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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 31.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.8258#0314
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8486

Vie vmcke.

Oer Hälen Lore sind geschlossen,
Oekrammelt liegen Pfad unci Pass,
Oer Kriegsgott sperrte Oentschiands grenzen,
Oie Oölker Irenni ein blincier Hass;
Oom Lruss, clen man hinttbersendet,
Kein freundlich Lcho schallt zurück,
Lin tiefer Schmer? erfüllt ciie Menschheit
Lind blutiger Oebel trübt clen Mick.
Ihr aber, Künstler unci gelehrte,
Oie ihr, vom Lärm des Lags verfübrt,
Oer Menschbeit höchster Out missachtet
Unci an des Steges Pfeilern rührt —
Zerpflückt clen Lorbeer nicht, clen freuclig
Linst eure Hand entgegennahm,
Missachtet nicht clen 2oll des Dankes,
Aeil er vom fremden Liter kam!

Herüber unci hinüber cvancieln,
Lrhaben über Kampf unci Streit,
Oie hehrsten Leister cier Nationen,
Oie Hüter ecller Menschlichkeit:
Oie Shakespeare, Lolstoi, Oarcvin, 2ola
Oah'n grüssend uns aus leindesland
Lind reichen Deethoven unci Ooethe
Unci Kant unci Marx ciie Druderhand!
Llernehmt äie Stimme jener grossen,
Oie warnend, mahnend zu euch spricht:
„bewahret diesen heil'gen Doden,
verstört uns unsre Drücke nickt!
Den Leist, der uns und euch regieret,
Kein Lrenzwall ihn in Kesseln hält,
Lud die Kultur, an der wir schaffen,
ist ein Desitz der ganzen Mell!"

Und doch, trotz grenzwehr, Asli und graben,
Oer drohend uns umschlossen hält,
Lrotz allem, was uns trennt, bedenket:
Air stehn nicht einsam in der Aelt!
Denn seht: es führt noch eine Drücke
Hinüber in des Feindes ?Iur:
Oie Kunst und Aissenschast uns bauten,
Oie heilige Drücke der Kultur!

Feldpostbriefe.
IV.
Geliebte Eltern! In eine Mußestunde mei-
ner siegreichen Tätigkeit lege ich das Kommiß-
brot beiseite und ergreife die Feder, um Euch
die angenehme Mitteilung zu machen, daß ich
mir seit meinem letzten Briefe andauernd bei
Gesundheit und ununterbrochen am Leben be-
funden habe. Leider können nicht alle meine
Kameraden dieses von sich behaupten. Denn
man mag sagen, was man will: der Krieg ist
und bleibt im allgemeinen eine Beschäftigung,
bei der man niemals nicht seines Lebens sicher
ist. Manchmal allerdings auch das Gegenteil!
Denn gerade im Feldzuge trifft das alte Sprich-
wort zu: „Es wird keine Kugel so heiß ge-
nossen, wie sie gegossen wurde", und „Unver-
hofft kommt oft, aber manchmal auch anders!"
Das folgende wahrheitsgetreue Erlebnis wird
Euch die Richtigkeit dieses Satzes bestätigen.
Also wir befinden uns seit einige Zeit in
die französische Champagne, die ihren Namen
von dem weltberühmten französischen Cham-
pagnerwein hat, welcher hier wächst. Ansehen
kann man das aber der Gegend nicht, denn
sie besteht aus Kalk und Steinen und erweckt
in die empfindsame Seele eines Berliners weh-
mutvolle Erinnerungen an Rüdersdorf und
Hankels Ablage. Bloß die Verpflegung ist nicht
halb so günstig, weil auf diesem Boden außer
moussierende Getränke keine richtige männliche
Nahrung nicht gedeihen tut. Da wir außerdem
seit gute vier Tage unsere Proviantkolonne
nicht mehr ins Auge geblickt hatten, so be-
fanden wir uns in ein starkes Dilemma und
ernährten uns auf sehr joviale Weise von rohes
Fallobst und echten Champagnerwein. Als die-
ses Menu gerade anfing, meinen Zwölffinger-
darm ernstlich zu belustigen, und ich mir wegen
meine innerliche Appelfüllung schon wie eine
jebratene Jans vorkam, da erhielt ich plötzlich
mit noch ein halbes Dutzend Kameraden den
Befehl, eine benachbarte Brücke zu besetzen und

