Denker!
Zum Licht empor aus der Katorga Schacht....
Es schreibt ein blut'ger Griffel Weltgeschichte!
In Wehen windet Mutter Erde sich.
Kanonenschlünde werden zum Gerichte,
Und die Haubitzen donnern dumpf: Zerbrich!
Zerbrich, zerbrich! Auf daß die Zwingburg fällt,
Drin sicher sich die Reaktion geborgen.
Daß er geboren wird, der große Morgen,
Der aus dem Osten leuchtet aller Welt! -p°n.
Zuversicht.
„Kühlen - Holz! . . . Holz — Kohlen!"
Der alte Hendrichs rief es und wackelte mit
seinem klapperigen Hundewagen langsam durch
die Gassen.
„Holz — Kohlen! . . . Kohlen - Holz!"
Die Stimme klang heiser und rostig; denn
der alte Hendrichs rief seit Jahren so, tag-
täglich seit Jahren.
Die Leute in der Gasse waren daran ge-
wöhnt. Frauen und Mädchen kamen mit Kör-
ben, Kohleneimern und Kisten, um sie füllen
zu lassen. Die meisten konnten sich ja keinen
großen Vorrat hinlegen, und beim alten Hend-
richs konnte inan sogar schon für zehn Pfennige
Feuerung erhalten.
„Kohlen — Holz! . . . Holz — Kohlen!"
Altere Leute erinnerten sich, daß dieser heisere
Nus ehemals von einer hohen jugendlichen
Stimme abgelöst wurde; daß Baß und Tenor
sich im gleichen Text abwechselten. Wie Gesang
war's, jahrelang. Bis der junge Hendrichs
eines Tages verschwunden war und nur der
eintönige Ruf des Alten noch durch die Gassen
klang. Franz war ausgerückt. Hatte sich mit
fünfzehn Jahren als Schiffsjunge auf einem
Segler anheuern lassen und war mit ihm auf's
große Wasser gegangen.
Zuerst war der Alte sehr böse gewesen; denn
er hatte immer von einer blühenden Entwick-
lung seines Geschäfts geträumt, das der Junge
einst übernehmen sollte; hatte davon geträumt,
daß der klapprige Hundewagen von einem
soliden Zweispänner abgelöst würde und daß
auf seinem Hofe Berge von Kohlen sich türmten.
Na, vielleicht wurde der Junge doch einmal
des Umhersegelns in der weiten Welt müde.
Und als die ersten Ansichtskarten aus fernen,
fremden Ländern kamen, war Vater Hendrichs
schon halb versöhnt. Eigentlich war es doch
ganz vernünftig von dem Jungen, sich ein
wenig frischen Wind um die Nase wehen zu
lassen und nicht von vornherein im Kohlen-
staub stecken zu bleiben. Inzwischen konnte man
sparen, Groschen auf Groschen legen, bis es
zum Zweispänner reichte.
Und eines Tages, nach Jahren, stellte sich
Franz zu Hause ein. Nur für einige Tage;
denn er wurde als Soldat zur Marine ein-
gezogen. Vordem frischen, kräftigen Jüngling,
der sich ihm da als sein Sohn präsentierte,
verging des Alten letzter Groll wie Butter an
der Sonne, und ein unbändiger Stolz erwachte
in ihm.
Erzeigte seinen Sohn herum wie ein Schau-
stück. Aber nicht alle konnten ihn sehen. Des-
halb und weil er ihn immer bei sich haben
wollte, mußte Franz das Versprechen geben,
sich in seiner Garnison photographieren zu
lassen und ein Bild zu senden.
Das war eingetroffen. Und bald darauf — —
die Nachricht vom Kriege.
Oho, da mußte vielleicht auch der Franz
ins Feuer!
„Jede Kugel trifft ja nicht," schrieb er.
Nee, haha . . . der Alte lachte. . .
Und seine Stimme nahm an Kraft und Tiefe
zu, wenn er nun durch die Gassen ries: „Kohlen
— Holz! .. . Holz — Kohlen!"
Sogar Leo, der Hund, blickte ihn zunächst
erstaunt an. Es war ein Ton in der Stimme,
der ihm unbekannt vorkam.
Und die Kunden verwunderten sich und
fragten: „'s große Los gewonnen, Vadder
Hendrichs?"
„Nee". Sein Bart, der ihm wie verwirrter
Flachs um Kinn und Wangen hing, geriet in
eine schlotternde Bewegung. „Spielen tu' ich
nich, haha. ... In Geldsachen hab' ich kein
Glück, haha.... Aber mein Junge, was? Der
ist doch jetzt auf'in Torpedoboot...Jawoll!...
Der Bengel wird seinen Weg machen, passen Sie
auf! . . . Haben Sie schon sein Bild gesehen?"
In des Alten Augen zeigte sich ein grenzen-
loses Erstaunen. „Sie haben meinen Franz
noch nicht gesehen?.! Na, da will ich ihn Ihnen
mal zeigen."
