— ° 8514 - --
„Dort unten in dem Grunde..
Zeichnung von G.Koch.
Schicksal.
In die Hände fällt ihm ein Zchrvert,
Zwischen die Schenkel läuft ihm ein
Pferd,
Windsbraut führt ihn von dannen,
Mitten hinein in das tiefste Gewühl,
Wo unser Bannerträger siel,
Ehe den Tag wir gewannen.
Riß er das Fähnlein aus sterbender
Hand,
vorwärts, hinein in den Lchlachten-
brand!
hinter ihm jauchzendes hoffen. —
Lang am Bache ein schmaler Rain:
Zwischen zitternden Blümelein
Liegt er zu Tode getroffen.
August willuig.
Klaas Possekel.
Auf einem Leiterwagen zogen die Reser-
visten, die ihre Kriegsorder bekommen
hatten, nach der Kreisstadt. Sie sangen
und jubelten und tranken im Dorf, und
kehrten zuletzt noch in dem kleinen Kram-
laden ein, den Klaas Possekels Mutter betrieb.
Sie spendierte für jeden einen Schnaps,
wünschte allen glückliche Heimkehr und sagte
mit halbem Bedauern: „Meiner muh ja da-
bleiben."
„Meiner", das war Klaas, ihr Sohn. Er
saß in einer dunklen Ecke des Kramladens auf
einer Tonne und blickte verlegen auf die fröh-
lich lärmenden Kameraden, die so gesund und
stark waren, daß sie schon jetzt alle Feinde zu
Boden schlugen, wenn auch zunächst nur in
der Rede.
„Bleib man hinternOsen," sagteWilliMeycr,
der Bäckerssohn. „Wir werden ihnen schon den
Teig anrühren."
lind Hein Born, der große robuste Bauern-
sohn, lachte: „Es is ganz gut, daß einer aus
unsere Malens aufpaßt."
„Junge, Junge," sagte ein anderer, „du nu
so ganz allein zwischen alle! Wird dir da nich
bange?"
Klaas Possekel lächelte verlegen.
Er lahmte auf dem linken Bein und war
auch sonst ein zarter, empfindlicher Mensch, der
bei den Mädchen wenig Glück hatte. Bemühte
sich auch nicht darum, weil ihm das Bewußt-
sein von seiner eigenen körperlichen Unvoll-
kommenheit dagegen sprach. Nur einmal hatte
er sich verloren: an die Schönste des Ortes,
die aller, Männern die Köpfe verdrehte, an
Windmüllers Kläre. Die sah ihn kaum an.
Verstand seine schüchterne Bewerbung wohl
gar nicht. Halte sich dann mit Hein Born ver-
sprochen und damit Klaas Possekels kühnen
Traum total vernichtet. Das wußte keiner außer
ihm, denn Klaas war nicht der Mann, über
solche Dinge zu schwatzen, die ihm gelegentlich
nur Spott eingetragen hätten.
Als jetzt der Leiterivagen mit den Kriegern
zum Dorfe hinausrumpelte, fühlte Klaas eine
gewisse Erleichterung. Er war nun vorläufig
vor Stichelredcn sicher, konnte seinen beschei-
tencn Beschäftigungen inr Kramladen nach-
gehen und hinten in der Stube über Büchern
und Zeitungen sitzen. Denn dies war seine
Leidenschaft: zu lesen und zu schreiben und über
den Kramladen genaue Bücher zu führen wie
ein Großmufmann.
An den Wochentagen sah man ihn selten auf
den Straßen, am Sonntag aber zog es ihn
doch zu der jungen Welt, die sich im Gasthof
am Tanz vergnügte. Nur daß Klaas Possekel
immer Zuschauer blieb. Er fand wohl den
einen und anderen Bekannten, der ihm Ge-
sellschaft leistete, wenn Klaas ein Glas Bier
und eine Zigarre spendierte. Aber wenn die
Zeit vorrückte und die Lust lauter und lauter,
die Wangen heißer und heißer wurden und
die Füße der Tanzenden wie toll den Boden
stampften, dann stand Klaas unbemerkt auf,
bezahlte seine Zeche und hinkte still und ein-
sam nach Hause, begleitet von dem einen Bilde:
wie Hein Born Windmüllers Kläre mit fun-
kelnden Augen herumschwemte.