ihr gegen eine nicht zu starke feindliche Über-
macht bis auf den letzten Mann zu verteidigen.
Das war ein ebenso ehrenvoller wie mul-
miger Auftrag von die beliebte Art, wo man
immer mit ein Bein ins Eiserne Kreuz und
mit das andere ins Jenseits zu stehen pflegt,
und wir wiegten uns bereits in die religiöse
Vermutung, unser nächstes Biwak beim heiligen
Petrus aufschlagen zu müssen. Und kaum hatten
wir unseren verlorenen Posten bezogen, da
brachte die ausgeschickte Schleichpatrouille auch
schon die beruhigende Mitteilung, daß starke
feindliche Truppen — unter Brüdern gerechnet
mindestens zwei Armeeköre - anrückten, um
uns auf unsere Brücke Gesellschaft zu leisten.
Wir hielten in alle Eile Kriegsrat ab, ob eine
solche Truppenmasse für sieben Kerls wie wir
als Übermacht zu betrachten sei, und wir kamen
zu das Resultat, wenn es Franzosen sind, denn
würden wir standhalten und bis auf den letzten
Mann in das Gras der Ehre beißen, wenn
es aber Engländer sind, denn müßten wir uns
zurückziehen, weil diese die unangenehme Ge-
wohnheit haben, sich immer gefangen nehmen
zu lassen, und wir nicht wußten, wie wir sieben
Waisenknaben einen Transport von zwei eng-
lische Armeeköre bewerkstelligen sollten. Die
Schleichpatronille sagte, daß sie nicht wüßte,
welche nationale Gattung der Feind angehörte,
denn sie hätte ihm nicht persönlich, sondern
man bloß die riesigen Staubwolken wahrge-
nommen. Nach das deutlich hörbare Gebrumme
und Geblöke zu schließen, müßten es aber wohl
Engländer sind.
Wir beschlossen deshalb, sofort einen ehren-
vollen Rückzug anzutreten, aber es war schon
zu spät dazu, denn in demselben Augenblick
kam auch bereits die feindliche Spitze über
einem benachbarten Hügel auf uns zugetrabt.
Zuerst glaubte ich 'ne olle Wand wackeln zu
sehen, dann hatte ich das Gefühl, als ob mir
ein Affe laust, und schließlich wünschte ich bloß
noch, es möchte mir eener 'n Storch braten,
aber'» milchernen, und dieBeene rechtknusprig!

Denn was soll ich Euch sagen, geliebte Eltern:
die feindliche Spitze entpuppte sich als zwei
Unteroffiziere von unserem Train, und dahinter
folgte in majestätischem Zuge, der gar kein
Ende nahm, die ganze seit vier Tagen schmerz-
lich vermißte Proviantkolonne mit appetiterre-
gende Herden von brummende Ochsen und
blökende Hammel! Das waren unsere Schleich-
patrouille ihre Engländer gewesen! Na, wie
wir die Brüder veräppelt haben, das könnt
Ihr Euch denken! Sie wären am liebsten vor
Scham ins Gelände versunken, aber das ist
dienstlich nicht gestattet.
Die Freude des Wiedersehens mit die wieder-
gefundene Präpelkolonne war ergreifend, und
da sie uns Mitteilen konnte, daß auf fünfzig
Kilometer Entfernung überhaupt keine feind-
liche Seele nicht zu erblicken sei, so durften
wir uns ihr anschließen. Wir ließen unsere
Schleichpatrouille mit das Hornvieh bunte
Reihe machen und trafen im Triumphzug wie-
der bei das Gros ein.
Welch eine Wendung durch Gottes Fügung!
konnte man da mit dem bekannten Dichter-
worte ausrusen, denn statt daß uns die feind-
liche Übermacht bei die Hammelbeine nahm
und mit blaue Bohnen traktierte, gab es noch
denselbigten Abend Hammelfleisch mit grüne
Bohnen! Und was das für Deinen ältesten
Sohn bedeutet, das wirst Du, liebe Mutter, aus
langjährige Erfahrungen bemessen können!
Als ich mir später beim Jlanze des Mon-
des in unser Biwakzelt verkrochen hatte, da
gab ich mir, wie das der Mensch in gesättig-
tem Zustande gewöhnlich zu tun pflegt,.aller-
hand philosophische Betrachtungen hin und
gelangte schließlich zu das unzweifelhafte Re-
sultat, daß der Soldat im Kriege nicht bloß
seines Lebens, sondern-manchmal auch seines
Sterbens nicht sicher ist! In die Hoffnung,
von Euch das gleiche nebst ein Paar wärmere
Socken baldigst zu vernehmen, bin ich bis
auf weiteres Euer dankbarer Sohn
August Säge jun., Garde-Grenadier.
 
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