Und schmunzelnd und vorsichtig, als handle
es sich um eine kostbare, leicht zerbrechliche
Sache, zog Vater Hendrichs ein Kuvert aus
der Tasche, öffnete es mit den schmutzigen
Kohlenfingern und faltete das Seidenpapier
auseinander.
„Na?"
„Was für'n hübscher Mensch!" sagte eine
junge Frau.
Und ein junges Mädchen: „'n forscher Kerl!"
„He?" Der Alte blickte sie stolz an: „Der
wird's den Engländern schon besorgen, was?"
Eine alte Frau sah mitleidig auf das Bild:
„Ja, ja. Und nu denken zu müssen, daß er
vielleicht —"
Sie mochte es nicht aussprechen.
„Was denn? Sterben etwa?!" Vater Hend-
richs sah sie erstaunt an und lachte überlegen:
„Sterben? Der?" Und zwinkerte listig mit den
Augen. „Der stirbt nicht! Der?" Er blickte
auf das Bild und schüttelte den Kopf: „Kön-
nen Sie sich den tot vorstellen?" Er lachte
laut auf und wickelte das Bild vorsichtig wie-
der ein.
„Mein Bräuiigam ist auch dabei," sagte leise
und errötend ein junges Mädchen. „Vorgestern
war er noch gesund; aber daß er überhaupt
nicht-, das möchte ich doch nicht be-
schwören!"
„Jede Kugel trifft ja nicht, Fräuleinchen!
Es gibt Menschen," der Alte redete ganz ein-
dringlich und setzte ihr den Finger auf die
Sonnenaufgang.
Nun schreibt ein blut'ger Griffel Weltgeschichte!
In Wehen windet Mutter Erde sich;
Kanonenschlünde werden zum Gerichte,
Und die Haubitzen donnern dumpf: Zerbrich!
Vernichtung rast erzklirrend durch die Auen,
Die Flamme zuckt um Hütte und um Turm ...
Wird unser Auge nach dem Wettersturm
Wohl einen heitern, Hellen Morgen schauen?
Nach Osten blickt, der uns das Licht gebiert,
Darin ihr Leben alle Wesen fristen ...
Nach Osten wieder, wo verrucht, verliert
Der Menschheit unheilvollste Schatten nisten!
Hier ist die Schlucht, wo sich der Drache regt,
Dess'Atem stinkend alle Well vergiftet;
Hier jene Werkstatt, die die Ketten stiftet,
Die man der Freiheit um den Nacken legt!
Hier wuchsen Galgen auf zu ganzen Wäldern;
Hier brach der Menschlichkeit man das Genick;
Und nichts gedieh so gut auf jenen Feldern
Als Flachs und Hanf zu Fessel, Strang und Strick!
-O O O
Hier ward erwürgt das Lichtheer der Gedanken,
Erstickt der Seelen edelstes Gefühl.
Wer zählt die Braven, die im Kampfgewühl
Mit ihren Henkern hier als Opfer sanken?
Nach Osten blickt! Blickt nach der Knute Land!
Und fühlt es tief: die finsterste der Mächte,
Europens Geißel, bebt in Qualm und Brand.
O, daß sie nun zum letzten Male fechte!
Daß endlich in Sibiriens grause Nacht
Die Kunde tönt: Berschwunden Strang und Henker!
Daß sie sich recken: Freiheitsmann und Denker!
Zum Licht empor aus der Katorga Schacht....
Es schreibt ein blut'ger Griffel Weltgeschichte!
In Wehen windet Mutter Erde sich.
Kanonenschlünde werden zum Gerichte,
Und die Haubitzen donnern dumpf: Zerbrich!
Zerbrich, zerbrich! Auf daß die Zwingburg fällt,
Drin sicher sich die Reaktion geborgen.
Daß er geboren wird, der große Morgen,
Der aus dem Osten leuchtet aller Welt! -p°n.
Zuversicht.
„Kühlen - Holz! . . . Holz — Kohlen!"
Der alte Hendrichs rief es und wackelte mit
seinem klapperigen Hundewagen langsam durch
die Gassen.
„Holz — Kohlen! . . . Kohlen - Holz!"
Die Stimme klang heiser und rostig; denn
der alte Hendrichs rief seit Jahren so, tag-
täglich seit Jahren.
Die Leute in der Gasse waren daran ge-
wöhnt. Frauen und Mädchen kamen mit Kör-
ben, Kohleneimern und Kisten, um sie füllen
zu lassen. Die meisten konnten sich ja keinen
großen Vorrat hinlegen, und beim alten Hend-
richs konnte inan sogar schon für zehn Pfennige
Feuerung erhalten.
„Kohlen — Holz! . . . Holz — Kohlen!"