Mit dein Tanze war es ja nnn freilich vor-
bei. Hein Born tanzte jetzt draußen vor den
feindlichen Geschützen umher. Und hier, im
Dorfe, schwieg alle Musik, wenn nicht einer
in zufällig lustiger Laune einen Groschen in
den Wirtshausnntomatcn steckte.
Die Mädchen gingen in ihren freien Stun-
den bedrückt, und gelangweilt umher, standen
bald bei der einen, bald bei der anderen vonn
Zaun und schwatzten und ängstigten sich gegen-
seitig. Und als die ersten schriftlichen Grüße
vom Kriegsschauplatz kamen, liefen sie mit den
Karten von einer zur anderen und berieten
sich wegen der Antwort. Aber das Schreiben
ivar den meisten eine gar ungewohnte Arbeit,
und besonders die Adresse gab ihnen ein schwie-
riges Exempel auf.
Da schlich sich denn erst die eine zu KlaaS
Possekel und bat ihn, ihr zn helfen. Dann kam
eine andere, die etwas im Laden kaufte und
so nebenher die Rede auf die Feldpost brachte.
Und es dauerte nicht lange, da war Klaas
Possekel so eine Art Sekretär sür jeder-
mann und besonders für die jungen Mäd-
chen im Dorfe.
Wer nicht seine Feder brauchte, besuchte
ihn aus anderen Gründen: Klaas hielt
eine illustrierte und eine andere haupt-
städtische Zeitung und wußte auf sämt-
lichen Kriegsschauplätzen Bescheid. Eine
große Karte hing an der Wand; darauf
waren die Stellungen d.r Truppen mit
Fähnchen markiert, und das Vorrücken der
Sieger wurde hier augenfälliger als in
den trockenen Zeitungsberichten.
Klaas Possekels Hinterstübchen weitete
sich zur Welt — nicht nur für die Jungen,
sondern auch für die Alten. Und niemand
hatte mehr Freude an dieser häuslichen
Unruhe als er selber.
Denn nun war Klaas gewachsen in den
Augen der anderen: keinem siel es mehr
ein, über den schüchternen „Hinkefuß" zu
lächeln, und es gab mehr als zwei Mädchen-
augen, die ihn nun öfter und öfter sehr
interessiert betrachteten und zu ihrem eige-
nen Erstaunen fanden, daß er „gar nicht
so häßlich" sei.
Klaas errötete bei diesen Blicken, aber
seine Verlegenheit erreichte den höchsten
Grad, als eines Abends Windmüllers Kläre
in den Laden trat, mit der ihr eigenen Un-
geniertheit die Stubentür aufriß und lachend
sagte: „Abend auch, Klaas."
Er vergaß die Erwiderung des Grußes, starrte
sie nur an.
Sie musterte ihn lachend von oben bis unten
mit ihren blanken, immer beweglichen Augen:
„Willst mir 'ne Adresse schreiben?"
„An Hein Born?"
„Ja. Wieso weißt du?"
„Jeder weiß das. Gib her." Es war ein
Anklang von Schroffheit in seiner Stimme, die
sie aufmerken ließ.
Mechanisch reichte sie ihm den Brief.
Er schrieb.
„Du kennst die Adresse?" fragte sie ver-
wundert.
„Hab' sie schon mehr als einmal geschrieben."
„Für wen?"
„Das ist Amtsgeheimnis, Kläre."
In ihren Augen glomm ein böses Licht aus:
„Für andere Mädchen?"
Er antwortete nicht.
Sie stand einen Augenblick steif da, näherte
sich ihm dann langsam, beugte sich zu seinem
Ohr und flüsterte: „Sag' mir, Klaas!"
Er spürte ihr Haar, ihren warmen Atem
an seiner Wange und fühlte, daß ihm plötz-
lich der Atem stockte.
„Sag', Klaas!"
Er schüttelte den Kopf.
Ihre Hand krampfte sich in seine Achsel:
„Ich muß das wissen, du!"
„Frag' Hein Born selber."
Sie blickte ihn böse an, riß ihm den Brief
unter der Feder fort, daß sie zerbrach, zersetzte
das Papier und warf es in die Ofenecke.
„So!" Sie atmete schwer, lachte dann sorg-
los auf.
Klaas saß mit heißen, roten Wangen ganz
bestürzt am Tisch und starrte sie fast furcht-
sam an. Sie musterte ihn lächelnd.
(Fortsetzung auf S. 8ö1li.)
„Dort unten in dem Grunde..
Zeichnung von G.Koch.
Schicksal.
In die Hände fällt ihm ein Zchrvert,
Zwischen die Schenkel läuft ihm ein
Pferd,
Windsbraut führt ihn von dannen,
Mitten hinein in das tiefste Gewühl,
Wo unser Bannerträger siel,
Ehe den Tag wir gewannen.
Riß er das Fähnlein aus sterbender
Hand,
vorwärts, hinein in den Lchlachten-
brand!
hinter ihm jauchzendes hoffen. —
Lang am Bache ein schmaler Rain:
Zwischen zitternden Blümelein
Liegt er zu Tode getroffen.
August willuig.
Klaas Possekel.
Auf einem Leiterwagen zogen die Reser-
visten, die ihre Kriegsorder bekommen
hatten, nach der Kreisstadt. Sie sangen
und jubelten und tranken im Dorf, und
kehrten zuletzt noch in dem kleinen Kram-
laden ein, den Klaas Possekels Mutter betrieb.
Sie spendierte für jeden einen Schnaps,
wünschte allen glückliche Heimkehr und sagte
mit halbem Bedauern: „Meiner muh ja da-
bleiben."
„Meiner", das war Klaas, ihr Sohn. Er
saß in einer dunklen Ecke des Kramladens auf
einer Tonne und blickte verlegen auf die fröh-
lich lärmenden Kameraden, die so gesund und
stark waren, daß sie schon jetzt alle Feinde zu
Boden schlugen, wenn auch zunächst nur in
der Rede.
„Bleib man hinternOsen," sagteWilliMeycr,
der Bäckerssohn. „Wir werden ihnen schon den
Teig anrühren."
lind Hein Born, der große robuste Bauern-
sohn, lachte: „Es is ganz gut, daß einer aus
unsere Malens aufpaßt."
„Junge, Junge," sagte ein anderer, „du nu
so ganz allein zwischen alle! Wird dir da nich
bange?"
Klaas Possekel lächelte verlegen.
Er lahmte auf dem linken Bein und war
auch sonst ein zarter, empfindlicher Mensch, der
bei den Mädchen wenig Glück hatte. Bemühte
sich auch nicht darum, weil ihm das Bewußt-
sein von seiner eigenen körperlichen Unvoll-
kommenheit dagegen sprach. Nur einmal hatte
er sich verloren: an die Schönste des Ortes,
die aller, Männern die Köpfe verdrehte, an
Windmüllers Kläre. Die sah ihn kaum an.
Verstand seine schüchterne Bewerbung wohl
gar nicht. Halte sich dann mit Hein Born ver-
sprochen und damit Klaas Possekels kühnen
Traum total vernichtet. Das wußte keiner außer
ihm, denn Klaas war nicht der Mann, über
solche Dinge zu schwatzen, die ihm gelegentlich
nur Spott eingetragen hätten.
Als jetzt der Leiterivagen mit den Kriegern
zum Dorfe hinausrumpelte, fühlte Klaas eine
gewisse Erleichterung. Er war nun vorläufig
vor Stichelredcn sicher, konnte seinen beschei-
tencn Beschäftigungen inr Kramladen nach-
gehen und hinten in der Stube über Büchern
und Zeitungen sitzen. Denn dies war seine
Leidenschaft: zu lesen und zu schreiben und über
den Kramladen genaue Bücher zu führen wie
ein Großmufmann.
An den Wochentagen sah man ihn selten auf
den Straßen, am Sonntag aber zog es ihn
doch zu der jungen Welt, die sich im Gasthof
am Tanz vergnügte. Nur daß Klaas Possekel
immer Zuschauer blieb. Er fand wohl den
einen und anderen Bekannten, der ihm Ge-
sellschaft leistete, wenn Klaas ein Glas Bier
und eine Zigarre spendierte. Aber wenn die
Zeit vorrückte und die Lust lauter und lauter,
die Wangen heißer und heißer wurden und
die Füße der Tanzenden wie toll den Boden
stampften, dann stand Klaas unbemerkt auf,
bezahlte seine Zeche und hinkte still und ein-
sam nach Hause, begleitet von dem einen Bilde:
wie Hein Born Windmüllers Kläre mit fun-
kelnden Augen herumschwemte.