Altere Leute erinnerten sich, daß dieser heisere
Nus ehemals von einer hohen jugendlichen
Stimme abgelöst wurde; daß Baß und Tenor
sich im gleichen Text abwechselten. Wie Gesang
war's, jahrelang. Bis der junge Hendrichs
eines Tages verschwunden war und nur der
eintönige Ruf des Alten noch durch die Gassen
klang. Franz war ausgerückt. Hatte sich mit
fünfzehn Jahren als Schiffsjunge auf einem
Segler anheuern lassen und war mit ihm auf's
große Wasser gegangen.
Zuerst war der Alte sehr böse gewesen; denn
er hatte immer von einer blühenden Entwick-
lung seines Geschäfts geträumt, das der Junge
einst übernehmen sollte; hatte davon geträumt,
daß der klapprige Hundewagen von einem
soliden Zweispänner abgelöst würde und daß
auf seinem Hofe Berge von Kohlen sich türmten.
Na, vielleicht wurde der Junge doch einmal
des Umhersegelns in der weiten Welt müde.
Und als die ersten Ansichtskarten aus fernen,
fremden Ländern kamen, war Vater Hendrichs
schon halb versöhnt. Eigentlich war es doch
ganz vernünftig von dem Jungen, sich ein
wenig frischen Wind um die Nase wehen zu
lassen und nicht von vornherein im Kohlen-
staub stecken zu bleiben. Inzwischen konnte man
sparen, Groschen auf Groschen legen, bis es
zum Zweispänner reichte.
Und eines Tages, nach Jahren, stellte sich
Franz zu Hause ein. Nur für einige Tage;
denn er wurde als Soldat zur Marine ein-
gezogen. Vordem frischen, kräftigen Jüngling,
der sich ihm da als sein Sohn präsentierte,
verging des Alten letzter Groll wie Butter an
der Sonne, und ein unbändiger Stolz erwachte
in ihm.
Erzeigte seinen Sohn herum wie ein Schau-
stück. Aber nicht alle konnten ihn sehen. Des-
halb und weil er ihn immer bei sich haben
wollte, mußte Franz das Versprechen geben,
sich in seiner Garnison photographieren zu
lassen und ein Bild zu senden.
Das war eingetroffen. Und bald darauf — —
die Nachricht vom Kriege.
Oho, da mußte vielleicht auch der Franz
ins Feuer!
„Jede Kugel trifft ja nicht," schrieb er.
Nee, haha . . . der Alte lachte. . .
Und seine Stimme nahm an Kraft und Tiefe
zu, wenn er nun durch die Gassen ries: „Kohlen
— Holz! .. . Holz — Kohlen!"
Sogar Leo, der Hund, blickte ihn zunächst
erstaunt an. Es war ein Ton in der Stimme,
der ihm unbekannt vorkam.
Und die Kunden verwunderten sich und
fragten: „'s große Los gewonnen, Vadder
Hendrichs?"
„Nee". Sein Bart, der ihm wie verwirrter
Flachs um Kinn und Wangen hing, geriet in
eine schlotternde Bewegung. „Spielen tu' ich
nich, haha. ... In Geldsachen hab' ich kein
Glück, haha.... Aber mein Junge, was? Der
ist doch jetzt auf'in Torpedoboot...Jawoll!...
Der Bengel wird seinen Weg machen, passen Sie
auf! . . . Haben Sie schon sein Bild gesehen?"
In des Alten Augen zeigte sich ein grenzen-
loses Erstaunen. „Sie haben meinen Franz
noch nicht gesehen?.! Na, da will ich ihn Ihnen
mal zeigen."
Und schmunzelnd und vorsichtig, als handle
es sich um eine kostbare, leicht zerbrechliche
Sache, zog Vater Hendrichs ein Kuvert aus
der Tasche, öffnete es mit den schmutzigen
Kohlenfingern und faltete das Seidenpapier
auseinander.
„Na?"
„Was für'n hübscher Mensch!" sagte eine
junge Frau.
Und ein junges Mädchen: „'n forscher Kerl!"
„He?" Der Alte blickte sie stolz an: „Der
wird's den Engländern schon besorgen, was?"
Eine alte Frau sah mitleidig auf das Bild:
„Ja, ja. Und nu denken zu müssen, daß er
vielleicht —"
Sie mochte es nicht aussprechen.
„Was denn? Sterben etwa?!" Vater Hend-
richs sah sie erstaunt an und lachte überlegen:
„Sterben? Der?" Und zwinkerte listig mit den
Augen. „Der stirbt nicht! Der?" Er blickte
auf das Bild und schüttelte den Kopf: „Kön-
nen Sie sich den tot vorstellen?" Er lachte
laut auf und wickelte das Bild vorsichtig wie-
der ein.
„Mein Bräuiigam ist auch dabei," sagte leise
und errötend ein junges Mädchen. „Vorgestern
war er noch gesund; aber daß er überhaupt
nicht-, das möchte ich doch nicht be-
schwören!"
„Jede Kugel trifft ja nicht, Fräuleinchen!
Es gibt Menschen," der Alte redete ganz ein-
dringlich und setzte ihr den Finger auf die