Mit dein Tanze war es ja nnn freilich vor-
bei. Hein Born tanzte jetzt draußen vor den
feindlichen Geschützen umher. Und hier, im
Dorfe, schwieg alle Musik, wenn nicht einer
in zufällig lustiger Laune einen Groschen in
den Wirtshausnntomatcn steckte.
Die Mädchen gingen in ihren freien Stun-
den bedrückt, und gelangweilt umher, standen
bald bei der einen, bald bei der anderen vonn
Zaun und schwatzten und ängstigten sich gegen-
seitig. Und als die ersten schriftlichen Grüße
vom Kriegsschauplatz kamen, liefen sie mit den
Karten von einer zur anderen und berieten
sich wegen der Antwort. Aber das Schreiben
ivar den meisten eine gar ungewohnte Arbeit,
und besonders die Adresse gab ihnen ein schwie-
riges Exempel auf.
Da schlich sich denn erst die eine zu KlaaS
Possekel und bat ihn, ihr zn helfen. Dann kam
eine andere, die etwas im Laden kaufte und
so nebenher die Rede auf die Feldpost brachte.
Und es dauerte nicht lange, da war Klaas
Possekel so eine Art Sekretär sür jeder-
mann und besonders für die jungen Mäd-
chen im Dorfe.
Wer nicht seine Feder brauchte, besuchte
ihn aus anderen Gründen: Klaas hielt
eine illustrierte und eine andere haupt-
städtische Zeitung und wußte auf sämt-
lichen Kriegsschauplätzen Bescheid. Eine
große Karte hing an der Wand; darauf
waren die Stellungen d.r Truppen mit
Fähnchen markiert, und das Vorrücken der
Sieger wurde hier augenfälliger als in
den trockenen Zeitungsberichten.
Klaas Possekels Hinterstübchen weitete
sich zur Welt — nicht nur für die Jungen,
sondern auch für die Alten. Und niemand
hatte mehr Freude an dieser häuslichen
Unruhe als er selber.
Denn nun war Klaas gewachsen in den
Augen der anderen: keinem siel es mehr
ein, über den schüchternen „Hinkefuß" zu
lächeln, und es gab mehr als zwei Mädchen-
augen, die ihn nun öfter und öfter sehr
interessiert betrachteten und zu ihrem eige-
nen Erstaunen fanden, daß er „gar nicht
so häßlich" sei.
Klaas errötete bei diesen Blicken, aber
seine Verlegenheit erreichte den höchsten
Grad, als eines Abends Windmüllers Kläre
in den Laden trat, mit der ihr eigenen Un-
geniertheit die Stubentür aufriß und lachend
sagte: „Abend auch, Klaas."
Er vergaß die Erwiderung des Grußes, starrte
sie nur an.
Sie musterte ihn lachend von oben bis unten
mit ihren blanken, immer beweglichen Augen:
„Willst mir 'ne Adresse schreiben?"
„An Hein Born?"
„Ja. Wieso weißt du?"
„Jeder weiß das. Gib her." Es war ein
Anklang von Schroffheit in seiner Stimme, die
sie aufmerken ließ.
Mechanisch reichte sie ihm den Brief.
Er schrieb.
„Du kennst die Adresse?" fragte sie ver-
wundert.
„Hab' sie schon mehr als einmal geschrieben."
„Für wen?"
„Das ist Amtsgeheimnis, Kläre."
In ihren Augen glomm ein böses Licht aus:
„Für andere Mädchen?"
Er antwortete nicht.
Sie stand einen Augenblick steif da, näherte
sich ihm dann langsam, beugte sich zu seinem
Ohr und flüsterte: „Sag' mir, Klaas!"
Er spürte ihr Haar, ihren warmen Atem
an seiner Wange und fühlte, daß ihm plötz-
lich der Atem stockte.
„Sag', Klaas!"
Er schüttelte den Kopf.
Ihre Hand krampfte sich in seine Achsel:
„Ich muß das wissen, du!"
„Frag' Hein Born selber."
Sie blickte ihn böse an, riß ihm den Brief
unter der Feder fort, daß sie zerbrach, zersetzte
das Papier und warf es in die Ofenecke.
„So!" Sie atmete schwer, lachte dann sorg-
los auf.
Klaas saß mit heißen, roten Wangen ganz
bestürzt am Tisch und starrte sie fast furcht-
sam an. Sie musterte ihn lächelnd.
(Fortsetzung auf S. 8ö1li.)